V-Mann Piatto kein Betriebsunfall
Experten rügen den Umgang des Verfassungsschutzes mit dem Spitzel Carsten Szczepanski
Vier Sachverständige kritisierten am Freitag im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags den Einsatz des Neonazis Carsten Szczepanski als Spitzel. Der Neonazi Carsten Szczepanski hatte Kontakte zu den gefährlichsten britischen Neonazis und auch Beziehungen zu Rechtsextremisten in den USA. »Er hatte überall seine Finger mit drin. Er hat die Idee des Rassenkrieges mit nach Deutschland getragen«, sagte am Freitag Dirk Laabs als Sachverständiger im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags. 1991 sei die Kriminalpolizei auf Szczepanski aufmerksam geworden. Seine Wohnung sei durchsucht worden, wobei eine Werkstatt zum Basteln von Bomben entdeckt wurde. »Szczepanski sagte umfassend aus und durfte gehen«, erklärte Laabs.
Irgendwann, angeblich 1994, warb der brandenburgische Verfassungsschutz diesen Neonazi als V-Mann mit dem Decknamen »Piatto« an. Doch schon vorher sei Szczepanski immer dort aufgetaucht, wo es aus Geheimdienstsicht gerade spannend wurde, sagte Laabs. »War das Zufall?« Szczepanski soll sich freiwillig als Spitzel angeboten haben, als er im Gefängnis saß – weil er dabei war, als eine Horde Neonazis 1992 den nigerianischen Asylbewerber Steve Erenhi beinahe im Scharmützelsee ertränkt hatte. Laabs hat seine Zweifel, ob die Anwerbung wirklich so gelaufen ist wie vom Verfassungsschutz geschildert. Der Sachverständige sagte: »›Piatto‹ war kein Betriebsunfall, das war System.«
»Dass der Verfassungsschutz diesen Mann so lange akzeptiert hat, ist ein Skandal«, meinte der Wissenschaftler Hajo Funke im NSU-Ausschuss. Der Verfassungsschutz müsse wirksam politisch kontrolliert werden, verlangte Funke. Er forderte, den Hinweisen nachzugehen, dass Szczepanski bereits früher als V-Mann geführt worden sein soll.
Laut Gideon Botsch vom MosesMendelssohn-Zentrum gab es in Brandenburg insbesondere in den Jahren 2000 bis 2007 terroristische Aktivitäten der rechten Szene. Botsch kritisierte, V-Leute seien vom Geheimdienst da eingesetzt worden, wo es gar kein Gefahrenpotenzial gegeben habe – V-Leute, die dann erst halfen, solche Strukturen aufzubauen.
Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg bemerkte, »Piatto« habe seines Wissens nichts zur Aufklärung von Straftaten beigetragen. Rautenberg ging auf den Fall Dolgenbrodt ein. In dem Dorf hatten Bewohner 1992 Jugendliche dafür bezahlt, dass sie ein Asylheim anzünden, bevor dort Flüchtlinge einziehen. Zwar hat Szczepanski in dieser Sache einen Kumpel belastet. Doch das Urteil stützte sich nicht auf seine Aussage.
Die Staatsanwaltschaften haben von den Möglichkeiten, gegen Rechtsterroristen vorzugehen, »extensiv Gebrauch gemacht«, findet Rautenberg. Als jüngstes Beispiel nannte er das Verfahren gegen die Neonazis, die 2015 eine zeitweilig als Notunterkunft für Flüchtlinge vorgesehene Turnhalle in Nauen abgefackelt haben. Der Prozess gegen die Angeklagten beginnt am 24. November. Rautenberg verwies auch auf das »Freikorps Havelland«, das in den Jahren 2003 und 2004 eine Serie von Brandanschlägen auf türkische und asiatische Imbissbuden verübte. 2005 sind in dieser Sache elf von zwölf Angeklagten wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden.
Nach den Ausführungen der vier Sachverständigen schätzte der Landtagsabgeordnete Volkmar Schöneburg (LINKE) ein, die sei die bislang »qualitativ hochwertigste Anhörung« im NSU-Ausschuss gewesen.
Unruhe entstand bei den Zuhörern, als Rautenberg abschweifte und sich ungefragt ganz allgemein zur Asylpolitik äußerte. Zwar stehe es gerade dem historisch belasteten Deutschland gut zu Gesicht, Flüchtlingen Zuflucht zu gewähren, was er persönlich richtig finde, sagte Rautenberg. Doch kein Staat könne »eine unbegrenzte Zahl von Asylanten« aufnehmen. Grenzen setze die Finanzkraft. Nicht immer müsse Fremdenfeindlichkeit Rassismus sein, erklärte Rautenberg. »Es würde auch Übergriffe geben, wenn in ein brandenburgisches Dorf mit 100 Seelen 50 Sachsen gesetzt werden.«