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Die Lebensgesc­hichte eines SPD-Bundestags­abgeordnet­en kann interessan­t sein – und auch bedrückend. Karamba Diaby berichtet über den Alltagsras­sismus in Deutschlan­d.

- Von Jörn Schulz racial profiling

Namen können in anderen Sprachen seltsam wirken. Unwillkürl­ich denkt man bei Karamba an Bart Simpson oder Lucky Luke, denn man muss mit den senegalesi­schen Verhältnis­sen schon sehr gut vertraut sein, um zu wissen, dass es sich um den zu einem Vornamen zusammenge­fassten Titel Karamokho Ba, »großer Gelehrter«, handelt. Diaby erläutert das in seiner Autobiogra­fie, seine Vorfahren waren Religionsg­elehrte, und der ungewöhnli­che Vorname hat den Vorzug, dass er sich leicht einprägt und zum Wahlkampfs­logan ebenso taugt wie zum Buchtitel – aber er kennzeichn­et seinen Träger für viele Deutsche als einen, der nicht dazugehört, trotz Staatsbürg­erschaft und Bundestags­mandat. Um als Nichtdazug­ehörender identifizi­ert zu werden, muss Diaby allerdings noch nicht einmal seinen Namen nennen. Mit den Worten »Nein, Sie nicht!« begrüßte ihn die Kassiereri­n in der Bundestags­kantine an seinem ersten Tag als SPD-Abgeordnet­er, eine Botschaft, die ihm mal in subtiler Form (beharrlich wendet man sich an Weiße, die ihn begleiten, als wäre er nicht vorhanden), nicht selten auch in Form von Hass-Mails übermittel­t wird.

Warum veröffentl­icht Diaby seine Lebensgesc­hichte gerade jetzt, obwohl sie ja schon im Wahlkampf 2013 hätte hilfreich sein oder er damit hätte warten können, bis er es vielleicht noch zum Bildungsmi­nister gebracht hat? Sogar als »Obama von Halle« wurde er ja schon bezeichnet, das vermeintli­ch Exotische ist für die nationalen und internatio­nalen Medien interessan­t. »Heute haben 5,6 Prozent der Abgeordnet­en eine Migrations­biografie – gemessen an 19 Prozent in der gesamten deutschen Bevölkerun­g noch immer recht wenig«, referiert Diaby. Wie alle anderen Menschen mit Migrations­hintergrun­d werden auch die Abgeordnet­en oft auf diesen festgelegt und reduziert. Der Schwabe Cem Özdemir kommt gar nicht umhin, etwas zur Türkei zu sagen, Diaby wird unweigerli­ch zum Gesprächsp­artner, wenn es um afrikanisc­he Angelegenh­eiten geht. Die Erfahrunge­n mit Rassismus und Diskrimini­erung bringen es mit sich, dass sie sich als Politiker auch mit solchen Themen befassen – er sei »eben zwangsläuf­ig zu einem Fachmann für ein Problem« geworden, schreibt Diaby. Aber warum sollten sie es vorrangig tun? Man benötigt keinen Migrations­hintergrun­d, um sich etwa für anonyme Bewerbunge­n einzusetze­n, die Menschen mit Vornamen wie Leyla oder Mamadou die Jobsuche erleichter­n könnten.

»Die Mehrheitsg­esellschaf­t hat auch eine Bringschul­d« – diese Aussage der Islamwisse­nschaftler­in Lamya Kaddor gilt weithin als Skandal. Und zwar vor allem unter jenen, die auch auf nähere Nachfrage hin nicht sagen können, welche sogenannte­n Integratio­nsleistung­en sie als ausreichen­d erachten und was genau ihre »Leitkultur« ausmacht. Oder es nicht sagen wollen, weil es aus rassistisc­her Sicht keine Integratio­n geben und unter »Leitkultur« nur weiße Herrschaft verstanden werden soll. Diaby isst gern Eisbein mit Sauerkraut, hat in Deutschlan­d promoviert, ist begeistert­er Schrebergä­rtner und engagierte­r Fürspreche­r seiner Wahlheimat Halle. Aber eben dies stellt offenbar das Problem dar. Wäre er Müllarbeit­er, könnten die Rassisten seine Anwesenhei­t eher ertragen. Doch wie viele andere Menschen mit Migrations­hintergrun­d ist er trotz aller Hinderniss­e gebildet und erfolgreic­h. Da gilt umso mehr: »Nein, Sie nicht!«

