Jurek der Schriftsteller
Antifaschisten benennen Schütte-Lanz-Straße in Königs Wusterhausen symbolisch um
Johann Schütte ließ Luftschiffe für den Ersten Weltkrieg bauen. Jurek Becker überstand im KZ den Zweiten Weltkrieg. Für die VVN ist klar, nach wem in Königs Wusterhausen eine Straße heißen sollte. Eine Jurek-Becker-Straße gibt es schon, in Berlin-Kaulsdorf, seit nunmehr fast neun Jahren. Auch in Rostock ist eine Straße nach dem 1997 verstorbenen Schriftsteller benannt. Es könnte in Zukunft theoretisch noch eine Straße in Königs Wusterhausen seinen Namen tragen. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA hat ganz praktisch vor, am Sonnabend um 13 Uhr die SchütteLanz-Straße in Königs Wusterhausen, an der Ecke Karl-LiebknechtStraße, zumindest erst einmal symbolisch umzubenennen.
Die Absicht dahinter: Die VVN-BdA möchte erneut auf etwas aufmerksam machen, was in der Stadt schon vor Jahren für einige Aufregung sorgte. Denn nach Überzeugung von Frank Rauhut vom örtlichen Bündnis gegen Rechts war der Luftfahrtpionier Johann Heinrich Schütte (18731940) ein »Nationalist vom Scheitel bis zur Sohle«. Der Ingenieur Schütte hatte 1909 gemeinsam mit dem Landmaschinenfabrikanten Karl Lanz in Brühl bei Mannheim eine Luftschiffwerft errichtet. Eine zweite Werft entstand während den Ersten Weltkriegs in Zeesen, das heute zur Stadt Königs Wusterhausen gehört. Schütte tüftelte und erreichte, dass sich Luftschiffe besser steuern lassen. So machte er die Bombardierung von London erst möglich. Zwar produzierten Schütte und Lanz bis zum Kriegsende lediglich 22 Luftschiffe. Doch ihr Prinzip wurde auf viele Zep- peline angewendet. Bis 1918 flogen etwa 200 deutsche Luftschiffe über 50 Kriegseinsätze. Sie warfen dabei 5800 Bomben ab und töteten so mindestens 550 Menschen. Kurz vor seinem Tod bejubelte Lanz noch den Einfall der faschistischen Wehrmacht in Polen.
Diese Fakten hat Frank Rauhut zusammengetragen. Schütte sollte nicht geehrt werden, indem ein Gewerbepark und eine Straße nach ihm benannt sind, meinte Rauhut. Doch die Stadtverordnetenversammlung ließ sich von seinen Argumenten nicht überzeugen, zumal drei von fünf Sachverständigen Partei für Schütte ergriffen, indem sie urteilten, die wis- senschaftlichen und unternehmerischen Leistungen des Ingenieurs würden schwerer wiegen als die Vorwürfe gegen ihn. Denkbar knapp, mit einem Abstimmungspatt, scheiterte 2012 der Antrag auf Umbenennung.
»Er ist kein Vorbild, aber er gehört zur Stadtgeschichte«, hatte Bürgermeister Lutz Franzke (SPD) seinerzeit im Stadtparlament gesagt und die Debatte mit dem Hinweis abgekürzt, es gebe noch andere wichtige Probleme in der Stadt.
Das hat nicht nur Rauhut geärgert, sondern auch viele seiner Mitstreiter verbittert. Ab und zu gab es nachher zaghafte Versuche, vielleicht doch noch irgendwie zum Ziel zu kommen. Doch insgesamt herrschte Ratlosigkeit und Resignation. Nun nimmt sich die VVN-BdA des Themas noch einmal an. Zu den altbekannten Tatsachen kommt neu der Alternativvorschlag Jurek-Becker-Straße. Rauhut ist als Redner bei der symbolischen Umbenennung angekündigt.
So einen Akt nimmt Bürgermeister Franzke durchaus »erst«. Das ist für ihn »ein bunter Farbtupfer im politischen Alltag«. Einen neuen Prozess zu einer dauerhaften Umbenennung werde er daraus jedoch nicht ableiten, sagt Franzke am Donnerstag.
Naheliegend wäre auch der Name Bertha von Suttner gewesen. Doch die Pazifistin habe keinen Bezug zu Königs Wusterhausen, erläutert Martin Müller, Vizevorsitzender der VVNBdA im Landkreis Dahme-Spree- wald. Darum sei man in einer Beratung im Vorstand auf Jurek Becker gekommen. Der 1937 im polnischen Łódź geborene Becker sei als Kind in einem Königs Wusterhausener Außenlager des KZ Sachsenhausen gewesen. Der jüdische Junge überlebte den Holocaust und schrieb mit »Jakob der Lügner« (1969) einen der wichtigsten Romane der DDR-Literatur. Das großartige Buch handelt von Jakob, der im Ghetto auf der Kommandantur zufällig die Nachricht hört, wo im Moment die Front verläuft. Die Hoffnung auf eine Befreiung durch die sowjetischen Truppen gibt seinen Mitmenschen neuen Lebensmut. Doch Jakob behauptet, er wisse Bescheid, da er ein Radio habe, was den Juden streng verboten ist. Er hat auch keins. Schließlich erfindet Jakob immer neue Nachrichten und einem kleinen Mädchen, das nie einen Radioapparat gesehen hat, gaukelt er im Keller Radiosendungen vor, die er selbst inszeniert.
Regisseur Frank Beyer verfilmte den Stoff 1974 mit Vlastimil Brodský in der Titelrolle. Auch Schauspieler Erwin Geschonneck wirkte mit in dieser einzigen DEFA-Produktion, die für einen Oscar nominiert war. 1976 unterschrieb Jurek Becker einen Brief gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann, 1977 verließ er die DDR. Im Westen verfasste er beispielsweise noch Drehbücher der von 1986 bis 1998 ausgestrahlten Fernsehserie »Liebling Kreuzberg«, in der Manfred Krug den Anwalt Robert Liebling verkörperte.