Kein Hüter des Gemeinguts
Gabriel zieht die heimliche Privatisierung der Straßen vor
»Es sieht sehr nach dem bad-guy (Schäuble) – good-guy (Gabriel)Spiel aus: Gabriel hätte schon im Juni sein Veto gegen einen möglichen Teilverkauf einlegen können.« Carl Waßmuth, Gemeingut in BürgerInnenhand
Für private Anleger sind die Zeiten angesichts niedriger Zinsen nicht gerade rosig. Auch individuelle Altersvorsorge beispielsweise über Lebensversicherungen ist so kaum möglich. Das deutsche Fernstraßennetz ist für Investoren ein attraktives, aber noch weitgehend unerschlossenes Terrain. Mit der Einführung einer Bundesfernstraßengesellschaft könnte sich das bald ändern. Dabei geht es nicht um das Eigentum an den Bundesstraßen – dieses soll nach bisherigem Planungsstand beim Bund verbleiben. Das Eigentum an den Straßen ist für Anleger jedoch auch wenig interessant, ihr Betrieb dagegen sehr wohl.
Im Zuge der Neuregelung der Bund-Länder-Finanzen haben die Ministerpräsidenten zugestimmt, die Kompetenz für Planung, Bau und Betrieb von Bundesstraßen abzugeben. Der Bund, der bisher dafür zahlt, während die Ausführung bei den Ländern liegt, wird diese Aufgaben wiederum in eine privatrechtliche Gesellschaft – die Bundesfernstraßengesellschaft – auslagern. Der angebliche Grund: Eine zentrale Behörde könne den Investitionsstau schneller und effektiver beheben. Dass es im Kern um eine Verwaltungsreform geht, ist jedoch zu bezweifeln. Die Verkehrsminister der Länder waren geschlossen gegen den Vorschlag, hatten selbst Konzepte für eine Optimierung der bestehenden Struktur erarbeitet. Die wurden von der Bundesregierung allerdings ignoriert. Worin die höhere Effizienz durch die Bundesfernstraßengesellschaft liegen soll, ist unklar. Aus dem Verkehrsministerium Baden-Württemberg heißt es: »Durch neue Schnittstellen infolge der Aufteilung der Aufgaben und künstlichen Aufspaltung der integrierten Netze droht der Verlust der im Rahmen der Auftragsverwaltung bestehenden Synergieeffekte und der Effizienzvorteile. Der Abstimmungsbedarf nimmt zu.« Im Kern geht es bei dem Großprojekt vielmehr um die Beteiligung privater Investoren und in diesem Zusammenhang auch um die Stärkung der privaten Vorsorge.
Für die Zentralisierung der Kompetenzen beim Bund und die Auslagerung in eine eigene Gesellschaft ist eine Grundgesetzänderung nötig. Ein als streng geheim eingestufter, aber öffentlich gewordener Entwurf zeigt, dass die Möglichkeit offen gelassen werden soll, auch private Anteilseigner an der Gesellschaft zu beteiligen. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte im Haushaltsausschuss dafür geworben, 49,9 Prozent an Private zu veräußern. Der Koalitionspartner stellt sich dagegen. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) erklärte, dass es »weder eine Privatisierung von Straßen, noch der Bundesfernstraßengesellschaft« geben dürfe. Damit inszeniert er sich als schützende Hand des öffentlichen Ei- gentums, während er selbst die führende Rolle dabei spielte, Autobahnen als Anlagemöglichkeit für Investoren zu öffnen. Seit über zwei Jahren wird daran gearbeitet. Gabriel setzte dazu die sogenannte Fratzscher-Kommission ein – benannt nach dem Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung – ,die unter anderem die Gründung einer solchen Gesellschaft empfahl, ebenso wie die verstärkte Einbeziehung privater Investoren bei Straßenbauprojekten und die zunehmende Umstellung auf eine gebührenfinanzierte Infrastruktur – Stichwort: PKW-Maut. Gabriel war auch Vorkämpfer in Sachen Öffentlich-Privater Partnerschaften (ÖPP) beim Bau und Betrieb von Straßen – eine indirekte Form der Privatisierung. Bei solchen Projekten finanzieren Private den Ausbau von Straßen anteilig, betreiben diese und bekommen im Gegen- zug die Maut-Einnahmen für 30 Jahre. Carl Waßmuth von »Gemeingut in BürgerInnenhand« glaubt deshalb: »Es sieht also sehr nach dem bad-guy (Schäuble) – good-guy (Gabriel)-Spiel aus: Gabriel hätte zum Beispiel schon im Juni sein Veto gegen einen möglichen Teilverkauf der neu zu gründenden Gesellschaft einlegen können. Da war ein solcher Entwurf nämlich auch schon bekannt.«
Selbst wenn am Ende festgeschrieben würde, dass die Gesellschaft zu 100 Prozent Bundeseigentum bleibt, würden ÖPPs unter ihrem Dach wahrscheinlich zur flächendeckenden Praxis. Der Wirtschaftsminister könnte sich dann rühmen, eine Teilprivatisierung verhindert zu haben, während über die Projekte genau das passiert. Private Anleger würden auch auf diesem Weg auf ihre Kosten kommen.
