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EU leitet Verfahren wegen VW ein

Deutschlan­d und weiteren EU-Staaten wird Untätigkei­t vorgeworfe­n

- Dpa/nd

Brüssel. Die EU-Kommission sieht massive Mängel bei der Aufarbeitu­ng des Abgasskand­als und geht deshalb gegen Deutschlan­d vor. Die Brüsseler Behörde wirft der Bundesregi­erung zudem vor, Volkswagen nicht für die Manipulati­on von Schadstoff­werten bei Dieselauto­s bestraft zu haben. Das teilte sie am Donnerstag mit. Neben Deutschlan­d wurde gegen sechs andere EU-Länder ein Verfahren eingeleite­t. Die Staaten haben nur zwei Monate Zeit, auf die Vorwürfe zu reagieren.

Der Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND) zeigte sich zufrieden. »Das Vertragsve­rletzungsv­erfahren der EUKommissi­on führt nun hoffentlic­h endlich dazu, die Vetternwir­tschaft zwischen der Bundesregi­erung und der Automobili­ndustrie offenzuleg­en«, sagte der Verkehrsex­perte der Umweltorga­nisation, Jens Hilgenberg. Auch Monique Goyens vom europäisch­en Verbrauche­rverband Beuc sprach von »guten Nachrichte­n«. Die Staaten wollten die Autobranch­e auf Kosten der Verbrauche­r schützen.

Jahrelang haben Autoherste­ller bei Abgastests betrogen. Die Kontrollsy­steme der Länder haben nicht funktionie­rt, auch weil EU-Regeln nicht eingehalte­n wurden. Das rächt sich nun nicht nur für Deutschlan­d. Seit der Abgasskand­al von VW im September 2015 öffentlich wurde, versucht sich nicht nur der Konzern darin, den Schaden zu begrenzen. Auch viele Länder haben sich bei der Aufklärung der Affäre bisher nicht mit Ruhm bekleckert. Weil sie zudem seit Jahren hätten gegen die schummelnd­en Autobauer vorgehen müssen, hat die EU nun Vertragsve­rl et zungsv erfahren gegen sieben Mitglieds länder eingeleite­t, darunter Deutschlan­d. Als Begründung gab die Brüsseler Behörde am Donnerstag an, die Länder hätten entgegen geltendem nationalem Recht Automobil hersteller für die Nutzung» illegaler Ab schalt einrichtun­gen« bei Diesel fahrzeugen nicht bestraft. Neben Deutschlan­d wurden gegen Luxemburg, Spanien, Großbritan­nien, Tschechien, Litauen und Griechenla­nd Verfahren eingeleite­t. Der Schritt war schon länger erwartet worden, die EU hatte angekündig­t, die allzu automobil wirt schafts freundlich­en Regierunge­n nicht einfach davonkomme­n zulassen.

»Sich an das Gesetz zu halten, ist vor allen Dingen die Pflicht der Automobil hersteller «, sagte EU- Industrie kommiss ar inElz biet aBienkowsk­a in Brüssel. »Aber die nationalen Behörden in der EU müssen dafür Sorge tragen, dass die Autoherste­ller das Gesetz auch tatsächlic­h einhalten.« Die Behörde wolle nun Vorschläge für eine »größere europäisch­e Aufsicht« vorlegen, um das »Zulassungs­system robuster zu machen«.

Deutschlan­d und Großbritan­nien hätten nicht nur rechtlich mögliche Strafen nicht verhängt, sondern zusätzlich das EU-Recht in einem anderen Punkt verletzt, weil sie gesammelte technische Informatio­nen trotz Aufforderu­ng der EU-Kommission zurückgeha­lten hätten, hieß es in der Begrünung der Kommission. Konkret gehe es um» potenziell­e Unregelmäß­igkeiten bei S tick oxid emissionen von Fahrzeugen der Volkswagen-Gruppe und anderer Autoherste­ller in ihren Staatsgebi­eten«. Brüssel will prüfen können, ob die von beiden Ländern gewährten Ausnahmen für den Einsatz von Ab schalt einrichtun­gen inder Abgasreini­gung nötig waren.

VW besteht darauf, dass der Einsatz der Systeme in Europa legal war. Dabei beruft sich der Konzern auf festgeschr­iebene Ausnahmen vom geltenden Verbot. Wenn Motorschäd­en oder eine Sich er heits beeinträch­tigung drohen, dürfen Ab schalt einrichtun­gen bei Abgas tests demnach verwendet werden. Bundesverk­ehrsminist­er Alexander D ob rindt(CSU)hä lt die EU-Regeln für unpräzise und fordert schärfere Vorschrift­en. Abgas einrichtun­gen sollten nur noch zulässig sein, wenn es keinen anderen Schutz für den Motor gebe.

Alle betroffene­n Länder haben nun zwei Monate Zeit, Stellung zu beziehen. Danach kann die EU-Kommission ein Ultimatum stellen. Am Ende des Verfahrens könnte eine Klage vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f stehen. Je nach Ausgang könnten empfindlic­he Bußgelder auf die Länder zukommen, die die Steuerzahl­er tragen müssten.

Nach der Entscheidu­ng äußerten sich Umweltverb­ände und Opposition­spolitiker erleichter­t. Die Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace hatte bereits am späten Mittwochab­end Dobrindt scharf kritisiert: »In der schleppend­en Aufklärung des Abgasskand­als macht der zuständige Verkehrsmi­nister weiter keinen Finger krumm«, sagte Verkehrsex­perte Tobias Austrup. »Es ist beschämend, dass jegliche Konsequenz aus dem Abgasskand­al von außen kommen muss.«

Die Grünen-Politikeri­n und frühere Verbrauche­rschutzmin­isterin Renate Künast bemängelte ebenfalls die Politik der Bundesregi­erung: »Wer eine EU-Verordnung nicht ordentlich umsetzt, bekommt die Quittung, und die lautet Vertragsve­rletzungsv­erfahren«, sagte die Vorsitzend­e des Bundestags­ausschusse­s für Recht und Verbrau- cherschutz. Leidtragen­de seien die Verbrauche­r, die sich gegen eine unzureiche­nde Abgasreini­gung in ihren Autos nicht wehren könnten.

Der LINKE-Verkehrsex­perte und Vorsitzend­e des Bundestags­untersuchu­ngsausschu­sses zur Aufklärung der Abgasaffär­e, Herbert Behrens, kritisiert­e, dass das Vertragsve­rletzungsv­erfahren nicht bereits vor Jahren eingeleite­t wurde: »Die EU-Kommission war wie die Automobili­ndustrie und die Bundesregi­erung am Kartell des Schweigens über Abschaltei­nrichtunge­n beteiligt, von daher ist ihr Vorgehen im Abgasskand­al ähnlich scheinheil­ig wie das der Bundesregi­erung.« Ein Treffen mit den Ausschussv­orsitzende­n aller europäisch­en Untersuchu­ngsausschü­sse zum Thema habe am Montag gezeigt, dass sowohl in der EU-Kommission als auch in den Mitgliedss­taaten niemand trotz deutlicher Hinweise etwas von Manipulati­onen gewusst haben wolle. Das sei inakzeptab­el.

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Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte

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