Rot-Rot-Grün als arithmetischer Unfall
Das neue Papier des linken Thinktanks Institut Solidarische Moderne (ISM) hat mich trotz seines sympathischen Titels »Das Unmögliche versuchen« geärgert. Die Eingangsthese ist dabei eine gute: Nach dem Brexit und dem Wahlsieg Donald Trumps kann der Neoliberalismus nur »nach rechts driften«. Die Sozialdemokratie befindet sich im freien Fall. Aber die Idee, Rot-Rot-Grün zum »strategischen Projekt des linken Pols der Gesellschaft« zu machen, verkennt die politischen Kräfteverhältnisse, versucht die Parteilinke auf Regierungskurs zu trimmen und will dafür noch die Bewegungslinke in Dienst nehmen. Dafür wird zunächst das alte, platte Lied des Reformismus gesungen: Gegen das »Sicheinhausen ins ewig-oppositionelle, berufsprotestlerische und deshalb absehbar folgenlose Rechthaben« wird der Mut zum »Mitregieren« beschworen, der mit dem CheGuevara-Zitat in der Überschrift heroisch verklärt wird.
Wer ist eigentlich das »Wir«, das dem ISM zufolge SPD, Grüne und LINKE in einen »Lagerwahlkampf« zwingen soll? Wenn aufrechte Jusos oder noch nicht neoliberalisierte Grüne dem ISM-Aufruf folgen und ihre Parteien nach links drängen, wäre das alle Anerkennung wert. Tatsächlich zielt das Papier aber auf die LINKE, indem es gegen »Haltelinien« polemisiert und stattdessen fünf blumig formulierte »systematische Anstrengungen« in den Raum stellt, in denen neben manchem Richtigen leider jedes Kriterium fehlt, an welcher Stelle denn das Krötenschlucken beim Mitregieren sein Ende hätte. Das stärkt alle, die ohnehin nach Posten streben, ohne sich mit prinzipiellen Bedenken lange aufzuhalten. Dabei ist geschenkt, dass in der Partei nicht alles links ist, was links daherkommt, dass Arbeitertümelei nicht weiterführt und dass das kokette Spiel von Sahra Wagenknecht mit dem rechten Rand ebenso abstoßend wie brandgefährlich ist.
Die Debatte um den »Dritten Pol« der Solidarität – neben dem neoliberalen Pol des »Weiter so« und der rassistisch-nationalen Reaktion – wird so auf die Frage einer linken Regierung verengt. Der Erkenntnis- gewinn dieses Begriffs ist aber, dass in der Gesellschaft nennenswerte Praxen von Solidarität existieren, die nicht in parteipolitischer Zuordnung aufgehen und sich den etablierten Formen von Politik verweigern. Das ist die »Krise der Repräsentation« auf der solidarischen, der linken Seite. Natürlich hat der »Dritte Pol« damit nicht alle Bedürfnisse nach Repräsentation ablegt. Aber eine linke Intervention sollte Tendenzen zur Selbstermächtigung und einer unabhängigen Organisierung stärken, anstatt ein neues Repräsentationsangebot zu unterbreiten.
In dem klügeren Papier zur Regierungsfrage »Rückkehr der Hoffnung« von Michael Brie und Mario Candeias aus der Rosa-LuxemburgStiftung wird darauf hingewiesen, dass es neben dem Fortbestand relativer Stabilität in Deutschland auch die Möglichkeit einer »offenen Krise« gibt, in der es eine »überzeugende Alternative einer grundsätzlich anderen Politik« braucht. Sei die LINKE hierzu nicht in der Lage, hätte sie »historisch völlig versagt«. Kriterium für eine Regierungsbeteiligung sei, »ob damit die linken gesellschaftsverändernden Kräfte gestärkt werden oder nicht«. Beim gegenwärtigen Kräfteverhältnis und beim Zustand von SPD, Grünen und Linkspartei ist von einer »linken« Bundesregierung jedoch keine Stärkung, sondern eine lange anhaltende Enttäuschung zu erwarten. Die griechische SYRIZA, die mit ganz anderer Bewegungsunterstützung gestartet ist, wird im ISM-Papier selbst aufgerufen. Aber wie kläglich ist jetzt ihre Niederlage, die auch zeigt, dass Linke es selten verstehen, wenigstens gut zu verlieren.
Die Kritik an der ISM-Position hält keine kurzfristige Option des Sieges bereit. Es wäre besser, wenn uns der arithmetische Unfall einer R2G-Regierung erspart bliebe. Weder die Bewegungslinke noch die radikale Linke darf sich vor den Karren einer Regierungsoption spannen lassen. Im Zweifel wird sie ihren Umgang mit der »linken« Regierung finden und versuchen müssen, den Reformismus vor sich herzutreiben. Aber von außen. Bis dahin bleibt es bei der Aufgabe, die Legitimationskrise zu verschärfen und eine konfrontative Politik zu entwickeln: In den Alltagskämpfen um soziale Infrastruktur, im Einsatz für die Rechte von Geflüchteten, im Kampf gegen den Klimawandel und nicht zuletzt beim G20Gipfel im kommenden Juli. Die Massenaktionen und Proteste in Hamburg werden unser Kommentar zur Bundestagswahl 2017 sein.