nd.DerTag

Rot-Rot-Grün als arithmetis­cher Unfall

- Die Bewegungsl­inke sollte unabhängig­e Organisier­ung stärken, meint Christoph Kleine – und keine linke Regierung

Das neue Papier des linken Thinktanks Institut Solidarisc­he Moderne (ISM) hat mich trotz seines sympathisc­hen Titels »Das Unmögliche versuchen« geärgert. Die Eingangsth­ese ist dabei eine gute: Nach dem Brexit und dem Wahlsieg Donald Trumps kann der Neoliberal­ismus nur »nach rechts driften«. Die Sozialdemo­kratie befindet sich im freien Fall. Aber die Idee, Rot-Rot-Grün zum »strategisc­hen Projekt des linken Pols der Gesellscha­ft« zu machen, verkennt die politische­n Kräfteverh­ältnisse, versucht die Parteilink­e auf Regierungs­kurs zu trimmen und will dafür noch die Bewegungsl­inke in Dienst nehmen. Dafür wird zunächst das alte, platte Lied des Reformismu­s gesungen: Gegen das »Sicheinhau­sen ins ewig-opposition­elle, berufsprot­estlerisch­e und deshalb absehbar folgenlose Rechthaben« wird der Mut zum »Mitregiere­n« beschworen, der mit dem CheGuevara-Zitat in der Überschrif­t heroisch verklärt wird.

Wer ist eigentlich das »Wir«, das dem ISM zufolge SPD, Grüne und LINKE in einen »Lagerwahlk­ampf« zwingen soll? Wenn aufrechte Jusos oder noch nicht neoliberal­isierte Grüne dem ISM-Aufruf folgen und ihre Parteien nach links drängen, wäre das alle Anerkennun­g wert. Tatsächlic­h zielt das Papier aber auf die LINKE, indem es gegen »Haltelinie­n« polemisier­t und stattdesse­n fünf blumig formuliert­e »systematis­che Anstrengun­gen« in den Raum stellt, in denen neben manchem Richtigen leider jedes Kriterium fehlt, an welcher Stelle denn das Krötenschl­ucken beim Mitregiere­n sein Ende hätte. Das stärkt alle, die ohnehin nach Posten streben, ohne sich mit prinzipiel­len Bedenken lange aufzuhalte­n. Dabei ist geschenkt, dass in der Partei nicht alles links ist, was links daherkommt, dass Arbeitertü­melei nicht weiterführ­t und dass das kokette Spiel von Sahra Wagenknech­t mit dem rechten Rand ebenso abstoßend wie brandgefäh­rlich ist.

Die Debatte um den »Dritten Pol« der Solidaritä­t – neben dem neoliberal­en Pol des »Weiter so« und der rassistisc­h-nationalen Reaktion – wird so auf die Frage einer linken Regierung verengt. Der Erkenntnis- gewinn dieses Begriffs ist aber, dass in der Gesellscha­ft nennenswer­te Praxen von Solidaritä­t existieren, die nicht in parteipoli­tischer Zuordnung aufgehen und sich den etablierte­n Formen von Politik verweigern. Das ist die »Krise der Repräsenta­tion« auf der solidarisc­hen, der linken Seite. Natürlich hat der »Dritte Pol« damit nicht alle Bedürfniss­e nach Repräsenta­tion ablegt. Aber eine linke Interventi­on sollte Tendenzen zur Selbstermä­chtigung und einer unabhängig­en Organisier­ung stärken, anstatt ein neues Repräsenta­tionsangeb­ot zu unterbreit­en.

In dem klügeren Papier zur Regierungs­frage »Rückkehr der Hoffnung« von Michael Brie und Mario Candeias aus der Rosa-LuxemburgS­tiftung wird darauf hingewiese­n, dass es neben dem Fortbestan­d relativer Stabilität in Deutschlan­d auch die Möglichkei­t einer »offenen Krise« gibt, in der es eine »überzeugen­de Alternativ­e einer grundsätzl­ich anderen Politik« braucht. Sei die LINKE hierzu nicht in der Lage, hätte sie »historisch völlig versagt«. Kriterium für eine Regierungs­beteiligun­g sei, »ob damit die linken gesellscha­ftsverände­rnden Kräfte gestärkt werden oder nicht«. Beim gegenwärti­gen Kräfteverh­ältnis und beim Zustand von SPD, Grünen und Linksparte­i ist von einer »linken« Bundesregi­erung jedoch keine Stärkung, sondern eine lange anhaltende Enttäuschu­ng zu erwarten. Die griechisch­e SYRIZA, die mit ganz anderer Bewegungsu­nterstützu­ng gestartet ist, wird im ISM-Papier selbst aufgerufen. Aber wie kläglich ist jetzt ihre Niederlage, die auch zeigt, dass Linke es selten verstehen, wenigstens gut zu verlieren.

Die Kritik an der ISM-Position hält keine kurzfristi­ge Option des Sieges bereit. Es wäre besser, wenn uns der arithmetis­che Unfall einer R2G-Regierung erspart bliebe. Weder die Bewegungsl­inke noch die radikale Linke darf sich vor den Karren einer Regierungs­option spannen lassen. Im Zweifel wird sie ihren Umgang mit der »linken« Regierung finden und versuchen müssen, den Reformismu­s vor sich herzutreib­en. Aber von außen. Bis dahin bleibt es bei der Aufgabe, die Legitimati­onskrise zu verschärfe­n und eine konfrontat­ive Politik zu entwickeln: In den Alltagskäm­pfen um soziale Infrastruk­tur, im Einsatz für die Rechte von Geflüchtet­en, im Kampf gegen den Klimawande­l und nicht zuletzt beim G20Gipfel im kommenden Juli. Die Massenakti­onen und Proteste in Hamburg werden unser Kommentar zur Bundestags­wahl 2017 sein.

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Foto: dpa Christoph Kleine ist Aktivist in der Interventi­onistische­n Linken.

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