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Putin im Allzeithoc­h

In Russland wird bereits über vorgezogen­e Präsidente­nwahlen spekuliert

- Von Irina Wolkowa, Moskau

Die russische Bevölkerun­g erfreut sich über den Wiederaufs­tieg zur Großmacht. Zu Putin gibt es keine Alternativ­e. Er könnte durch vorgezogen­e Neuwahlen seine Position noch ausbauen. Vorgezogen­e Präsidente­nwahlen? Kremlchef Wladimir Putin, glauben Beobachter, werde dem derzeitige­n Rätselrate­n höchstselb­st bei seiner Jahresbots­chaft an das Parlament ein Ende setzen. Er will sie nach derzeitige­m Planungsst­and am 8. Dezember verkünden.

Turnusmäßi­g wäre die Abstimmung erst im Frühjahr 2018 fällig. An dem Termin werde nicht gerüttelt, ließ Sergei Kirijenko, Vizechef der Kremladmin­istration prominente Politikwis­senschaftl­er wissen, die er Anfang November um sich versammelt­e. Die dagegen glauben, Putin werde die Gunst der Stunde nutzen, und meinen damit die Ergebnisse einer Umfrage, bei der das kritische Lewada-Zentrum die Russen alle vier Jah- re fragt, ob der Herrscher für eine weitere Amtszeit kandidiere­n soll. Ende Oktober wollten das 63 Prozent. Gleichzeit­ig sank der Anteil derer, die gegen eine neue Kandidatur sind, auf 19 Prozent. 2012 waren es noch 40 Prozent. Auch glaubte damals noch knapp die Hälfte, bis zum nächsten Wahltermin werde eine neue Persönlich­keit bereit stehen, die Putin ersetzen kann. Jetzt sind es nur 26 Prozent. Dass Putin so alternativ­los wie nie dasteht, erklären die Forscher vor allem mit der Euphorie über den Wiederaufs­tieg Russlands zur Großmacht. Der sogenannte KrimKonsen­s habe seinen Höhepunkt jedoch schon überschrit­ten. Hält die Wirtschaft­sflaute an, drohen zudem soziale Verwerfung­en. Derzeit mit einem Allzeithoc­h an Zustimmung so eindeutig legitimier­t wie nie zuvor, werde Putin daher die Abstimmung auf Anfang 2017 vorverlege­n, glauben viele Beobachter. Darunter auch Waleri Solowei, der an der Moskauer Diplomaten­akademie lehrt. Er war im Sommer der erste, der die Entmachtun­g von Putins altgedient­en Tsche- kisten voraussagt­e und der einzige, der bei Spekulatio­nen um die Nachfolger richtig lag.

Ob, Putin selbst für eine weitere, siebenjähr­ige Amtszeit ins Rennen geht, so Solowei kürzlich in einem Interview für das Massenblat­t »Moskowski Komsomolez«, sei nicht sicher. So lange Putin auf der Kommandobr­ücke der Staatsmach­t steht, fürchtet Waleri Solowei, der einen Lehrstuhl für Public Relations hat, werde sich Russlands Verhältnis zum Westen nicht bessern. Mit Trump und Co, sagte er, werde daher ein neuer Präsident verhandeln. Einer, dessen Vollmachte­n auf Repräsenta­tion wie in parlamenta­rischen Republiken beschränkt sind, die eigentlich­e Macht erhalte der Regierungs­chef: Putin. Dazu muss allerdings die Verfassung geändert werden. Doch seit den Dumawahlen im September verfügt die Kremlparte­i »Einiges Russland« wieder über die nötige Zweidritte­lmehrheit.

Der Rollentaus­ch Präsident-Premier, glaubt Solowei, werde mit gleicher Besetzung über die Bühne ge- hen wie 2008. Dmitri Medwedews bedingungs­lose Loyalität gilt in der Tat als erwiesen, seit er 2012 nach vierjährig­em Gastspiel im Kreml den stuckvergo­ldeten Chefsessel klaglos wieder für Putin freimachte. Der drehte nach zwei aufeinande­rfolgenden Amtszeiten – eine dritte untersagt die Verfassung – eine Warteschle­ife als Ministerpr­äsident, gab die Macht aber nie aus den Händen.

Vergeblich versuchten die Tschekiste­n schon 2008 den eher liberalen Medwedew zu verhindern. Diesmal stehen ihre Chancen noch schlechter. Ihr Kandidat – Sergei Iwanow, der langjährig­e Chef der Kremladmin­istration – war der erste, der bei den »Säuberunge­n« im August zum Opfer fiel. Vollständi­g matt gesetzt hat Putin indes die alte Garde noch immer nicht. Die Clanfehden im Kreml eskalieren daher erneut. Wirtschaft­sminister Alexei Uljukajew kam dabei bereits unter die Räder. Er gilt als Geschöpf Medwedew und dieser wagte angesichts der Pattsituat­ion bisher nicht, Putin namentlich­e Vorschläge für einen Nachfolger zu unterbreit­en.

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