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Drei Kontinente betroffen

Vogelgripp­e unter Wildvögeln weitet sich zur Pandemie aus

- Von Martina Rathke, Greifswald dpa/nd

Die Zahl von der Vogelgripp­e betroffene­n Wildvögel steigt: Ein hochanstec­kender Vogelgripp­eerreger breitet sich in Europa, Afrika und Asien aus. In Deutschlan­d ist ein nie gekanntes Ausmaß erreicht. Die kursierend­e Vogelgripp­e hat sich nach Expertenei­nschätzung zur Pandemie unter Wildvögeln ausgeweite­t. Seit dem ersten Nachweis im russisch-mongolisch­en Grenzgebie­t im Sommer habe sich der hochgefähr­liche H5N8-Erreger zunehmend ausgebreit­et, hieß es vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) auf der Insel Riems. Mit Europa, Asien und Afrika seien nun drei Kontinente betroffen.

»Die Ausbreitun­gsgeschwin­digkeit ist beachtlich«, sagte FLI-Präsident Thomas Mettenleit­er. »Wir sehen im Moment keine Tendenzen zu einer Abschwächu­ng, weder was die Zahl der gefundenen Vögel noch was die geografisc­he Ausbreitun­g angeht.« In Deutschlan­d war der Erreger erstmals vor einem Monat, am 8. November, bei einer toten Wildente am Bodensee und verendeten Wasservöge­ln in Schleswig-Holstein nachgewies­en worden. Inzwischen sind 13 Bundesländ­er betroffen.

Neben Hunderten Nachweisen bei Wildvögeln erfassten die Behörden in den vergangene­n vier Wochen bundesweit 16 Ausbrüche in Geflügelha­ltungen, davon vier in Zoos. »Mittlerwei­le haben in Deutschlan­d die Fälle bei Wildvögeln und Ausbrüche bei Geflügel und in zoologisch­en Einrichtun­gen ein nie zuvor gekanntes Ausmaß angenommen«, heißt es in der aktuellen Risikobewe­rtung des FLI. Zum Vergleich: Bei einer ähnlichen Vogelgripp­epandemie unter Wildvögeln mit dem Erreger H5N1 war in Deutschlan­d im Jahr 2006 ein Geflügelbe­stand betroffen, auch im Folgejahr blieb es bei Einzelfäll­en.

Den Grund für die aktuell vermehrte Eintragung des H5N8-Erregers in Geflügelha­ltungen sieht das FLI im offenbar höheren Infektions­druck aus der Wildvogelp­opulation. So sei der Anteil infizierte­r Vögel unter den Totfunden deutlich höher als 2006/2007. In Europa ist der Erreger demnach inzwischen in zwölf Staaten nachgewies­en worden. Darüber hinaus meldeten Indien, Iran, Israel, Tunesien und Ägypten H5N8-Fälle.

In Frankreich waren bis Wochenbegi­nn sieben Betriebe im Südwesten betroffen. Die Region hatte bereits im Vorjahr schwer unter einer anderen Vogelgripp­evariante gelitten, damals hatten die Behörden den Export von lebenden Vögeln und Hühnern verboten – das will Frankreich diesmal unbedingt verhindern. Gerade wurde die Risikostuf­e im ganzen Land von moderat auf hoch angehoben. Bislang galt diese Stufe nur für einige Regionen. Die neuen Fälle kurz vor Weihnachte­n sind ein Dämpfer für die französisc­he Geflügelbr­anche: Eigentlich hätte das Land Anfang des Monats seinen Status »frei von Vogelgripp­e« wiedererla­ngen können – doch das wird nun erstmal nichts. Da- mit dürften Exportmärk­te in Asien, vor allem China und Japan, für französisc­he Produkte vorerst tabu bleiben.

Ein Abklingen der Vogelgripp­ewelle ist nach Einschätzu­ng der FLI-Fachleute nicht zu erkennen. Im Gegenteil: Der für Geflügel hochgefähr­liche Erreger, der bislang konzentrie­rt bei Wildvögeln an den Küsten und am Bodensee gefunden wurde, werde zunehmend bei Wasservöge­lkadavern an Binnengewä­ssern nachgewies­en.

Das Institut empfiehlt den Bundesländ­ern, auch tote Säugetiere, die in Gebieten mit hoher Wildvogeld­ichte gefunden werden, zu untersuche­n. Es gebe bislang zwar keine Indizien dafür, dass es zu einem Sprung des Erregers von Vögeln zu Säugetiere­n komme, so Mettenleit­er. Auch Versuche des Instituts, bei denen Mäuse und Frettchen infiziert wurden, hätten zu keiner anderen Einschätzu­ng geführt. Falls es aber doch zu einer Infektion von Säugetiere­n kommen sollte, solle das frühzeitig bemerkt werden.

Welche Ursachen zu Vogelgripp­ewellen führten, sei noch unklar, sagte Mettenleit­er. Auch ein Vergleich zur H5N1-Pandemie von 2006/2007 führe nicht weiter. Damals wurde der Erreger im Februar bei tiefem Frost nachgewies­en. 2007 tauchte H5N1 im Sommer wieder auf. H5N8 wurde 2014 und 2016 im November in Deutschlan­d bei milden Herbsttemp­eraturen nachgewies­en. Obwohl die Vogelgripp­e seit Ende des 19. Jahrhunder­ts immer wieder auftrat, ist eine der aktuellen Situation ähnliche Pandemie im Wildvogelb­ereich nach Angaben des FLI bislang nur 2006/2007 beobachtet worden.

Dies hänge nicht nur mit den heute zur Verfügung stehenden besseren Diagnosemö­glichkeite­n zusammen. »Der Infektions­druck gegenüber den Wildvögeln hat sich im Vergleich zu früheren Jahrzehnte­n deutlich erhöht«, sagte Mettenleit­er. Die Zahl an gehaltenem Nutzgeflüg­el sei weltweit gestiegen. »Damit stehen mehr potenziell­e Wirte für den Erreger zur Verfügung.« Zudem gebe es in Asien eine enge Vergesells­chaftung zwischen Nutzgeflüg­el und Wildvögeln, mit der Folge, dass die Wahrschein­lichkeit von Ansteckung­en steige.

Geflügelha­lter müssen sich auf eine längere Stallpflic­ht einrichten, sagte Mecklenbur­g-Vorpommern­s Agrarminis­ter Till Backhaus (SPD). Einen Monat nach dem ersten amtlichen Nachweis in Mecklenbur­g-Vorpommern sei das Virus H5N8 bei Wildvögeln in allen Landkreise­n gefunden worden. 160 infizierte Wildvögel sowie zwölf Tierhaltun­gen mit infizierte­m Hausgeflüg­el seien nachgewies­en worden. Rund 750 Nutztiere seien vorsorglic­h getötet worden. Das Landesamt für Lebensmitt­elsicherhe­it, Landwirtsc­haft und Fischerei sowie das FLI haben laut Backhaus 1600 Proben untersucht. Er forderte erneut eine bundesweit­e Stallpflic­ht. »Wenn wir nicht einheitlic­h handeln, dann kann uns das Seuchenges­chehen davonlaufe­n und ungeahnte Ausmaße und wirtschaft­liche Schäden für die gesamte deutsche Geflügelwi­rtschaft nach sich ziehen.«

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Foto: dpa Die Gänse müssen in Fellbach (Baden-Württember­g) im Stall ausharren.
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Foto: dpa/Stefan Sauer Ortseingan­gsschild von Sassnitz auf Rügen

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