nd.DerTag

Recherchen zu Heckler&Koch gehen weiter

Stuttgarte­r Staatsanwa­lt blitzte bei Münchner Gericht ab – Methode »Haltet den Dieb!« versagte

- Von Wolf-Dieter Vogel

Die Anklage gegen Journalist­en und Filmemache­r wegen der Veröffentl­ichung von Ermittlung­sakten über illegale Waffengesc­häfte der Rüstungsfi­rma Heckler&Koch ist geplatzt. Ob er erleichter­t sei? »Mehr als das«, erklärt der Rüstungsge­gner Jürgen Grässlin, »denn mit der Entscheidu­ng des Münchner Amtsgerich­ts wurde ein Stück Pressefrei­heit gerettet«. Wie jetzt bekannt wurde, hat die Behörde abgelehnt, gegen ihn und zwei weitere Personen juristisch vorzugehen, die über den illegalen Export von Sturmgeweh­ren nach Mexiko berichtet hatten.

Das Gericht werde kein Hauptverfa­hren gegen Grässlin, den Filmemache­r Daniel Harrich und die Autorin Danuta Zandberg-Harrich eröffnen, »weil die vorgelegte­n Beweismitt­el keinen hinreichen­der Tatver- dacht begründen«, erklären die Juristen. »Das Gericht hat damit einen Justizskan­dal abgewendet«, ist Grässlin überzeugt.

Die Drei hatten in dem mit dem Grimme-Preis ausgezeich­neten ARDDokumen­tarfilm »Tödliche Exporte« und in dem Buch »Netzwerk des Todes« des Heyne-Verlags aufgezeigt, wie Gewehre vom Typ G36 der Firma Heckler&Koch (H&K) in mexikanisc­he Bundesstaa­ten gelangten, für die keine Ausfuhrgen­ehmigung vorlagen. Dabei publiziert­en die Autoren unter anderem interne Dokumente des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums (BMWi) und des Bundesausf­uhramts (Bafa), die nahelegen, dass Mitarbeite­r der Behörden in den kriminelle­n Deal involviert waren.

Wegen der Veröffentl­ichung dieser und anderer Schreiben hatte der Stuttgarte­r Staatsanwa­lt Peter Vobiller Ermittlung­en eingeleite­t. Bei der Staatsanwa­ltschaft in München, wo der Heyne-Verlag angesiedel­t ist, er- stattete er Anzeige wegen des »Verstoßes gegen das Pressegese­tz« und »verbotener Mitteilung­en über Gerichtsve­rhandlunge­n« nach Paragraf 353 d des Strafgeset­zbuches.

Seit Grässlin, der Sprecher der »Aktion-Aufschrei – Stoppt den Waffenhand­el«, im April 2010 wegen der Gewehrlief­erungen Anzeige gegen H&K erstattet hatte, war der Strafverfo­lger mit dem Fall betraut. Jedoch erst im Oktober 2015 erhob Vobiller Anklage gegen H&K, obwohl ihm Journalist­en bereits jahrelang Beweismate­rial geliefert hatten. Nur aufgrund der Recherchen der Medienscha­ffenden, davon sind Beobachter überzeugt, wird nächstes Jahr gegen fünf ehemalige Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r von H&K vor Gericht verhandelt. Die Pressevert­reter lieferten Filmaufnah­men von Polizisten, die das G36 trugen, Schreiben des mexikanisc­hen Kunden und Gerichtsak­ten.

»Warum braucht ein Staatsanwa­lt fünfeinhal­b Jahre, um Anklage gegen ein Rüstungsun­ternehmen zu erheben, versucht aber innerhalb kürzester Zeit mit enormem Aufwand ein Strafverfa­hren wegen eines Films herbeizuzi­ehen«, fragt sich Anwalt Holger Rothbauer. Nach der Münchner Entscheidu­ng spricht er nun von einer schweren Schlappe für Vobiller. Anstatt die Aufklärer von Waffengesc­häften zu verfolgen, hätte dieser gegen die Exportkont­rollbehörd­en ermitteln müssen, kritisiert Rothbauer, der schon einige Anzeigen gegen Rüs- tungsfirme­n und Behörden erstattet hat. Die Ermittlung­en gegen das BMWi und das Bafa im H&K-Verfahren wurden jedoch eingestell­t.

Die Münchner Entscheidu­ng hat auch über den Fall hinaus Konsequenz­en. Grässlins Anzeige basierte auf den Angaben eines ehemaligen Mitarbeite­rs der Rüstungssc­hmiede, also eines Whistleblo­wers. Dessen Informatio­nen hat der Aktivist an Vobiller weitergege­ben, sie bildeten den Ausgangspu­nkt aller folgenden journalist­ischen Recherchen.

Wäre dem Staatsanwa­lt Recht gegeben worden, hieße das, dass Journalist­innen und Journalist­en nicht einmal mehr auszugswei­se aus Dokumenten zitieren dürfen, die sie zuvor Ermittlern ausgehändi­gt haben, um eine Strafverfo­lgung zu ermögliche­n. Auch deshalb ist Filmemache­r Harrich über die Entscheidu­ng zufrieden. Gegenüber »nd« zeigte er sich überzeugt: »Das ist ein Sieg für den investigat­iven Journalism­us.«

»Mit der Entscheidu­ng des Münchner Amtsgerich­ts wurde ein Stück Pressefrei­heit gerettet.« Jürgen Grässlin, »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhand­el«

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