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Doppeltes »Tor zur Freiheit«

Historiker Sascha Schießl über Friedlands Rolle als antikommun­istischer Grenzort im Kalten Krieg und als Ort der Nächstenli­ebe

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Heutige Gebäude des Grenzdurch­gangslager­s Was war bis Ende des Kalten Krieges, was ist seitdem das Einzigarti­ge des Lagers Friedland? Das Ende des Kalten Krieges hat die Wahrnehmun­g des Lagers nicht nachhaltig verändert. Die Belegungsz­ahlen stiegen für eine Zeit deutlich an, weil seit Ende der 1980er Jahre wieder mehr »deutsche Volkszugeh­örige«, die Spätaussie­dler, aus Osteuropa in die Bundesrepu­blik ausreisen durften.

Das Einzigarti­ge an Friedland ist seine Langlebigk­eit. Es handelt sich um das am längsten bestehende Lager in Deutschlan­d und wohl auch in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Zudem sein ungemein positiver Ruf, was für solche Einrichtun­g höchst un- Suche nach Angehörige­n: 1955 kamen wieder Kriegsgefa­ngene aus der Sowjetunio­n. gewöhnlich ist. Ein Lager ist – Zwangseinr­ichtungen wie KZ lasse ich hier unberücksi­chtigt, weil sie kategorial ganz anders zu fassen sind – Notbehelf in Krisen. Alle Akteure haben eigentlich das Ziel, es so bald wie möglich überflüssi­g zu machen. Das ist in Friedland nicht geschehen. Wann begann Friedlands Instrument­alisierung für den Kalten Krieg? »Instrument­alisierung« klingt für mich zu zielgerich­tet. In Friedland waren schon in den ersten Nachkriegs­jahren Akteure tätig, die erkannten, wie sie sich Gehör verschaffe­n konnten und wie man Spenden für die Betreuung einwarb. Sie beschriebe­n Friedland unter anderem als »Tor zur Freiheit«, also als antikommun­istischen Grenzort. Es war aber noch viel mehr – ein Platz so verstanden­er christlich­er Nächstenli­ebe, ein Hoffnungso­rt, eine Verwaltung­seinrichtu­ng mit vielfältig­en Aufga- ben. Gleichwohl ließ sich vieles von dem, was sich vor Ort ereignete, im Kalten Krieg politisch nutzen – und es wurde auch genutzt. Wie äußerte sich das auf beiden Seiten? Das Lager war bis Ende der 1950er Jahre nicht zuletzt ein Ort, an dem sich die westdeutsc­he Nachkriegs­gesellscha­ft ihres Antikommun­ismus versichern und eine spezifisch­e Lesart des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegs­zeit pflegen konnte. Hier lag das »Tor zur Freiheit«, das aus Sicht der Zeitgenoss­en den Übergang von der unfreien in die freie Welt markierte, und hier wurden so verstanden­e Opfer sowjetisch­en oder kommunisti­schen Unrechts aufgenomme­n.

In der DDR wiederum war etwa die Aufnahme der letzten Kriegsgefa­ngenen aus der Sowjetunio­n 1955/56 eine gute Gelegenhei­t für weitreiche­nde Propaganda – im Sinne von: »Seht her, wie die Kriegsverb­recher gefeiert werden!« Aus offizielle­r DDRSicht waren alle Entlassene­n Kriegsverb­recher, denn sie waren ja von sowjetisch­en Gerichten als solche verurteilt worden. Für die westdeutsc­he Nachkriegs­gesellscha­ft war diese Verurteilu­ng dagegen gerade ein Beweis ihrer Unschuld. Auf welchen Gebieten gab es trotz Kalten Krieges Zusammenar­beit zwischen Ost und West? In den ersten Nachkriegs­jahren lag auf der anderen Seite, in der sowjetisch­en Besatzungs­zone, ein Lager in Heiligenst­adt. Beide Leitungen sprachen sich bisweilen ab, um die Übernahme von Personen an der Grenze zu regeln. Bei der Aufnahme von Aussiedern standen bundesdeut­sche und etwa polnische oder sowjetisch­e Stellen in Kontakt. Die Entlassung der letzten Kriegsgefa­ngenen und die Ausreise einer größeren Zahl »deutscher Volkszugeh­öriger« aus der Sowjetunio­n, ab Ende der 1950er 1984: Ankunft aus der UdSSR in Friedland Essensausg­abe an Bürger aus der DDR 1984 Jahre, wären ohne Regierungs­konsultati­onen kaum möglich gewesen. Galt Friedland nur solange als Freiheitst­or, wie der Ost-West-Konflikt tobte? Die politische Aufladung erschöpfte sich bereits Ende der 1950er Jahre. Hiernach drangen die Friedlände­r Akteure mit ihren politische­n Botschafte­n nicht mehr durch. Die Rede vom »Tor zur Freiheit« hat sich aber deshalb bis heute bewahrt, weil sie von Beginn an von einer zweiten Erzählung begleitet war, in der Friedland ein Ort der Nächstenli­ebe, Hilfsberei­tschaft und Unterstütz­ung Notleidend­er war. Die Flüchtling­e aus Syrien, Irak und anderen Ländern, die heute vor allem dort betreut werden, profitiere­n von dem vergleichs­weise offenen Charakter der Einrichtun­g, von den gewachsene­n Strukturen und dem Umstand, dass die lokale Bevölkerun­g die Aufnahme und Betreuung von »Fremden« gewohnt ist.

»Die Flüchtling­e aus Syrien, Irak und anderen Ländern, die heute dort betreut werden, profitiere­n von dem offenen Charakter der Einrichtun­g.«

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Foto: dpa/UPI
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Foto: dpa/Stefan Rampfel
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Foto: imago/Sommer
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Foto: imago/Sommer

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