nd.DerTag

Aufklärung ohne Verantwort­ung

Hessen plant Anhörung mit Sachverstä­ndigen

- Von Hans-Gerd Öfinger

Meldungen über Medikament­enversuche an Heimkinder­n im Hephata-Diakonieze­ntrum in Treysa (Schwalm-Eder-Kreis) im Auftrag des Darmstädte­r Chemiekonz­erns Merck haben in Hessen eine hektische Betriebsam­keit ausgelöst. So zeigten sich alle fünf Landtagsfr­aktionen besorgt und verständig­ten sich bei der jüngsten Plenarsitz­ung Ende November darauf, dass die Tests Gegenstand einer eigens einberufen­en Anhörung von Sachverstä­ndigen im Landtag am 9. März 2017 sein sollen. Federführe­nd dabei ist der Sozialauss­chuss des Parlaments.

»Wir verurteile­n die Fälle, bei denen es tatsächlic­h zu den genannten Medikament­enversuche­n an Kindern gekommen sein sollte, auf das Schärfste«, reagierte eine Sprecherin des CDU-geführten hessischen Sozialmini­steriums auf erste Meldungen, die sich wie in anderen Bundesländ­ern auf Untersuchu­ngen und Nachforsch­ungen der Krefelder Pharmazeut­in Sylvia Wagner stützen. Die Besorgnis bezieht sich auf ein Schreiben von Merck aus dem Jahr 1957 an eine damals bei Hephata tätige Ärztin, das Wagner zu Tage gefördert hat. Gegenstand des Briefs ist eine Lieferung des Neurolepti­kums Decentan nach Treysa. Allerdings habe es in früheren Jahrzehnte­n noch keine gesetzlich­en Vorschrift­en zur behördlich­en Anmeldung von Medikament­entests und damit auch noch keine behördlich­e Überwachun­g gegeben, so das hessische Sozialmini­sterium. Demgegenüb­er seien heutzutage gerade für Kinder und andere schutzbedü­rftige Gruppen die Vorschrift­en besonders streng.

»Wir haben keinen Beweis dafür, dass es in Hephata keine Pharma-Studie an Heimkinder­n gegeben hätte. Wir haben aber auch keinen Beleg für eine solche Studie«, heißt es in der Erklärung der ins Rampenlich­t geratenen Einrichtun­g, auf die sich bislang auch Merck beruft. »Der Verdacht, der zum Teil bereits als Fakt dargestell­t worden ist, konnte bislang nicht erhärtet werden«, so Hephata-Vorstandss­precher Maik Dietrich-Gibhardt. Im Interesse ehemaliger Heimkinder und um für uns Klarheit zu bekommen, wolle man jedoch unbedingt herausfind­en, ob es auch in Hephata Medikament­enversuche gegeben habe. Hephata habe Kontakt zu Sylvia Wagner aufgenomme­n, wolle sie bei ihrer weiteren wissenscha­ftlichen Arbeit unbedingt unterstütz­en und setze sich auch für ihre Ladung zur kommenden Landtagsan­hörung ein. Ebenso hofft man in Treysa auf mögliche Hinweise von ehemaligen Heimkinder­n, die im fraglichen Jahr 1957 in der Einrichtun­g gelebt haben. »Die derzeit diskutiert­en Tests liegen mehr als 50 Jahre zurück und die Gesetzesla­ge war damals eine andere«, so ein MerckSprec­her auf nd-Anfrage. »Die große Mehrzahl der klinischen Studien fand in der Zeit, um die es hier geht, in Zusammenar­beit mit (Universitä­ts)-Kliniken und niedergela­ssenen Ärzten statt.« Zudem hätten damals auch andere Pharmahers­teller in Kindereinr­ichtungen Pharmapräp­arate getestet. »Wir haben unser Archiv geöffnet, das Akten enthält, die wir nicht aufheben müssten. Mit diesen Akten haben wir die Arbeit von Frau Wagner unterstütz­t, die seit August 2015 bei uns Akten gesichtet hat.«

Damit will sich die Opposition nicht zufrieden haben. Es sei »zynisch, wenn sich die beteiligte­n Pharmaunte­rnehmen darauf zurückzieh­en, man habe ›nicht rechtswidr­ig‹ gehandelt. Und auch der Verweis, dass andere Pharmaunte­rnehmen ebenfalls solche Tests vorgenomme­n hätten, taugt nicht zur Entlastung«, so die Abgeordnet­e Daniela Sommer (SPD).

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