Stilfragen vorm Gipfeltreffen
Gastspiel in Dortmund: Zuvor diskutieren die Bayernspieler ziemlich offen Ancelottis Taktik
Im Topspiel der Bundesliga bei Borussia Dortmund stehen Trainer Ancelottis Teamumstellungen verstärkt unter Beobachtung – erstaunlich offene Kritik gibt es bereits aus der Mannschaft Zuletzt drehten sich die Debatten vor allem um die Länderspieltermine und die Belastungen der Profis, und beim FC Bayern richteten sie sorgenvolle Blicke auf ihre Belegschaft, die rund um den Globus eher nicht für Beruhigung sorgen konnten. Das galt vor allem für Arturo Vidal, der sich in der WM-Qualifikation beim 0:0 gegen Kolumbien eine Adduktorenblessur eingehandelt hatte, aber dennoch in der Nacht auf Mittwoch in Chiles Startelf beim 3:1 gegen Uruguay auflief. Erneut musste der Mittelfeldspieler mit Beschwerden vorzeitig ausgewechselt werden. Die zuvor geäußerten Sorgen und Appelle des Münchner Vorstandschefs Karl-Heinz Rummenigge an den chilenischen Verband, verantwortungsvoll und sensibel zu handeln, waren ungehört verklungen.
Vor dem Spitzenspiel der Bundesliga zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern an diesem Samstag halten sich die Personalsorgen in München abgesehen von Vidal aber in Grenzen. Bis auf Kingsley Coman, der sich bei der französischen Auswahl einen Außenbandriss im Knie zugezogen hatte und bis Jahresende ausfällt, scheint das Münchner Personal zur Verfügung zu stehen. Auch Arjen Robben, trotz jüngster Oberschenkelbeschwerden, wegen der er die zweite Halbzeit gegen Luxemburg vorsichtshalber ausließ. Javier Martínez könnte nach seiner jüngsten Absenz zudem womöglich in den Kader zurückkehren, Franck Ribéry vielleicht sogar in die Startelf.
Abseits der Personalfragen beschäftigen den Meister aber vor allem Stilfragen vor dem Gipfeltreffen, das den FC Bayern erstmals in dieser Saison die Tabellenführung kosten könnte. Schon am Freitag genügt e Aufsteiger RB Leipzig bei Bayer Leverkusen ein Unentschieden (n. Red.), um zumindest für eine Nacht den ersten Platz zu übernehmen. Verlören die Münchner beim BVB, wäre auch Thomas Tuchels Mannschaft bis auf drei Punkte am Meister dran und damit wieder aussichtsreich im Ti- telrennen. Eine im Vergleich zu den Vorjahren ungewohnt spannende Gemengelage, durch die die Veränderungen von Trainer Carlo Ancelotti beim FC Bayern verstärkt unter Beobachtung stehen.
Erstaunlich offene Kritik gibt es vorm Abschluss des ersten Saison- drittels bereits aus der Mannschaft. Besonders Jérôme Boateng überraschte mit seiner jüngsten und deutlichen Stilkritik. Wie mal mehr oder weniger acht ehemalige Profis von Klaus Augenthaler über Markus Babbel bis Jürgen Kohler formulierte auch der aktuelle Münchner Abwehrchef in der Zeitschrift »kicker« seine Bedenken am Auftreten seiner Mannschaft – und damit zumindest indirekt auch an den Vorgaben Ancelottis. »Wir haben jetzt einen etwas veränderten Spielstil. Wir schalten nicht mehr so gut um, die Gegner haben mehr Zeit, sich den Ball zuzuspielen«, befand Boateng dabei zum minimierten Gegenpressing. »Außerdem haben wir zu viele Ballverluste, laufen zu viel mit dem Ball, spielen zu langsam – unser Spiel ist nicht mehr so schnell. Wir müssen wieder mit zwei, drei Kontakten operieren.« Das Spiel in Dortmund sei »wegweisend«, sagte der jüngst geschonte Nationalspieler in seiner Bestandsaufnahme noch, zumal das 1:1 gegen Hoffenheim vor der Länderspielpause ein »Rückschritt« gewesen sei.
Boateng steht mit seiner erstaunlich offenen Kritik nicht alleine da. Auch Robben hatte zuletzt Einwände erhoben, ebenso die ehemaligen Dortmunder Mats Hummels und Robert Lewandowski. Es sei »wahrscheinlich besser, wenn man einmal unentschieden spielt, als wenn man wieder gewinnt und denkt, alles ist okay«, sagte der Angreifer Lewandowski nach dem Remis gegen Hoffenheim, das sich ins Bild der verloren gegangenen Souveränität fügte, ähnlich wie zuvor das 1:1 gegen den 1. FC Köln und das 2:2 bei Eintracht Frankfurt. Lewandowski findet, der FC Bayern spiele – anders als in Pep Guardiolas drei Amtsjahren – unter dessen Nachfolger »noch nicht so systematisch«.
Ancelotti weiß, dass das Spiel in Dortmund gegen den Guardiola inhaltlich eng verbundenen Tuchel durchaus eine nachhaltige Wirkung auf den weiteren Saisonverlauf entfalten könnte, im Guten wie im Schlechten. Die erste große Prüfung dieser Spielzeit in der Champions League bei Atlético Madrid verlief durch die 0:1-Niederlage eher ernüchternd. Nach der zweiten großen Prüfung wird auch Ancelotti wissen, welcher Fortgang bei den Debatten zu erwarten ist. Und damit, ob er sich trotz des schon sicheren Überwinterns in der Champions League und im Pokal auf einen eher ruhigen oder doch eher stürmischen Spätherbst einstellen muss. Die Wettervorhersage für Dortmund an diesem Wochenende passt zum wiederbelebten sportlichen Kitzel des Gipfeltreffens: Es soll windig werden.