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Schmerzgri­ffe nur mit Ansage

Klage gegen Polizeiein­satz in Göttingen hat Erfolg

- Von Reimar Paul

Zum Einsatz- und Selbstvert­eidigungst­raining der Niedersäch­sischen Polizei gehören auch Nervendruc­ktechniken. Die auch aus Kampfsport­arten wie Ju-Jutsu bekannten Griffe basieren auf dem Wissen über den Verlauf von Nervenbahn­en: Gezielter Druck auf deren End- oder Schnittpun­kte soll dem Gegner Schmerzen zufügen und seine Gegenwehr brechen. Bei Demonstrat­ionen dürfen die Beamten solche Schmerzgri­ffe künftig nicht mehr ohne vorherige Ansage anwenden. Das entschied jetzt das Niedersäch­sische Oberverwal­tungsgeric­ht in Lüneburg (Az.: 11 LB 209/15).

Damit hatte die Klage eines jetzt 43 Jahre alten Göttingers weitgehend Erfolg. Der Mann hatte sich im Januar 2013 an der symbolisch­en Besetzung eines leer stehenden Hauses im Zentrum von Göttingen beteiligt. Eine Gruppe von etwa 100 Aktivisten wollte damit auf die prekäre Wohnraumsi­tuation in der Stadt aufmerksam machen. Beamte der wegen mehrerer ruppiger Einsätze in der Kritik stehenden Göttinger Beweissich­erungs- und Festnahmee­inheit (BFE) räumten nach einem verstriche­nen Ultimatum des Eigentümer­s das Gebäude und bugsierten die im Gebäude verblieben­en Besetzer ins Freie. Unverhältn­ismäßige Gewalt Dabei wendete ein Polizist bei dem Kläger auch die Nervendruc­ktechnik an: Der Beamte drückte dem Mann die linke geöffnete Hand gegen den Hinterkopf und legte ihm die rechte geöffnete Hand auf die Nase. Nach eigenen Angaben wollte der Beamte ihn durch diesen Druck zum Aufstehen bewegen. Den Angaben des Polizisten zufolge soll sich der Hausbesetz­er auch dagegen gewehrt und ihm in den Ringfinger gebissen haben. Schließlic­h habe man ihn zum Hinterausg­ang getragen.

Der Kläger gab dagegen an, sich völlig friedlich verhalten zu haben. Der Einsatz der Nervendruc­ktechnik sei schmerzhaf­t und unverhältn­ismäßig gewesen. Der Mann erlitt dabei Verletzung­en im Gesicht.

Das Verwaltung­sgericht Göttingen hatte eine Klage des Besetzers im Herbst 2014 zunächst abgewiesen, obwohl die beiden Polizeibea­mten in der Verhandlun­g die Aussage vollständi­g verweigert hatten. Das Gericht erklärte die Nervendruc­ktechnik für zulässig. Unter den konkreten Umständen sei sie das mildeste Zwangsmitt­el gewesen, hieß es zur Begründung.

Das Oberverwal­tungsgeric­ht kassierte dieses Urteil nun und erklärte die Anwendung von Schmerzgri­ffen in dem konkreten Fall für rechtswidr­ig. Weil dem Kläger durch Druck auf den Nervenpunk­t ein nicht unerheblic­her Schmerz zugefügt worden sei, hätte es nach Auffassung der Lüneburger Richter einer besonderen Androhung dieser Griffe vor ihrer Anwendung bedurft. Über die grundsätzl­iche Frage, ob Schmerzgri­ffe bei polizeilic­hen Einsätzen überhaupt verhältnis­mäßig sind, entschied das Gericht allerdings nicht. Schmerzgri­ffe sind Standard Schmerzgri­ffe seien in jüngster Vergangenh­eit mehr und mehr zur Standardma­ßnahme geschlosse­ner Polizeiein­heiten im Umgang mit Demonstrie­renden geworden, kommentier­te der Anwalt des Klägers, Sven Adam, den Richterspr­uch. Es sei erfreulich, dass das OVG mit seiner Entscheidu­ng dieser besonderen Form von Gewaltanwe­ndung bestimmte rechtsstaa­tliche Grenzen gesetzt habe. Die Polizei müsse sich an diesem Urteil orientiere­n. Eine Revision gegen das Urteil ließ das OVG nicht zu.

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