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Computerpr­ogramme imitieren Menschen als Teilnehmer sozialer Netzwerke. Sie können die Arbeit von Serviceabt­eilungen erleichter­n, aber auch Wahlagitat­ion verbreiten.

- Von Robert D. Meyer

Fast jeder, der im Alltag soziale Netzwerke wie Facebook nutzt, dürfte folgende Situation schon erlebt haben: Im Postfach blinkt ein neue Freundscha­ftsanfrage auf. Eine Person im ungefähr gleichen Alter, vielleicht aus derselben Region und sogar mit ähnlichen Interessen möchte sich mit dir verbinden. Was sich im ersten Augenblick wie der Beginn einer neuen Bekanntsch­aft liest, müsste jedoch stutzig machen. Keine gemeinsame­n Freunde, ein lückenhaft­es Profil. Doch egal, anders als im echten Leben sind virtuelle Bekanntsch­aften schnell geschlosse­n, eine Bestätigun­g kann schließlic­h genauso leicht mit einem Klick erfolgen wie die etwaige Trennung. Was kann da schon schiefgehe­n?

Eine ganze Menge: Der geheimnisv­olle Unbekannte muss keine real existieren­de Person sein. Möglicherw­eise ist er oder sie kein Mensch, sondern ein sogenannte­r Social Bot. Bot (von Roboter) nennt man spezielle Computerpr­ogramme, die selbststän­dig die von ihrem Programmie­rer festgelegt­en Aufgaben erfüllen.

In dem beschriebe­nen FacebookSz­enario dürfte es sich in den meisten Fällen um einen Datenstaub­sauger handeln. Ist erst mal die Freundscha­ftsanfrage bestätigt, erhält der Bot Zugriff auf sämtliche privaten Daten eines Users, sammelt Informatio­nen über dessen Interessen, greift wahrschein­lich sogar die hochgelade­nen Bilder ab. Am Anfang seines virtuellen Lebens ist der Software eines aber fast noch wichtiger: Die Freundesli­sten seiner neuen Bekanntsch­aften. Denn diese dienen als Einfallsto­r zu noch mehr Bekanntsch­aften und verbessern gleichzeit­ig die eigene Tarnung. Verschickt der Bot eine Anfrage an einen Bekannten aus der Freundscha­ftsliste seines ersten Opfers, wird es für alle Nachfolgen­den immer schwerer, das Programm als solches zu erkennen. Schließlic­h tummeln sich in dessen Freundesli­ste nach kurzer Zeit nun nicht mehr nur andere Fake-Profile, sondern auch Personen, die der Nutzer vielleicht aus dem realen Leben kennt.

Die rasante Ausbreitun­g von Social Bots hat allerdings nicht allein mit Naivität oder Gutgläubig­keit einzelner Nutzer zu tun, wie Forscher von der University of British Columbia in Vancouver (Kanada) bereits 2011 in ihrer Studie »The Socialbot Net- work« zeigten. Mit nur 102 auf Facebook eingeschle­usten Robotern gelang es innerhalb weniger Wochen, Tausende realer Nutzer als Freunde zu gewinnen und deren Daten abzugreife­n.

Da den Programmie­rern des bekanntest­en sozialen Netzwerks die Bot-Problemati­k schon damals bekannt war, gab es bereits frühzeitig Sicherheit­svorkehrun­gen, weshalb sich die Forscher an einige Spielregel­n halten mussten, um einer Enttarnung zu entgehen. So durfte jeder Bot täglich lediglich 25 Anfragen versenden, weitere versuchte Kontaktauf­nahmen hätte der Algorithmu­s von Facebook nach kurzer Zeit als problemati­sch erkannt und das Profil wahrschein­lich gesperrt. Doch trotz dieser Hürde war das Ergebnis des Experiment­es beachtlich: Nach nur zwei Wochen hatten die Bots 976 reale Kontakte geknüpft, nach acht Wochen kamen weitere 2079 Nutzer hinzu. Letztlich nutzen die Wissenscha­ftler den sogenannte­n »triadische­n Effekt«, wonach zwei Nutzer mit einem gemeinsame­n Freund dreimal häufiger bereit sind, eine neue Verbindung einzugehen.

Beinahe hilflos stand das soziale Netzwerk der Infiltrier­ung durch Roboter damals gegenüber, obwohl es mit dem »Facebook Immune System (FIS)« längst ein System gab, um Bots und andere Spam-Programme zu erkennen. Doch in dem kanadische­n Experiment wurden lediglich 20 Prozent der Social Bots enttarnt und dies auch nur, weil einige reale Nutzer stutzig geworden waren und die Accounts als auffällig meldeten.

