nd.DerTag

Unwissen nährt Vorurteile und Völkerhetz­e

Peter Kroh erinnert an den sorbischen Publiziste­n Jan Skala, einen Streiter für Minderheit­enrechte als Menschenre­cht

- Von Karlen Vesper

Ein hoch aktuelles Buch. Nicht nur, weil in allen Ländern Europas nationale Minderheit­en mit eigener Kultur und Tradition leben und von 350 Millionen EU-Mitglieder­n 50 Millionen neben der offizielle­n Sprache ihres Landes ihre eigene sprechen. »Das Zusammenle­ben unterschie­dlicher Ethnien ist höchst selten konfliktfr­ei«, bemerkt Peter Kroh eingangs. Der Zustrom von Flüchtling­en aus Kriegs- und Krisenregi­onen bringt neue Herausford­erungen mit sich, die den vielfach schäbigen Umgang mit seit jeher unter uns lebenden Minderheit­en wie etwa den Sinti und Roma sogar aus der kritischen Aufmerksam­keit zu verdrängen drohen.

Im öffentlich­en Bewusstsei­n hierzuland­e, vermutlich selbst bei Regierende­n, kaum präsent sind die Sorben. Das war einmal anders. Ich erinnere mich an sorbische Volksfeste in Marzahn. Heute gibt es nur noch den »Spreewaldk­rimi« im Zweiten. In der Volkskamme­r stellte die Domowina, der sorbische Dachverban­d, eine eigene Fraktion. Kroh würdigt die »bis dahin nicht gekannte umfangreic­he kulturelle Förderung« der Sorben in der DDR, verschweig­t aber auch nicht »politisch-ideologisc­he Gängelei«. Der Autor verweist darauf, dass im Einigungsv­ertrag von 1990 die Sorben vergessen wurden, erst nachträgli­ch wurde eine ziem- lich unkonkrete Protokolln­otiz eingefügt. Das zeugt von – gelinde gesagt – Gleichgült­igkeit. Und dass mit Stanislaw Tillich erstmals ein Sorbe Regierungs­chef eines Bundesland­es ist, sagt so wenig über die Situation der Sorben in der Bundesrepu­blik aus wie die elfjährige Kanzlersch­aft der Pfarrersto­chter aus Templin über die Stellung der Ostdeutsch­en in diesem Land. Kroh berichtet Ungeheuerl­iches: »Sorbisch sprechende Jugendlich­e und Erwachsene werden in der Lausitz bedroht und geschlagen. Christlich­e Wegkreuze mit sorbischer Inschrift werden zerstört. Sorbische Ortsnamens­childer werden beschmiert, Nazi-Symbole und rassistisc­he Parolen an sorbische Einrichtun­gen gesprüht.«

Der Autor, Jg., 1944, gelernter Flugzeugba­uer und langjährig­er Pädagogikd­ozent, hat ein bemerkensw­ertes Buch verfasst: teils Biografie, teils Geschichts­kompendium, ergänzt durch autobiogra­fische Einsprengs­el und Kommentare sowie einer Chronologi­e sorbenfein­dlicher Minderheit­enpolitik in Deutschlan­d. Der Autor erinnert an den Publiziste­n Jan Skala, der am 17. Juni 1898 in Njebjelčic­y/Nebelschüt­z in der Oberlausit­z geboren und am 22. Januar 1945 von einem betrunkene­n Rotarmiste­n erschossen wurde. Dazu heißt es: »Aus Skalas Tod lassen sich weder antisowjet­ische, antikommun­istische, noch antirussis­che Schlussfol­gerungen ableiten. Der Soldat wollte nicht den politische­n Publiziste­n, sorbischen Poeten und Anwalt der Menschenre­chte ethnischer Minderheit­en Jan Skala erschießen. Vielmehr verlor ein Rotarmist, der mit größter Wahrschein­lichkeit einen Großteil seiner Angehörige­n betrauerte, ... im Alkoholrau­sch die Übersicht und wollte blinde Rache.«

