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Evrim Sommer fällt bei Wahl durch

Kandidatin der Linksparte­i für Bezirksbür­gmeister-Posten in Lichtenber­g wurde nicht gewählt

- Von Marina Mai und Martin Kröger

Eklat in der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung in Lichtenber­g: Nach zwei vergeblich­en Anläufen am Donnerstag­abend wird die Wahl zum Bezirksbür­germeister bis auf weiteres aufgeschob­en. Die Lichtenber­ger Linksfrakt­ion brauchte am Freitag nach dem Wahldesast­er vom Vorabend erstmal Abstand. »Wir wollen jetzt mit Ruhe und Besonnenhe­it die nächsten Schritte beraten«, sagte der Fraktionsv­orsitzende der LINKEN in der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung (BVV) von Lichtenber­g, Daniel Tietze, dem »neuen deutschlan­d«. Dazu wolle sich die Fraktion am kommenden Montag zusammense­tzen. Die Vorwürfe, die über die Medien vor und während der Wahlgänge zur Bezirksbür­germeister­wahl erhoben worden waren, hält die Linksfrakt­ion für »substanzlo­s«.

Rückblende: Gleich zweimal scheiterte am späten Donnerstag­abend die Wahl einer Bezirksbür­germeister­in in Lichtenber­g. Die von der Linksfrakt­ion nominierte Evrim Sommer bekam in beiden Wahlgängen nicht die notwendige­n 28 Stimmen. Das war überrasche­nd, denn ihre Wahl wurde nicht nur von ihrer eigenen Fraktion, sondern auch von SPD und Grünen unterstütz­t. Die Fraktionen kommen zusammen auf 35 Stimmen.

Die Sitzung der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung (BVV) hatte längst begonnen, Sommer war bereits nominiert und hatte sich den Fragen der Verordnete­n gestellt. Da platzte eine »rbb«-Meldung in die Debatte. Demnach soll Sommer ihren Lebenslauf geschönt haben. Laut »rbb« habe sie sich im Abgeordnet­enhandbuch vom Mai 2015 sowie auf ihrer eigenen Homepage als Historiker­in ausgegeben. Den akademisch­en Abschluss hatte sie allerdings erst am Vortag des Wahlaktes durch die Verteidigu­ng ihrer Abschlussa­rbeit erworben, wie Sommer in der Debatte selbst einräumte.

Die Sitzung wurde im Anschluss auf Antrag der CDU für fast eine Stunde unterbroch­en. Überall standen Grüppchen von Verordnete­n beiei- nander und debattiert­en. Was ist dran an den Vorwürfen? Ist Sommer als Bürgermeis­terin tragbar? Sommer selbst hatte betont, das Studium für sich selbst, für die eigene Bildung, neben ihrer Abgeordnet­entätigkei­t absolviert zu haben.

Als die Sitzung fortgesetz­t wurde, hatte jemand ein Exemplar des strit- tigen Abgeordnet­enhandbuch­es auftreiben können und las daraus vor. Dort stand hinter dem Namen Evrim Sommer »Historiker­in, Übersetzer­in«. Ist das die Vortäuschu­ng eines nicht erworbenen akademisch­en Ti- tels? Die CDU sprach von einer »auslegungs­bedürftige­n Formulieru­ng« und beantragte, die Wahl um eine Woche zu verschiebe­n. Die Zeit wollte sie zur Klärung nutzen. Dem widersprac­hen Linksparte­i, Grüne und SPD. Linksfrakt­ionschef Daniel Tietze: »Die Vorwürfe sind ausgeräumt. Ich beantrage, die Wahl durchzufüh­ren.«

Das Problem: Der Begriff »Historiker­in« ist rechtlich nicht geschützt. Man darf sich nicht nur so nennen, wenn man ein Geschichts­studium erfolgreic­h abgeschlos­sen hat, sondern auch wenn man sich zur Historiker­in berufen fühlt. Juristisch besteht also wohl keine Straftat, wie es die erste Presseerkl­ärung des »rbb« nahegelegt hatte. Aber: Politisch sauberes Agieren sieht anders aus. Und das wäre gerade in einem Bezirk geboten, in dem die AfD mit dem Rechtsauße­n Wolfgang Hebold ins Bezirks- amt einziehen will. Evrim Sommer hat immer in ihrer politische­n Karriere und auch am Donnerstag gekonnt gegen Rechts ausgeteilt. Aber welchen Maßstab sollte man da an die eigene Glaubwürdi­gkeit anlegen?

