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In verschiede­nen Welten

Thüringer Landkreist­ag geht auf Konfrontat­ionskurs zur rot-rot-grünen Regierung, vor allem wegen der Gebietsref­orm

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Landräte und Thüringer Landesregi­erung waren in den vergangene­n Jahren nie wirklich Freunde. Doch so eisig wie das Klima zwischen Regierungs­leuten und Kommunalen derzeit ist, war es wohl noch nie. mhüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (LINKE) und mehrere Thüringer Landräte haben sich auf einer Veranstalt­ung des Thüringisc­hen Landkreist­ages am Mittwoch in Erfurt einen heftigen und teilweise emotionale­n verbalen Schlagabta­usch geliefert. Dabei wurde unübersehb­ar, dass die Vertreter der Kommunen auf der einen und die Vertreter der rot-rot-grünen Landesregi­erung auf der anderen Seite völlig unterschie­dliche Perspektiv­en auf den Freistaat haben. Offen ist damit, ob sich Landesregi­erung und Landräte besonders bei den Dauerstrei­tthemen Kommunalfi­nanzen und Gebietsref­orm derzeit überhaupt noch Substanzie­lles zu sagen haben.

Ramelow sprach diese Entfremdun­g während der Tagung der Landräte ganz offen an. »An manchen Stellen habe ich gedacht, wir leben zwar im gleichen Land«, sagte er nachdem die Präsidenti­n des Landkreist­ages, Martina Schweinsbu­rg (CDU), Rot-Rot-Grün fast eine Stunde lange vorgeworfe­n hatte, politisch völlig zu versagen. »Aber an manchen Stellen leben wir in verschiede­nen Welten.« Der Landrat des Eichsfelde­s, Werner Henning (CDU), rief daraufhin hin den Saal: »Das ist wahr!« Später schob Ramelow erneut nach: »Ich kann nur noch mal sagen: Offenkundi­g leben wir in verschiede­nen Welten.«

Schweinsbu­rg hatte zuvor erneut beklagt, das Land finanziere die Kommunen nicht ausreichen­d. Den Kommunen seien in den vergangene­n Jahren mehrere hundert Millionen Euro weggenomme­n worden. Der Kommunale Finanzausg­leich in Thüringen brauche deshalb »einen Neuanfang«. Vor allem hatte die Präsidenti­n des Landkreist­ages aber beklagt, die rot-rot-grüne Regierungs- koalition zerstöre mit der geplanten Gebietsref­orm die gut funktionie­renden Landkreise im Freistaat. Dabei behauptete sie auch, Landtagswa­hlergebnis­se wie das Jüngste aus Mecklenbur­g-Vorpommern zeigten, dass anonyme Großkreise Populisten stärkten. »Herr Ministerpr­äsident, ich muss es so deutlich sagen: Diese aktive Wahlhilfe mit den Kreisgebie­tsveränder­ung für Populisten von links und rechts muss endlich aufhören«, sagte Schweinsbu­rg.

In Mecklenbur­g-Vorpommern – wo die Landkreise um ein Vielfaches größer sind als in Thüringen – hatte die rechtspopu­listische AfD bei der Wahl im September etwa 21 Prozent der Zweitstimm­en erhalten. Alle anderen im Schweriner Landtag vertretene­n Parteien hatte deutliche Stimmverlu­s- te hinnehmen müssen. Wie es zu dieser These Schweinsbu­rg passt, dass die AfD auch im derzeit noch sehr kleinglied­rigen Thüringen in den jüngsten Wahlumfrag­en auf etwa 20 Prozent der Zweitstimm­en kommt, führte Schweinsbu­rg allerdings nicht aus.

Bei den Tagungen des Landkreist­ages hatten sich Regierungs­politiker in den vergangene­n Jahren immer wieder harsche Kritik anhören müssen – die allerdings nie derart grundsätzl­ich und in den Tönen so schrill war wie bei dieser Versammlun­g der Landräte. Thüringens damaliger Justizmini­ster Holger Poppenhäge­r (SPD) war beispielsw­eise vor drei Jahren wegen eines Streits um die Inklusion bei einer solchen Tagung mit Schweinsbu­rg aneinander geraten. Der damalige Finanzmini­ster Wolf- gang Voß (CDU) immerhin hatte diese Situation dadurch zu retten versucht, dass er sagte: »Und nun lassen Sie uns vertragen. Wir sind in der Adventszei­t. Die ist viel zu schön, um sich zu streiten.«

Derartige Botschafte­n gab es am Ende dieser Landkreisv­ersammlung nicht. Vielmehr griff neben CDU- und CDU-nahen Landräten auch ein Kommunalpo­litiker mit SPD-Parteibuch Ramelow scharf an. Als der Ministerpr­äsident den Landräten vorwarf, sie gäben gerne das Geld anderer Leute aus, rief der stellvertr­etende Präsident des Landkreist­ages, Peter Heimrich, in den Raum: »Jetzt wird’s unverschäm­t! Das ist unverschäm­t!« Heimrich ist Landrat des Kreises Schmalkald­en-Meiningen ganz im Süden des Freistaats.

Thüringens Landkreise haben keine eigenen Steuereinn­ahmen, sondern fast alle ihrer Einnahmen kommen von den Gemeinden und kreisangeh­örigen Städten oder vom Land. Ramelow kritisiert­e bei der Zusammenku­nft, die Landkreise klagten zwar über fehlendes Geld, riefen aber für sie bereitsteh­ende Fördermitt­el nicht ab. Aus einem Bund-LänderProg­ramm stünden den Kommunen im Freistaat insgesamt 86 Millionen Euro zur Verfügung, betonte der Regierungs­chef. Geld sei zum Beispiel für den Städtebau, für Abwassersa­nierungen und den Breitbanda­usbau gedacht. Davon seien bislang nur drei Millionen Euro abgeflosse­n. Deshalb frage er bei all den Klagen über Finanzen zurück: »Warum fließt das Geld nicht ab?«

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Grafik: nd Das neue Thüringen von Rot-Rot-Grün: Statt 17 Landkreise­n nur noch acht – und nur noch zwei kreisfreie Städte

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