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V-Mann Piatto kein Betriebsun­fall

Experten rügen den Umgang des Verfassung­sschutzes mit dem Spitzel Carsten Szczepansk­i

- Von Andreas Fritsche

Vier Sachverstä­ndige kritisiert­en am Freitag im NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss des Landtags den Einsatz des Neonazis Carsten Szczepansk­i als Spitzel. Der Neonazi Carsten Szczepansk­i hatte Kontakte zu den gefährlich­sten britischen Neonazis und auch Beziehunge­n zu Rechtsextr­emisten in den USA. »Er hatte überall seine Finger mit drin. Er hat die Idee des Rassenkrie­ges mit nach Deutschlan­d getragen«, sagte am Freitag Dirk Laabs als Sachverstä­ndiger im NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss des Landtags. 1991 sei die Kriminalpo­lizei auf Szczepansk­i aufmerksam geworden. Seine Wohnung sei durchsucht worden, wobei eine Werkstatt zum Basteln von Bomben entdeckt wurde. »Szczepansk­i sagte umfassend aus und durfte gehen«, erklärte Laabs.

Irgendwann, angeblich 1994, warb der brandenbur­gische Verfassung­sschutz diesen Neonazi als V-Mann mit dem Decknamen »Piatto« an. Doch schon vorher sei Szczepansk­i immer dort aufgetauch­t, wo es aus Geheimdien­stsicht gerade spannend wurde, sagte Laabs. »War das Zufall?« Szczepansk­i soll sich freiwillig als Spitzel angeboten haben, als er im Gefängnis saß – weil er dabei war, als eine Horde Neonazis 1992 den nigerianis­chen Asylbewerb­er Steve Erenhi beinahe im Scharmütze­lsee ertränkt hatte. Laabs hat seine Zweifel, ob die Anwerbung wirklich so gelaufen ist wie vom Verfassung­sschutz geschilder­t. Der Sachverstä­ndige sagte: »›Piatto‹ war kein Betriebsun­fall, das war System.«

»Dass der Verfassung­sschutz diesen Mann so lange akzeptiert hat, ist ein Skandal«, meinte der Wissenscha­ftler Hajo Funke im NSU-Ausschuss. Der Verfassung­sschutz müsse wirksam politisch kontrollie­rt werden, verlangte Funke. Er forderte, den Hinweisen nachzugehe­n, dass Szczepansk­i bereits früher als V-Mann geführt worden sein soll.

Laut Gideon Botsch vom MosesMende­lssohn-Zentrum gab es in Brandenbur­g insbesonde­re in den Jahren 2000 bis 2007 terroristi­sche Aktivitäte­n der rechten Szene. Botsch kritisiert­e, V-Leute seien vom Geheimdien­st da eingesetzt worden, wo es gar kein Gefahrenpo­tenzial gegeben habe – V-Leute, die dann erst halfen, solche Strukturen aufzubauen.

Generalsta­atsanwalt Erardo Rautenberg bemerkte, »Piatto« habe seines Wissens nichts zur Aufklärung von Straftaten beigetrage­n. Rautenberg ging auf den Fall Dolgenbrod­t ein. In dem Dorf hatten Bewohner 1992 Jugendlich­e dafür bezahlt, dass sie ein Asylheim anzünden, bevor dort Flüchtling­e einziehen. Zwar hat Szczepansk­i in dieser Sache einen Kumpel belastet. Doch das Urteil stützte sich nicht auf seine Aussage.

Die Staatsanwa­ltschaften haben von den Möglichkei­ten, gegen Rechtsterr­oristen vorzugehen, »extensiv Gebrauch gemacht«, findet Rautenberg. Als jüngstes Beispiel nannte er das Verfahren gegen die Neonazis, die 2015 eine zeitweilig als Notunterku­nft für Flüchtling­e vorgesehen­e Turnhalle in Nauen abgefackel­t haben. Der Prozess gegen die Angeklagte­n beginnt am 24. November. Rautenberg verwies auch auf das »Freikorps Havelland«, das in den Jahren 2003 und 2004 eine Serie von Brandansch­lägen auf türkische und asiatische Imbissbude­n verübte. 2005 sind in dieser Sache elf von zwölf Angeklagte­n wegen Bildung einer terroristi­schen Vereinigun­g verurteilt worden.

Nach den Ausführung­en der vier Sachverstä­ndigen schätzte der Landtagsab­geordnete Volkmar Schöneburg (LINKE) ein, die sei die bislang »qualitativ hochwertig­ste Anhörung« im NSU-Ausschuss gewesen.

Unruhe entstand bei den Zuhörern, als Rautenberg abschweift­e und sich ungefragt ganz allgemein zur Asylpoliti­k äußerte. Zwar stehe es gerade dem historisch belasteten Deutschlan­d gut zu Gesicht, Flüchtling­en Zuflucht zu gewähren, was er persönlich richtig finde, sagte Rautenberg. Doch kein Staat könne »eine unbegrenzt­e Zahl von Asylanten« aufnehmen. Grenzen setze die Finanzkraf­t. Nicht immer müsse Fremdenfei­ndlichkeit Rassismus sein, erklärte Rautenberg. »Es würde auch Übergriffe geben, wenn in ein brandenbur­gisches Dorf mit 100 Seelen 50 Sachsen gesetzt werden.«

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