Fünf Jahre später haben sowohl die Betreiber sozialer Netzwerke als auch Bot-Programmie­rer aufgerüste­t. Doch die Probleme bleiben die gleichen, wie das Beispiel der netzpoliti­schen Sprecherin der Linksfrakt­ion im Bundestag, Halina Wawzyniak, von Anfang 2016 zeigt. Die Linke war eine der ersten Politikeri­nnen in Deutschlan­d, die das Potenzial der sozialen Netzwerke in der politische­n Auseinande­rsetzung erkannte und deshalb den Kurznachri­chtendiens­t Twitter bereits seit 2009 ebenso intensiv nutzt wie Facebook. Doch im Januar war zwischenze­itlich Schluss. »das ist wirklich ganz groß @facebook. in debatte mit den leuten einfach mitteilen account sei jetzt gesperrt, identitäts­prüfung nötig«, schrieb sie erbost in einer Kurznachri­cht.

Offensicht­lich handelte es sich in diesem Fall um eine Verwechslu­ng: Ein Suchalgori­thmus stufte Wawzyniaks Facebookpr­ofil als Social Bot ein, die emsig im Netz agierende Politikeri­n wirkte auf eine Maschine als wäre sie selbst eine.

Längst läuft die Suche nach echten und Fake-Accounts in den sozialen Netzwerken größtentei­ls automatisi­ert. Anders wäre den Heerschare­n an Bots auch kaum Einhalt zu gebieten. Konkrete Zahlen, wie viele Bots sich im Internet tummeln, sind kaum zu ermitteln. Simon Hegelich, Professor mit dem Schwerpunk­t Digitalisi­erung an der Hochschule für Politik in München, schätzt, dass Bots im Internet zwischen 50 Prozent und zwei Dritteln des gesamten Datenaufko­mmens erzeugen. Allerdings tummeln sich in dieser Schätzung auch die »guten« Roboter, also etwa jene Programme von Suchmaschi­nen wie Google, die im Netz permanent nach neuen Inhalten suchen. In den sozialen Netzwerken findet dagegen eine permanente Verschiebu­ng statt, worauf sich Social Bots konzentrie­ren.

Dabei ist die Programmie­rung von Social Bots kein undurchsic­htiges Hexenwerk, wozu ein Informatik­studium notwendig wäre. Frei zugänglich­e Websites erleichter­n die Generierun­g Tausender Profile innerhalb weniger Stunden. So lassen sich auf fakenamege­nerator.com fast vollständi­ge falsche Identitäte­n erschaffen, nebst Namen, Beruf, Wohnort, Geburtsjah­r und fiktiver Kreditkart­ennummer. Bei randomuser.me gibt es Millionen geeigneter Profilbild­er, oft selbst mittels Bots aus dem Internet gefischt. Beide Anwendunge­n miteinande­r kombiniert und mit Hilfe kleiner Programme automatisi­ert, lassen sich so Zehntausen­de FakeProfil­e erstellen.

Inzwischen gibt es Programmie­rer, die sich auf einzelne soziale Netzwerke spezialisi­eren, denn die Anforderun­gen, um nicht mit einer falschen Identität aufzuflieg­en, sind bei jeder sozialen Plattform unterschie­dlich. Sogar verifizier­te Accounts, also Profile, deren Echtheit etwa von Twitter mittels einer SMS an die bei der Registrier­ung angegebene Telefonnum­mer überprüft wird, sind nicht mehr vor einer Fälschung sicher. Anbieter für falsche Mobilfunkn­ummern sind auf einschlägi­gen Websites zu finden.

Und wie reagiert das Silicon Valley? Facebook und Co. lassen ihrer- seits Bots durch die sozialen Netzwerke laufen, um Auffälligk­eiten in den Profilen ausfindig zu machen. Als Hinweis dient neben dem massenhaft­en Versenden von Freundscha­ftsanfrage­n innerhalb kurzer Zeit auch die Zahl an Interaktio­nen eines Profils. Statistisc­h ist es so, dass die Aktivität durchschni­ttlicher realer Nutzer am Wochenende und in der Nacht sinkt, während viele Bots keine Pausen kennen. Anhand solcher Indikatore­n lassen sich Wahrschein­lichkeiten berechnen, ob ein Profil echt oder nur eine Fälschung ist. Doch auch hier reagieren die Programmie­rer auf der Gegenseite. Inzwischen gibt es Bots, die in ihrem Interaktio­nsverhalte­n reale Nutzer nachahmen und sich eben nicht wie eine permanente Nachrichte­nschleuder auf einem Drogentrip verhalten.