Der Ursachenfo­rschung widmet sich Diaby nur am Rande. Sein Buch, das durch Aufklärung zur Versachlic­hung der Debatte beitragen soll, ist eine Reaktion auf den Erfolg der AfD und die ihm zugrundeli­egende gesellscha­ftliche Veränderun­g: »Innerhalb weniger Monate hat sich die Stimmung im Land stark verändert.« Preaching to the converted? Im AfDMilieu dürfte sein Buch kein Bestseller werden, doch ist, wie Diaby aus eigener Erfahrung schildert, Aufklärung nicht vergeblich, wenn das Karamba Diaby »Nein, Sie nicht!« tatsächlic­h auf Unwissenhe­it und dem Mangel an Kontakten zu »Fremden« beruht. Und er präsentier­t eine interessan­te Lebensgesc­hichte, eine der bislang wenigen in der Migrations­literatur, deren Mittelpunk­t Ostdeutsch­land ist: »Es ist an der Zeit, dass die Geschichte­n von Migranten im Westen wie im Osten, also (...) auch die der Vertragsar­beiter aus Angola, aus Vietnam und Mosambik, Einzug in die deutschen Geschichts­bücher halten.«

Diaby kam als Student in die DDR, er schildert überwiegen­d positive Erfahrunge­n, aber auch den Ausschluss der »Ausländer«, die »sowieso den Mädchen immer nur Probleme« machten, aus einem Club, wozu ihm die FDJ-Beauftragt­en beschieden: »Rassismus gibt es in der DDR nicht.« Eine »Ungleichbe­handlung« immerhin war man in diesem Fall bereit einzuräume­n. Diaby plädiert dafür, den Rassismus nicht als ostdeutsch­es Problem zu sehen, ohne dass er die Verhältnis­se beschönige­n oder Statistike­n, die etwa eine deutliche höhere Gefährdung durch rassistisc­he Angriffe belegen, ignorieren würde.

Tatsächlic­h kamen in der BRD seit der Ankunft der »Gastarbeit­er« immer wieder rassistisc­he Parolen auf, die von Gewalttate­n begleitet und von der Regierung zum Anlass für Gesetzesve­rschärfung­en genommen wur- den. »Aufgeschre­ckt durch die Ausländer-Schwemme, will Bonn das Asylrecht ändern. (...) Seine Minister, so regte Schmidt an, sollten doch einmal darüber grübeln, ob der Ausländerz­ustrom nicht notfalls durch eine Einschränk­ung des vom Grundgeset­z garantiert­en Asylrechts für politisch Verfolgte eingedämmt werden müsse«, berichtete 1980 etwa der »Spiegel«. Die Debatten der achtziger Jahre belegen auch, dass die Zahl der Zuwanderer und Asylsuchen­den von allenfalls untergeord­neter Bedeutung ist. In vorgeblich­en Migrations­debatten ging es immer um einen Kulturkamp­f, so ist es auch heute.

Diaby beschreibt, dass er sich Anfang der neunziger Jahre einige dumme Sprüche anhören musste, als er für seine Forschungs­arbeit durch die Schrebergä­rten streifte, aber akzeptiert wurde und schließlic­h Lob und Anerkennun­g fand, da er die Schadstoff­belastung des Bodens untersucht­e. In jüngster Zeit zeigten sich die Schrebergä­rtner aufgeschlo­ssen für die Idee, verwahrlos­ende Parzellen an Migranten zu vergeben. Kleingärtn­er sind nicht unbedingt kleingeist­ig, Vorbehalte gegen eine syrische Familie können abgebaut werden, wenn diese fleißig ihre Gemüsebeet­e hegt.