Bei einer möglichen Grundgesetz- änderung, die der Bundesrat mit ZweiDrittel-Mehrheit abnicken muss, werden auch die Grünen eine Rolle spielen. Die Einrichtung einer solchen Gesellschaft sieht die Partei grundsätzlich positiv. Die Bundestagsabgeordnete Valerie Wilms erklärt allerdings: »Wir sind gegen eine Beteiligung privater Investoren, weil wir die Organisation verbessern, aber kein Tafelsilber verschleudern wollen.« Ein Blick nach Österreich zeige außerdem, dass man Öffentlich-Private-Partnerschaften nicht mehr brauche, weil privates Kapital teurer ist als eine staatlich abgesicherte Verschuldung. »Die österreichische Autobahngesellschaft hat sich ganz schnell von ÖPP verabschiedet und bei richtiger Konstruktion würde auch eine deutsche Gesellschaft darauf verzichten«, so Wilms. Dass Gabriel auf die Einbeziehung privater Kapitalgeber verzichten will, wi- enorm erschweren. Das zweite entscheidende Problem sind die Kosten: Die Einrichtung der Gesellschaft ermöglicht die Umgehung der Schuldenbremse. Denn wenn die sich für den Bau von Straßen Geld von Privaten holt, zählen diese Kredite nicht als Schulden des Bundes. Das funktioniert beispielsweise bei der Österreichischen ASFINAG. Das ist wohl auch ein zentraler Grund, warum die Gesellschaft nicht öffentlich-rechtlich organisiert werden soll – obwohl eine Kontrolle und Orientierung am Gemeinwohl dadurch besser hätte durchgesetzt werden können. Das Problem: Der Bund hält an der Schwarzen Null fest, am Ende jedoch wird es für den Bürger höchstwahrscheinlich teurer.
Denn private Investoren – ob sie direkt bei der Gesellschaft einsteigen oder über Öffentlich-Private-Partnerschaftsprojekte beteiligt werden – wollen am Ende Renditen sehen. Der Bundesrechnungshof hat bereits mehrfach die bestehenden ÖPP-Projekte als unwirtschaftlich kritisiert. Zahlen müssen das die Bürger, über höhere Mautgebühren, die geplante PKW-Maut oder – je nach Finanzierungskonzept der Gesellschaft – über Mittel aus dem Haushalt. Wie genau die Finanzierung funktionieren soll, ist abhängig von der konkreten Ausgestaltung der Gesellschaft, über die derzeit in den zuständigen Ressorts verhandelt wird.
Der Bund macht sich damit abhängig von dem Handeln der Gesellschaft, die er kaum wird kontrollieren können. Denn als Eigentümer des Straßennetzes bleibt er letzten Endes dafür verantwortlich, dieses nicht verfallen zu lassen. Das Interesse privater Anleger kann da ein ganz anderes sein; nämlich zu kassieren, ohne zu investieren. Wenn Gabriel hintenrum die Umstellung der Infrastrukturfinanzierung auf ÖPPs vorantreibt, ist sein Versprechen, mit der SPD werde es keinen Ausverkauf des Gemeinguts geben, mehr als unglaubwürdig.