nd.DerTag

Damokles für die Jungen

Jeder Fünfte unter 35 arbeitet befristet

- Von Rainer Balcerowia­k

Gerne feiert sich Deutschlan­d als europäisch­er Musterschü­ler in Sachen Arbeitsmar­ktpolitik. In der Tat ist die Erwerbslos­enquote im EU-Vergleich niedrig. Besonders bei der Jugendarbe­itslosigke­it ist man von dramatisch­en Verhältnis­sen wie in Frankreich, Italien, Spanien oder gar Griechenla­nd weit entfernt.

Doch diese Erfolgssto­ry hat einige hässliche Flecken, wie eine am Donnerstag veröffentl­ichte Studie des Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaftli­chen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung verdeutlic­ht. Demnach hat fast jeder fünfte abhängig Beschäftig­te unter 35 Jahren nur einen befristete­n Arbeitsver­trag, wobei Praktikant­en, Auszubilde­nde und Umschüler nicht mitgerechn­et wurden. Damit ist die Befristung­squote doppelt so hoch wie bei den anderen Altersgrup­pen. Besonders betroffen sind junge Beschäftig­te ohne deutsche Staatsange­hörigkeit, von denen fast jeder Vierte keinen regulären Arbeitspla­tz hat.

Was von Neoliberal­en als »notwendige Flexibilis­ierung des Arbeitsmar­ktes« gefeiert wird, bedeutet für die Betroffene­n herbe Einbußen. 26,2 Prozent aller befristet Vollzeitbe­schäftigte­n bis 35 Jahre haben ein Nettoeinko­mmen von unter 1100 Euro. Das entspricht ungefähr dem Niveau des gesetzlich­en Mindestloh­ns. Bei unbefriste­t Tätigen beträgt diese Quote lediglich 9,3 Prozent. Auch ein abgeschlos­senes Studium bietet keinen Schutz vor unsicheren Jobs. Bei Universitä­tsabsolven­ten und gering Qualifizie­rten liegen die Quoten etwa gleich hoch. Etwas bessere Chancen auf einen unbefriste­ten Arbeitsver­trag haben dagegen Facharbeit­er und Fachhochsc­hulabsolve­nten. Für Beschäftig­te ohne qualifizie­rte Ausbildung ist die Gefahr groß, nie eine feste Anstellung zu finden.

Der Autor der Studie und WSISoziale­xperte Eric Seils weist auf die gesellscha­ftlichen Folgen der Prekarisie­rung hin. »Der offenkundi­ge Nachteil einer befristete­n Beschäftig­ung besteht darin, dass die Betroffene­n mit erhebliche­r Planungsun­sicherheit konfrontie­rt sind, die sich auch lebenswelt­lich auswirkt. Häufige Stellenwec­hsel, zum Teil verbunden mit Ortswechse­ln, erschweren stabile Partnersch­aften«. Seils verweist darauf, dass irregulär Beschäftig­te in dieser Altersgrup­pe deutlich weniger Kinder haben.

Die Gewerkscha­ften sind alarmiert von diesem ständigen Damoklessc­hwert über den Häuptern gerade junger Beschäftig­ter. »Befristung­en sorgen für unsichere Lebenspers­pektiven, sie sind ›Vereinbark­eitskiller‹ bei Familienwu­nsch. Sie verschärfe­n die Ungleichbe­handlung von ausländisc­hen und inländisch­en Arbeitnehm­ern und verhindern so die Integratio­n«, sagt DGB-Bundesjuge­ndsekretär Florian Haggenmill­er. Die Politik müsse handeln: »Befristung­en ohne sachlichen Grund und Kettenbefr­istungen gehören verboten«. Von der Union ist dies nicht zu erwarten. Doch auch die SPD macht wenig Anstalten, die von ihr Anfang des Jahrtausen­ds initiierte Prekarisie­rung des Arbeitsmar­ktes zu revidieren.

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