Unter Putschisten
Während die Welt auf Trump schaut, bleibt ein Putschversuch in Montenegro unbemerkt. Die Regierungsblätter malen aus, was der ermittelnde »Spezial-Staatsanwalt« einen »höllischen Plan« nennt: Die Putschisten hätten am Wahlabend des 16. Oktober vor dem Parlament bis zu 30 Oppositionsanhänger erschießen wollen, verkleidet als Polizisten, um die Regierung zu diskreditieren. Sie hätten Premier Milo Djukanovic samt Bodyguards erschießen wollen, um einen blutigen Fluchtversuch zu behaupten. Dazu eine kryptische Beinahe-Bestätigung des serbischen Premiers und eine Belgrad-Visite des russischen Geheimdienstchefs, und für den Staatsanwalt steht fest: Das Dutzend inhaftierter Serben wollte kurz vor Montenegros NATO-Beitritt putschen, angeleitet von »russischen Nationalisten« und »einer oppositionellen Gruppierung«, deren Namen er noch zurückhält.
Er zielt auf das größte Oppositionsbündnis »DF – Demokratische Front«. In Podgorica, in einem durch Reklame der »Demokratischen Nationalpartei« blicksicher gemachten Straßenlokal, suche ich einen der verdächtigten DF-Führer auf. Ich will ihm in die Augen sehen. Ich glaube vorläufig keiner Seite. Ich will ein Gefühl von so was wie Wahrheit kriegen. Milan Knezevic fühlt serbisch. Im Vorraum hängt die Karte eines serbischen Feldzuges, die ausgerufene Amtssprache Montenegrinisch erkennt er nicht an. Sein Versepos »Elektronische Wählerfeststellung« ist in der selten gewordenen kyrillischen Schrift gedruckt. Er hat einen Professor für russische Literatur dabei, einen Dostojewski-Kenner mit abgewetztem Lederranzen und warmherzig verschmitztem Blick. Knezevic antwortet zwar auf Serbisch, sein Russisch ist aber sehr gut.
Ich muss ihn fragen, ob er einen Putsch plante, er lacht sich schief. Seine Heiterkeit erstaunt mich. Kann nicht jeden Moment die Staatsmacht ihn abführen? Der 36Jährige zerkugelt sich: »Ja, das ist ein tödliches Rennen zwischen mir und meinem älteren Kollegen Mandic. Wir sind ein kleines Land, aber mit einem großen Staatsstreich!« Er schwört, dass niemand in der DF die Festgenommenen kennt. Er breitet Ungereimtheiten aus: Bislang werden ausschließlich Ausländer belangt; einer der beiden »Organisatoren«, der rotbärtige Tschetnik und Ex-Donbass-Kämpfer Sindelic, begab sich merkwürdigerweise freiwillig in montenegrinische Haft. Die Nachricht vom Putschversuch erreichte die Wähler am Morgen des Wahltags, »das brachte Djukanovic zwei bis drei Mandate mehr«. Das könnte zum Weiterregieren reichen. Knezevic spricht von einem »türkischen Szenario«, Djukanovic sei der Putschist. In Wahrheit sei ein Mordanschlag auf die DF-Führer geplant gewesen; deshalb habe der Innenminister am Wahltag aufgerufen, nicht vor das Parlament zu gehen. Der kahle Serbist wirft Djukanovic vor, schon das Unabhängigkeitsreferendum von 2006 manipuliert zu haben.
Ich bin bereits im September auf den Namen Knezevic gestoßen, als ich der geheimnisvollen Gründung einer »Allianz neutraler Staaten« nachging. Nun beharrt er darauf, dass jene »Lovcen-Deklaration« tatsächlich im Geburtshaus des Dichterfürstbischofs Njegos unterschrieben wurde, von serbischen Politikern aus Serbien, Mazedonien, SerbischBosnien und einem russischen Politiker als »Garanten«. Er sagt, die Bomben der NATO hätten 1999 proportional mehr Montenegriner als Serben getötet. Wieso aber haben die Pro-NATO-Parteien am 16. Oktober eine Mehrheit erzielt? »Weil die NATO nicht das Hauptthema war.«
Glaube ich, dass er für eine irrwitzige Machtergreifung seine Anhänger niedermähen ließe? Obwohl nicht die reine Unschuld aus ihm lacht – schwerlich. Glaube ich, dass sich prorussisch-großserbische Wirrköpfe von wem auch immer anheuern ließen? Leicht. Glaube ich, dass Djukanovic seine 25jährige Herrschaft mit einem Putschszenario verlängern würde? Allemal. Der Mann ist ruchlos, eine Antikorruptionsaktivistin ließ er mit einem Hunde-Porno desavouieren.
Nun wäre die EU am Zug. Montenegro ist Beitrittskandidat, auch Knezevic ist für die EU. Der neue Fortschrittsbericht klingt positiv, den Boykott der ersten Parlamentssitzung durch die Opposition nennt Erweiterungskommissar Hahn hingegen »unreif«. Knezevic – und hier glaube ich ihm – hält es für ein schlechtes Zeichen, »wenn ein Staat wie Montenegro der führende Beitrittskandidat ist. Eine solche EU verschwindet eher, bevor ihr Montenegro beitreten kann.«