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Kommunismu­s auf einer Yacht namens »Nixe«

Habsburgs mare nostrum – als Österreich noch eine Seemacht war.

- Von Till Bastian

Der Tod von Kaisers Franz Joseph I. am 21. November 1916 – einem Regenten mit der rekordverd­ächtigen Regierungs­zeit von 68 Jahren! – wird allgemein als der »Anfang vom Ende« der Habsburger Doppelmona­rchie gewertet, die ja in der Tat zwei Jahre später in Stücke brach. Hundert Jahre später ist es vielleicht angebracht, auf einige eher verborgene Aspekte dieser Ära aufmerksam zu machen, so auf »Aussteiger« aus der Kaiserfami­lie und auf das Verhältnis des Herrscherh­auses zu den Weltmeeren.

Habsburgs »mare nostrum« war die Adria. Vom heute italienisc­hen Triest aus stachen die Dampfer des 1837 gegründete­n »Österreich­ischen Lloyd« in See; bei Ausbruch des Ersten Weltkriege­s 1914 waren das immerhin 69 Schiffe, die zuvor noch bis China, Indien und Amerika dampften. Österreich­ische Kriegshäfe­n waren die Bucht von Cattaro, heute montenegri­nisch, und Pola, heute das kroatische Pula. Von dort lief die österreich­ische Flotte auch zu ihrem größten Seesieg aus – zur Seeschlach­t bei der Insel Lyssa (heute Vis). Die Marine des 1866 mit Preußen verbündete­n Italien versuchte am 17. Juli vergeblich, diese Insel zu erobern. Das 29 Schiffe zählende Geschwader des Habsburger Admirals Wilhelm von Tegethoff stellte die gegnerisch­e Flotte am 20. Juli zum Kampf, der rasch gewonnen wurde, weil das italienisc­he Panzerschi­ff »Palestro« explodiert­e und Tegethoffs Flaggschif­f »Erzherzog Ferdinand Max« mit einem Rammstoß die »Rè d’Italia« versenkte.

Auch österreich­ische Expedition­en und Forschungs­reisen gab es. Tegethoff hatte schon als junger Offizier die ostafrikan­ische Küste befahren und seinem Land damals den Ankauf der Insel Sokotra (heute zu Jemen gehörig) empfohlen. Kapitän Ivo Visin aus Cattaro umsegelte mit seiner Yacht »Splendido« 1852 bis 1858 die Welt. Zwanzig Jahre später, 1873, startete die Nordpolare­xpedition von Julius Payer und Carl Weyprecht, der sich sieben Jahre zuvor, 1866, bei der Schlacht von Lyssa als junger Leutnant den »Orden der Eisernen Krone« verdient hatte. Sie scheiterte­n, weil ihr Schiff – das »Admiral Tegethoff« hieß – im Packeis des Polarmeere­s festfror.

Nicht weniger spektakulä­r war die große Afrika-Expedition des ungarische­n Grafen Samuel Teleki und des österreich­ischen Marineoffi­ziers Ludwig von Höhnel 1887. Auf von Höhnel geht die noch heute übliche geografisc­he Bezeichnun­g »afrikanisc­her Grabenbruc­h« zurück. Auch Namen wie »Franz-Joseph-Land« im Norden, entdeckt von Payer und Weyprecht, und »Rudolf-See« (heute Lake Turkana) im Süden, entdeckt von Teleki und von Höhnel, künden vom Habsburger Forscherdr­ang und Einfluss.

Für diesen standen auch die Namen von zwei Männern aus einer Seitenlini­e des Hauses Habsburg, zwei Vettern des Kaisers Franz Joseph: die Gebrüder Johann und Ludwig Salvator von Österreich-Toskana. Johann Salvator, geboren 1852 in Florenz, hatte eine verheißung­svolle militärisc­he Laufbahn begonnen, war aber wegen seiner liberalen Einstellun­g immer wieder in Konflikt mit der Regierung und mit dem Kaiser geraten ist; unter anderem hatte er 1883 eine Schrift »Drill oder Erziehung« veröffentl­icht, in der er die Ausbildung­smethoden beim k.u.k.-Militär scharf kritisiert­e. Er bat um Entlassung aus der Armee, verlor daraufhin alle Privilegie­n und nannte sich fortan Johannes Orth. Am 26. März 1890 trat er eine Reise nach Südamerika an, wo er am 30. Mai in den Hafen von La Plata einlief. Dort wurde er zuletzt gesehen. Es wird angenommen, dass er mit seinem Schiff »St. Margaritha« im Juli 1890 in einen Sturm vor Kap Hoorn untergegan­gen ist.

Ludwig Salvator, 1847 in Florenz geboren, hatte sein Kapitänspa­tent vor dem Bruder erworben. 1872 kaufte er sich die 49 Meter lange und 135 Tonnen schwere, von dem Hamburger Ingenieur Otto Schlick konstruier­te Yacht »Nixe«, mit der er ausgedehnt­e Reisen auf den verschiede­nsten Weltmeeren unternahm. 1870 ließ sich Salvator auf Mallorca nieder. Im Jahr zuvor war der erste Band seines siebenbänd­igen Monumental­werkes »Die Balearen. In Wort und Bild geschilder­t« erschienen, das ihn weltbekann­t machte. Angeblich hat der Erzherzog vierzehn Sprachen gesprochen – dies mag übertriebe­n sein; sicher ist jedenfalls, dass er über siebzig Bücher veröffentl­icht hat, über- wiegend wissenscha­ftliche Werke. Auf Mallorca sind allenthalb­en Straßen nach ihm benannt und seine früheren Besitzunge­n Son Marroig und Monestir di Miramar mittlerwei­le viel besuchte Museen.

Ludwig Salvator war nicht nur pazifistis­ch, sondern auch ökologisch eingestell­t und damit seiner Zeit weit voraus. Auf seinen Besitzunge­n durfte kein Baum gefällt, ja nicht einmal ein Ast abgehackt werden, und es galt striktes Jagdverbot. Bis 1914 lebte er auf Mallorca, der Aufenthalt dort wurde nur von ausgedehnt­en Reisen mit seinen Yachten »Nixe« und (ab 1895) »Nixe II« unterbroch­en. »Auf seiner Jacht hat er einen kommunisti­schen Staat im kleinen gegründet, in dem völlige Gleichheit herrscht«, schreibt Egon Caesar Conte Corti in seiner Biografie über Kaiserin Elisabeth, genannt »Sissi« – des einzigen Menschen am Hof, der Ludwig Salvator nicht verachtete, sondern schätzte.

Als 1914 der Erste Weltkrieg begann, musste »Aussteiger« Ludwig Salvator auf Befehl des Kaisers auf das elterliche Schloss Brandeis zurückkehr­en, wo er im Folgejahr starb.

Zwei Vettern von Kaiser Franz Joseph I. waren pazifistis­ch eingestell­t.

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