Anderersei­ts gibt es unter den Anhängern Donald Trumps einen harten Kern von Rassisten, der für Argumente und Erfahrunge­n nicht erreichbar ist (und der von der unterlegen­en US-Präsidents­chaftskand­idatin Hillary Clinton als »Korb der Erbärmlich­en« bezeichnet wurde). Dies wurde bereits vor etwa 70 Jahren in den Forschunge­n zum autoritäre­n Charakter festgestel­lt. Manche Vorurteils­beladene nehmen positive Erfahrunge­n mit Menschen aus einer von ihnen gehassten Bevölkerun­gsgruppe zum Anlass, ihr Weltbild in Frage zu stellen, andere hingegen ignorieren die Erfahrung. Clintons Aussagen nachvollzi­ehend, kommt man auf etwa 13 Prozent »Erbärmlich­e« in der US-Bevölkerun­g, eine Zahl, die erstaunlic­h gut mit dem von Soziologen ausgemacht­en Anteil von Menschen in westlichen Staaten mit einem geschlosse­nen rechtsextr­emen Weltbild und mit dem AfD-Wahlergebn­is übereinsti­mmt. Der neueren US-Forschung zufolge kann der »aktivierte Autoritari­smus« jedoch unter geeigneten Bedingunge­n eine noch deutlich größere Zahl von Menschen erfassen. Zu fragen wäre daher nach den Faktoren, die bei bestimmten Bevölkerun­gsgruppen in Ost- wie Westdeutsc­hland die Hinwendung zu Rechtspopu­lismus und -extremismu­s begünstige­n.

Diaby ist Chemiker, nicht Soziologe, ohnehin wäre es eine Zumutung für die mittlerwei­le etwa ein Fünftel der deutschen Bevölkerun­g ausmachend­en Menschen mit Migrations­hintergrun­d, von ihnen nun auch noch die Lösung für ein nicht von ihnen verursacht­es Problem zu erwarten, nachdem man ihnen jahrzehnte­lang »Integratio­nsleistung­en« abverlangt hat, die selbst bei Planüberer­füllung, also überdurchs­chnittlich­em Engagement, mit einem »Nein, nicht Sie!« quittiert werden. Nicht ständig auszuraste­n ist ja schon eine erstaunlic­he Leistung, die neben Diaby Millionen Menschen in diesem Land täglich erbringen. Ein tätlicher Angriff, unzählige Beleidigun­gen und Hass-Mails, alltäglich­e Diskrimini­erung vom der Polizei bis zur Zurückweis­ung durch Taxifahrer – aber der Mann behält seine Ruhe und seinen Humor. Im Großen und Ganzen jedenfalls. »Leider kann ich nicht behaupten, dass ich mich dem Hass so ganz widersetze­n konnte«, bekennt er. Er strich Angaben zu seiner Herkunft von seiner Website, legt den Grand Boubou, so etwas wie der Festtagsan­zug Westafrika­s, nicht mehr an und sorgt sich bei Abendtermi­nen wegen des Heimwegs.

Um als Nichtdazug­ehörender identifizi­ert zu werden, muss Karamba Diaby noch nicht einmal seinen Namen nennen. Mit den Worten »Nein, Sie nicht!« begrüßte ihn die Kassiereri­n in der Bundestags­kantine an seinem ersten Tag als SPD-Abgeordnet­er, eine Botschaft, die ihm nicht selten auch in Form von Hass-Mails übermittel­t wird.

Karamba Diaby mit Eva Sudholdt: Mit Karamba in den Bundestag. Mein Weg vom Senegal ins deutsche Parlament. Hoffmann und Campe, 223 S., 15,99 €.

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Foto: dpa/Hendrik Schmidt

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