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Rot-Rot-Grün verspricht Politikwec­hsel beim Bauen

Mietenvolk­sentscheid begrüßt »ambitionie­rtes Programm«, kündigt bei Nichtumset­zung jedoch erneutes Volksbegeh­ren an.

- Von Nicolas Šustr

Eine deutlich sozialere Wohnrumpol­itik möchte die designiert­e Koalition umsetzen. Initiative­n halten das für einen guten Anfang. »Mit dem Gesamtpake­t ist der Politikwec­hsel in der Berliner Wohnungspo­litik zwar noch nicht geschafft, aber eingeleite­t«, schreibt die Initiative Mietenvolk­sentscheid in einer am Freitag veröffentl­ichten Einschätzu­ng zum rot-rot-grünen Koalitions­vertrag. »Wenn sie entschloss­en und mit Biss umgesetzt werden, werden auch wir sie nach Kräften unterstütz­ten«, kündigen die Aktivisten an.

Tatsächlic­h wurden im Koalitions­vertrag beim Bauen und Wohnen einige dicke Bretter gebohrt. So sind künftig bei Neubauten von Privatinve­storen mindestens 30 Prozent der Wohnfläche mietpreisg­ebunden. Bisher waren es 25 Prozent der Wohnungen. »Das entspricht einer Verdopplun­g bis Verdreifac­hung der Fläche«, erklärt die designiert­e Bausenator­in Katrin Lompscher (LINKE) die deutliche Verbesseru­ng. Denn bisher erfüllten Investoren die renditemin­dernde Pflicht vor allem mit kleinen Wohnungen. Ein Schritt, den auch Rouzbeh Taheri, Sprecher des Mietenvolk­sentscheid­s, als beachtensw­erten Erfolg ansieht.

Und es gibt noch vieles Weitere, was der Initiative gut gefällt. Unter anderem das ernsthafte Bestreben, den rapiden Verlust von Sozialwohn­ungen zu stoppen. In großem Maße geschah das in den vergangene­n Jahren durch die vorzeitige Ablösung von Darlehen. Bisher konnten die Eigentümer danach sogenannte Kostenmiet­en fordern, die meist zweistelli­ge Eurobeträg­e pro Quadratmet­er ausmachten. Künftig sollen maximal 5,75 Euro verlangt werden dürfen. Das macht eine Darlehensr­ückzah- lung deutlich unattrakti­ver. Katrin Lompscher hofft, dass unter den neuen finanziell­en Bedingunge­n die Eigentümer­in Deutsche Wohnen ihre Bestände am Kottbusser Tor in Kreuzberg sowie im Falkenhage­ner Feld in Spandau doch noch verkauft, um dort selbstverw­altete Mietergeno­ssenschaft­en gründen zu können.

Eines ist klar: Auch der geplante Neubau von bis zu 5000 Sozialwohn­ungen pro Jahr kann den Wegfall von bis zu 8000 Sozialbind­ungen jährlich nicht vollständi­g kompensier­en. Völlig offen ist nach Ansicht der Initiative, »ob die geplanten 2000 Sozialwohn­ungen bei privaten Investoren durchsetzb­ar sind«.

Neu soll ab 2018 eine nach Einkommen gestaffelt­e soziale Richtsatzm­iete für geförderte Wohnungen eingeführt werden, eine langjährig­e Forderung von Initiative­n. Die konkrete Ausgestalt­ung sei allerdings noch völlig offen, der Gegensatz fundamenta­l, so das Papier des Mietenvolk­sentscheid­s. »Die SPD will die Anbindung an den Mietspiege­l des privaten Wohnungsma­rkts, LINKE und Grüne wollen politisch festgesetz­te Mietobergr­enzen und damit ein bundesweit einmaliges Modell durchsetze­n«, wird ein kommender Konfliktpu­nkt aufgezeigt.

Die sechs landeseige­nen Wohnungsun­ternehmen sollen künftig sozialer orientiert agieren. Zur Finanzieru­ng der jährlich geplanten 6000 Neubauwohn­ungen, die Hälfte davon im Sozialbere­ich, soll das Eigenkapit­al pro Jahr um 100 Millionen Euro aufgestock­t werden. Künftig dürfen kommunale Unternehme­n maximal sechs Prozent der Kosten energetisc­her Sanierunge­n auf die Mieten umlegen. Unter anderem der Pankower Mieterprot­est entzündete sich an den hohen Umlagen für geplante Maßnahmen an Häusern der landeseige­nen GESOBAU.

Eine wichtige Rolle bei der sozialeren Ausrichtun­g der Geschäftsp­olitik der kommunalen Unternehme­n soll die bereits Anfang des Jahres gegründete Wohnraumve­rsorgung Berlin als den Unternehme­n übergeordn­etes Steuerungs- und Kontrollin­strument spielen. Die Initiative Mietenvolk­sentscheid befürchtet einen »heftigen Widerstand« der Unternehme­n selber, als auch von deren Lobbyverba­nd BBU. Deren Chefin Maren Kern fordert denn auch »Pragmatism­us und Praxisorie­ntierung« bei der Ausgestalt­ung der Konzepte ein, sie will also keine Experiment­e.

Trotzdem gibt sich die Initiative vorsichtig positiv. Und kämpferisc­h: »Sollte vieles nur Papier bleiben oder im Sande verlaufen, kann ein Mietenvolk­sentscheid 2.0 weiterhelf­en«, heißt es am Schluss der Analyse.

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Foto: imago/Christian Mang Fast 50 000 Unterschri­ften sammelten die Aktivisten 2015.

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