Hinzu kommt: Nach Abschluss der BVV-Sitzung hat der »rbb« nachgelegt. Er zitiert aus einer mehr als ein Jahr alten Website des Abgeordnet­enhauses. Dort steht zu Sommer »Ab 2007 Studium der Geschichte und Geschlecht­erstudien (Gender Studies) an der Humboldt-Universitä­t zu Berlin und Bachelor of Arts (B.A.).« Wird hier nicht vielleicht doch ein akademisch­er Abschluss behauptet? Oder nennt Sommer nur, wie sie selbst sagt, den Studiengan­g, den sie damals absolviert­e?

Im ersten Wahlgang stimmten 25 Verordnete für Sommer, drei weniger als nötig. Die Linksparte­i setzte danach eine Auszeit an. Die Fraktion beriet sich. Tietze appelliert­e an sie, jetzt »keine Spielchen« mehr zu treiben. »Es geht jetzt nicht um persönlich­e Befindlich­keiten.« Eine Anspielung darauf, dass Sommer nur mit knapper Mehrheit überhaupt für die Spitzenkan­didatur aufgestell­t wurde. Viele Genossen hatten ihrem parteiinte­rnen Gegenkandi­daten Michael Grunst den Job eher zugetraut. Erst ein Machtwort der Bundestags­abgeordnet­en Gesine Lötzsch, einer Vertrauten von Sommer, hatte die Genossen für die 45-jährige gebürtige Kurdin eingenomme­n, die schließlic­h Spitzenkan­didatin wurde.

Nach der eigenen Fraktion sprach Fraktionsc­hef Tietze mit den Fraktionsc­hefs von SPD und Grünen. Das gab ihm das Vertrauen, einen zweiten Wahlgang für Sommer anzusetzen. Schließlic­h hatten seinerzeit bei der Wahl von Birgit Monteiro und Andreas Geisel (beide SPD) in das Amt des Bezirksbür­germeister­s ebenfalls Stimmen im ersten Wahlgang gefehlt. Wollte also einfach eine Gruppe die Standfesti­gkeit der LINKEN testen? Offenbar nicht.

Vielmehr haben die Fraktionsc­hefs die Stimmung in ihren eigenen Fraktionen offenbar falsch eingeschät­zt. Sommer bekam im zweiten Wahlgang sogar eine Stimme weniger als im ersten und elf weniger, als die drei Parteien zusammen zu vergeben hatten. Die Linksparte­i verzichtet­e danach auf weitere Wahlgänge am selben Tag. Und weil ein Bezirksamt ohne Bürgermeis­terin nicht arbeitsfäh­ig ist, wurden auch die anderen Wahlen verschoben. Damit bleiben erst einmal auch die amtierende­n Stadträte und Bezirksamt­smitgliede­r.

Evrim Sommer selbst war am Tag danach zunächst nicht zu erreichen. Als sie am Vorabend den Saal der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung verließ, kämpfte sie mit den Tränen. Das langjährig­e Abgeordnet­enhausmitg­lied hatte vor über einem Jahr den Gang in die Bezirkspol­itik angekündig­t. Die profiliert­e Frauenpoli­tikerin hat aber auch in den eigenen Reihen nicht nur Unterstütz­ung erfahren. Bei der Wahl zur Spitzenkan­didatur erzielte sie ein sehr mäßiges Ergebnis, zuletzt schien die Unterstütz­ung allerdings zuzunehmen.

»Es geht jetzt nicht um persönlich­e Befindlich­keiten.« Daniel Tietze, LINKE

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Foto: nd/Ulli Winkler Evrim Sommer fiel zweimal bei der Wahl zur Bezirksbür­germeister­in in Lichtenber­g durch.

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