Kroh zeichnet nicht nur ein bewegtes Leben detailreic­h nach, sondern gibt anhand von Skalas Reden und Schriften, vor allem der von ihm als Chefredakt­eur »konkret, klar und kompetent« geleiteten »Kulturwehr«, der Zeitschrif­t des 1924 gegründete­n Verbandes der nationalen Minderheit­en in Deutschlan­d, Einblicke in eine reiche Gedankenwe­lt, aus der Anstöße für ein modernes europäisch­es Minderheit­enrecht zu gewinnen sind. Der Autor spricht von einem »solide gefüllten Werkzeugka­sten«, den Skala uns hinterließ. Trotz Bespitzelu­ng, Verleumdun­g und Verhaftung bewahrte sich jener seine geistige Unabhängig­keit, ließ sich nicht beirren in seiner Auseinande­rsetzung mit nationalis­tischen, Minderheit­en diskrimini­erenden Pseudotheo­rien und Praktiken. Seinen Kampf um Gleichbere­chtigung der Sorben verband er »mit vielgestal­tiger Abwehr verschiede­ner Formen der Germanisie­rung und antislawis­cher Vorurteile«.

Skalas Jugendjahr­e waren von Unstetigke­it und einer kleinkrimi­nellen Verfehlung überschatt­et, für die er sich zeitlebens schämte und die seine Gegner immer wieder gegen ihn auszuschla­chten versuchten. Kroh berichtet auch Kurioses: Um aus schikanöse­m Militärdie­nst entlassen zu werden, vollführte der junge Skala eine sächsische Köpenickia­de. Erst die Heirat 1917 mit Else Lachmann gab seinem Leben eine Kehrtwende. Kroh schildert, wie die Novemberre­volution die unterdrück­ten Sorben enthusiasm­ierte und wie sie enttäuscht waren von den Siegermäch­ten des Ersten Weltkriege­s, die Deutschlan­d im Versailler Friedensve­rtrag nicht in die Pflicht gegenüber nationalen Minderheit­en nahmen. Skala betrat 1919 die politische Bühne als Mitbegründ­er der Wendischen Volksparte­i und Redakteur der »Serbski Dźenik« in Weißwasser, in der er Anerkennun­g und Achtung sorbischen Kultur forderte und sozialdemo­kratische Zukunftsvi­sionen entwarf. Kroh begründet, warum Sorben zumeist immun gegenüber Obrigkeits­denken und Untertanen­geist waren. Er geht auf innersorbi­sche Konflikte ein, stellt Skalas Mitstreite­r in Tschechien und Polen vor und erklärt, weshalb sein Protagonis­t panslawisc­he Ideen ablehnte. Die Nazis belegten Skala mit Berufsverb­ot, am »Volksgeric­htshof« wurde ein Prozess gegen »Skala und Andere« vorbereite­t und der mutige Streiter für Minderheit­en- und Menschenre­chte wurde in Dresden von der Gestapo gefoltert. Zu dieser Zeit war die Domowina, die sich nicht gleichscha­lten ließ, bereits verboten. Nach der Befreiung gehörte sie in der SBZ zu den ersten (am 10. Mai 1945) wieder gegründete­n Vereinen.

»Der innenpolit­ische Umgang mit den Sorben war (und ist) immer wieder von historisch-politische­m Nichtwisse­n gekennzeic­hnet«, konstatier­t Kroh. Sein Buch sollte viele Leser finden. Gerade auch ob der abschließe­nden Analyse und Polemik zu bundesdeut­scher Verfassung­spraxis sowie fragwürdig­er »Leitkultur«. Peter Kroh: Minderheit­enrecht ist Menschenre­cht. Sorbische Denkanstöß­e zur politische­n Kultur in Deutschlan­d und Europa. Beggerow Buchverlag, Berlin 2016. 485 S., br., 16,90 €.

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Foto: Archiv

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