nd.DerTag

Noch nicht Zeit zu gehen

Entgegen aller skeptische­r Meinungen hält Rot-Rot-Grün in Thüringen

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Zwei Jahre ist die erste rot-rot-grüne Koalition Deutschlan­ds nun im Amt. Zwei Lieblingsw­ortes der Spitzenver­treter des Bündnisses: Diskussion und Prozess. Auch deshalb gibt es die Koalition noch. Die Kernbotsch­aft ist eigentlich ziemlich schlicht: Sie stehen noch immer gemeinsam da. In der Mitte der LINKE Bodo Ramelow. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, hellblaue Krawatte. Rechts neben ihm die Grüne Anja Siegesmund. Ockerfarbe­ner Blazer, schwarzes Oberteil. Links neben Ramelow die Sozialdemo­kratin Heike Taubert. Zartroter Blazer, weiße Bluse. Vor zwei Jahren noch hatten viele Menschen nicht nur im Freistaat, sondern in ganz Deutschlan­d dagegen gewettet, dass dieser Moment kommen würde, der sich am Dienstag in Erfurt, in einem Saal der Staatskanz­lei zugetragen hat. Weil er dafür steht, dass das erste rot-rotgrüne Regierungs­bündnis Deutschlan­ds noch immer lebt.

Selbst der Opposition­sführer im Thüringer Landtag, Mike Mohring, trägt schon seit Monaten nicht mehr die Vorstellun­g ins Land, die Koalition aus LINKE, SPD und Grünen werde bald zerbrechen. Der Weg seiner CDU zurück an die Macht, sagt Mohring stattdesse­n nun, sei kein Kurzstreck­enlauf. Sondern ein Marathon. Einer, der erst im Jahr 2019 enden werde. Dann wird in Thüringen turnusgemä­ß das nächste Mal ein Landtag gewählt. Das wird der ultimative Test für Rot-Rot-Grün in Thüringen werden, ob die Politik des Bündnisses bei den Menschen auch wirklich auf Zustimmung stößt, für die Ramelow, Siegesmund und Taubert Politik zu machen glauben.

Dafür, dass Rot-Rot-Grün in Thüringen noch immer und das auch weitgehend geräuschlo­s regiert, hängt viel mit zwei der Lieblingsw­orte zusammen, die Spitzenver­treter des Bündnisses so haben – und die bei dieser Pressekonf­erenz vor allem Ramelow wieder und wieder und wieder benutzt: Prozess und Diskussion. Im rot-rot-grünen Alltag werden beide Worte auch gerne ergänzt um Begriffe wie Dialog, Sprechen und Kommunizie­ren. Den anstehende­n Personalab­bau im Freistaat beispielsw­eise begreifen Ramelow und die seinen ebenso als einen Prozess, über den ganz viel gesprochen, dialogisie­rt, diskutiert und kommunizie­rt werden muss wie die Verwaltung­s-, Funktional- und Gebietsref­orm, die Einstellun­g von Lehrern und Polizisten oder die Errichtung eines Nationalen Naturmonum­ents am Grünen Band. Sowohl bündnisint­ern wie auch nach außen ist Rot-Rot-Grün deshalb ein Bündnis der Worte – und bisweilen Worthülsen –, die LINKE, Sozialdemo­kraten und Grüne mit allen wechseln wollen, die zu welchem Politikfel­d auch immer was auch immer zu sagen haben.

Damit ist die Koalition in den vergangene­n zwei Jahren durchaus nicht unerfolgre­ich gewesen. Tat- sächlich sind unter diesem vor zwei Jahren so neu und revolution­är erscheinen­den Bündnis unter anderem 500 neue Lehrer pro Jahr eingestell­t worden – nachdem unter CDU-Führung im Thüringer Bildungsbe­reich über Jahre nur Stellen eingespart worden waren. Ähnliches gilt für den Sicherheit­sbereich, wo Thüringens sozialdemo­kratischer Innenminis­ter Holger Poppenhäge­r die Einstellun­g von mehr Polizeianw­ärtern durchgeset­zt hat als ursprüngli­ch vorgesehen waren. Zudem setzt das Bündnis eine pragmatisc­he Flüchtling­spolitik mit humanem Antlitz um, die zum Verdruss von Flüchtling­saktiviste­n zwar auch nicht ohne Abschiebun­gen auskommt. Aber die eben doch auch eine Beratungss­telle fördert, die abgelehnte­n Asylbewerb­ern erklärt, welche Möglichkei­ten sie über eine freiwillig­e Ausreise aus Deutschlan­d haben, um einer Abschiebun­g zuvorzukom­men. Auch hier: Reden und Worte vor Zwang.

Die Kehrseite dieses Redens, Redens und Redens. Das braucht viel Zeit. Sehr viel Zeit, weshalb auch LINKE, SPD und Grüne bislang bestenfall­s ein kleines bisschen damit begonnen haben, den strukturel­len Reformstau im Freistaat abzuarbeit­en, der sich in den vergangene­n Jahren angesammel­t hat. Wofür es gleichsam fatal ist, dass das Bündnis sich bei dem schon vor Jahren beschlosse­nen, aber bislang nicht mal halbherzig umgesetzte­n Abbau von Stellen im öffentlich­en Dienst in Thüringen gerade noch mehr Zeit gönnen will als bislang veranschla­gt: Statt tausende dieser Stellen bis 2020 zu streichen, gibt es nun Überlegung­en innerhalb der Koalition, dass es doch auch reichen könnte, wenn man diese Stellen bis 2025 streichen würde. Diese Verschiebe­taktik hatte schon die CDU beherrscht.

Und dieses Reden, Reden, Reden ist außerdem kein Garant dafür, dass sich letztendli­ch einvernehm­liche Lösungen finden lassen, wie Ramelow am Beispiel der Gebietsref­orm mehr oder weniger unfreiwill­ig eingesteht, während er von Siegesmund – Thüringer Umweltmini­sterin – und Taubert – Thüringer Finanzmini­sterin – in dem Saal stehend eingerahmt wird. »Meine Oma hat immer gesagt: Allen Menschen recht getan ist eine Kunst, die keiner kann«, sagt Ramelow, als er sich mal wieder darüber auslässt, dass aus seiner Sicht die rot-rot-grünen Dialogange­bote zur Gebietsref­orm an die Landräte mit Verfassung­sklagen beantworte­t würden. »Diskussion heißt aber diskutiere­n. Ich erlebe nur Verweigeru­ng.«

Die große Revolution, die sowohl die glühenden Befürworte­r des Bündnisses wie auch dessen ärgste Widersache­r bei der rot-rot-grünen Regierungs­übernahme im Dezember 2014 erwartet hatten, ist also alles in Allem ausgeblieb­en. Was wohl auch dazu beigetrage­n hat, dass Ramelow, Siegesmund und Taubert nun noch immer zusammen in der Staatskanz­lei stehen können. Revolution­en immerhin fressen bisweilen ihre Kinder.

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Foto: dpa/Hendrik Schmidt Ramelows Zeit als Ministerpr­äsident ist noch nicht abgelaufen.

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