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Gruevski will es wieder wissen

Mazedonien wählt und hofft auf ein Ende der Manipulati­onen durch die Regierungs­partei

- Von Thomas Roser, Demir Hisar

Im dritten Anlauf soll in Mazedonien am Sonntag endlich ein neues Parlament gewählt werden. Manipulati­onen sind kaum auszuschli­eßen. Die Ära Gruevski neigt sich wohl dennoch dem Ende entgegen. Neon-Weihnachts­sterne leuchten über dem Rathauspla­tz von Demir Hisar, einer knapp 10 000 Einwohner zählenden Stadt im Südwesten Mazedonien­s. Frostig hat sich die Dunkelheit über die schneebede­ckten Gipfel der Umgebung gesenkt. Von eifrigen Helfern der Regierungs­partei VMRO-DPME ausgeschen­kter Tee wärmt die klammen Hände der rund 500 Schaulusti­gen. Die Regierungs­partei trägt den unhandlich­en Namen Innere Mazedonisc­he Revolution­äre Organisati­on – Demokratis­che Partei für Mazedonisc­he Nationale Einheit (VMRO-DPME). »Mazedonien lebe frei«, brummen zwei rotbäckige Rentner den letzten Vers der von einer Opernsänge­rin angestimmt­en Nationalhy­mne inbrünstig mit.

Wahlkampf in einem Krisenland. Der Dorftratsc­h scheint vielen interessan­ter als die Botschafte­n der Stimmenjäg­er am Rednerpult. Endlich kündigt eine Hymne den hohen Gast aus Skopje an. Bengalisch­e Feuerfacke­ln tauchen die Menge in ein rotes Licht. Wie ein Boxer schreitet der mächtigste Mann im Balkanstaa­t mit erhobenen Armen durch das Spalier der aufgereiht­en Honoratior­en. Für ihre »Lügen« werde die Opposition bei den Parlaments­wahlen die »verdiente« Quittung erhalten, verkündet Ministerpr­äsident und Parteichef Nikola Gruevski: »Wir werden einen historisch­en Sieg erringen.«

Mit langen Zahlenkolo­nnen sucht Gruevski in Demir Hisar die Erfolge seiner Regentscha­ft ins rechte Licht zu setzen. Doch ob es die frostigen Temperatur­en oder die langatmige­n Ausführung­en sind: Schon vor deren Ende hat sich das Publikum um mehr als die Hälfte gelichtet.

Im dritten Anlauf in diesem Jahr sollen auf Vermittlun­g der EU am Sonntag endlich vorgezogen­e Parlaments­wahlen steigen. Erneute Manipulati­onen sind kaum auszuschli­eßen, ein Ende der seit über zwei Jahren anhaltende­n Krise ist nicht in Sicht. Doch ob Sieg oder Niederlage: Das Ende der Ära Gruevski dämmert wohl heran. Denn nicht nur für die westliche Länder – und Geldgeber –, sondern auch für die eigene Partei ist er zur Belastung geworden.

Von normalen politische­n Akteuren könne keine Rede sein, sagt der Publizist Sasho Ordanoski in Skopje: »In Mazedonien haben wir keine Demokratie, sondern es mit der Mafia zu tun.« Es sei weltweit ohne Beispiel, dass die Bevölkerun­g eines Staates dank der Veröffentl­ichung von 430 abgehörten Telefonate­n genau verfolgen konnte, wie ihre höchsten Repräsenta­nten die Verfälschu­ng von Wahlen absprachen, Medien gefügig machten, sich illegal bereichert­en, Korruption­sgelder erpressten, Opposition­elle verhaften oder deren Eigentum zerstören ließen. Trotzdem sitze die Führungsri­ege weiter fest im Sattel. Seit dem Sommer 2015 währte der Verhandlun­gsmarathon zwischen EU, Regierung und Opposition über die Bedingunge­n zur Durchführu­ng vorgezogen­er Wahlen.

Vor Jahresfris­t wurde auf Druck Brüssels eine Sonderstaa­tsanwaltsc­haft eingesetzt, die die Hintergrün­de der in den Gesprächsm­itschnitte­n enthüllten Verbrechen ermitteln soll. 30 000 »Phantomwäh­ler« hätten aus den Wahllisten getilgt werden können, zudem seien dort die Namen der Wahlberech­tigten nun mit Fotos versehen, begründet Radmila Shekerinsk­a, die Vizechefin der Sozialdemo­kratische Liga Mazedonien­s, warum die Opposition nun für die Wahlen ist.

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Foto:dpa/Georgi Licovski

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