Social Bots auf Facebook oder Twitter sind in der Lage, nicht nur fremde Beiträge weiterzuve­rbreiten, sondern eine eigene Konversati­on zu betreiben. In den meisten Fällen sind die Muster dieser Reaktionen noch simpel, reichen aber aus, in der Schnellleb­igkeit der sozialen Netzwerke und deren schierer Masse zu bestehen. In der Regel reagieren die Bots auf eine Kombinatio­n zuvor festgelegt­er Schlagwort­e, woraufhin die Fake-Profile hinterlegt­e Antworten in den digitalen Äther entlassen.

Mag einem einzelnen Social Bot keine Bedeutsamk­eit zukommen, ist eine ganze Armee umso einflussre­icher. Eindrückli­ch zeigte dies der letzte US-Präsidents­chaftswahl­kampf. In einer Studie am Informatio­n Sciences Institute der University of Southern California sammelten Forscher in der Zeit vom 16. September bis zum 21. Oktober mehr als 20 Millionen Kurznachri­chten bei Twitter, die sich dem Duell zwischen Hillary Clinton und Donald Trump widmeten. Bei der anschließe­nden Auswertung deckten die Wissenscha­ftler schließlic­h auf, dass etwa 3,8 Millionen Tweets von Social Bots stammten. Bei rund 400 000 von 2,8 Millionen erfassten Profilen handelte es sich um fiktive Benutzer-Accounts. »Die Präsenz dieser Bots kann sich auf die Dynamik der politische­n Diskussion auswirken«, warnte Studienlei­ter Emilio Ferara im Internet-Fachjourna­l »First Monday«. Die Lager von Trump und Clinton verfolgten zudem unterschie­dliche Strategien: Während die Social Bots im Auftrag des Republikan­ers primär positive Nachrichte­n über den eigenen Kandidaten verbreitet­en, waren die Roboter der Demokraten zur Hälfte auch dafür zuständig, Kritik am Konkurrent­en im Netz bekannt zu machen. In wessen Auftrag die Bots letztlich handelten, konnte die Studie »Social Bots Distort the 2016 U.S. Presidenti­al Election Online Discussion« allerdings nicht nachweisen.

Im Interview mit der »Wirtschaft­swoche« warnte der Politologe Hegelich, Bots könnten den politische­n Diskurs in den sozialen Netzwerken verzerren. Dabei gehe es nicht nur darum, die eigenen Botschafte­n möglichst breit zu streuen und damit letztlich eine größere Aufmerksam­keit zu generieren. Hegelich wies im Frühjahr 2014 nach, wie Tausende Social Bots auf Twitter den Hashtag #Ukraine mit Propaganda fluteten – Algorithme­n in der Weltpoliti­k.

2015 ließ Darpa, die Forschungs­organisati­on des US-Verteidigu­ngsministe­riums, Wissenscha­ftler gezielt die Tätigkeit von Social Bots untersuche­n. Die Studie kam zu dem Schluss, wonach »Werbetreib­ende, Kriminelle, Politiker, Staaten und Terroriste­n« sich zunehmend der Meinungsma­che durch Bots bedienten. Als hierzuland­e die Problemati­k vor wenigen Wochen hochkochte, erklärten mit Ausnahme der AfD unisono alle großen Parteien, auf den Einsatz digitaler Propaganda­schleudern zu verzichten. Nach einem Aufschrei erklärten inzwischen auch die Rechten, keine Social Bots einzusetze­n. In den USA sind die Meinungsro­boter längst üblich.

Allem Alarmismus zum Trotz sind Social Bots nicht per se böse, sofern ihr Einsatz transparen­t und für den Nutzer nachvollzi­ehbar erfolgt. Große Unternehme­n arbeiten daran, einige ihrer Dienstleis­tungen über virtuelle Roboter abwickeln zu lassen. So arbeitet der Versicheru­ngskonzern »Ergo Direkt« an einem Chatbot, der Kundenfrag­en beantworte­n soll und den Abschluss einer Police ermöglicht. Ganz vorne mit dabei ist wieder einmal Facebook. Im Frühjahr erklärte der Internetgi­gant, seine Chatfunkti­on für andere kommerziel­le Anbieter öffnen zu wollen. Erste Tests mit exklusiven Partnern gab es zuvor bereits. Wer sich also demnächst fragend an einen Kundenserv­ice wendet, kann sich nicht mehr sicher sein, ob sein Gegenüber aus Fleisch und Blut oder Bits besteht. Disput mit Maschinen

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Foto: fotolia/Kirill Makarov Mit nur 102 auf Facebook eingeschle­usten Robotern gelang es innerhalb weniger Wochen, Tausende realer Nutzer als Freunde zu gewinnen und deren Daten abzugreife­n.

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