nd.DerTag

Tod in der Zelle

Algerische­r Journalist Mohamed Tamalt nach drei Monaten im Koma gestorben

- Von Bernard Schmid, Paris

Er prangerte die korrupte Regierung an. Wegen »Präsidente­nbeleidigu­ng« wurde der Journalist Tamalt zu einer zweijährig­en Haftstrafe verurteilt. Eine größere Menschenme­nge versammelt­e sich am Montag auf dem Friedhof von Bachdjarah, einem Stadtteil von Algier, um den im Alter von 42 verstorben­en Journalist­en und Blogger Mohamed Tamalt zu Grabe zu tragen. Er war am Sonntag in einer Zelle verstorben, nachdem er drei Monate im Koma gelegen hatte. Als offizielle Todesursac­he wurde eine Lungenentz­ündung angegeben. Ärzte hätten diese vor zehn Tagen entdeckt. Sein Anwalt Amine Sidhoum sagt jedoch, ihm und den Angehörige­n werde der Zugang zur Krankenakt­e verweigert.

Tamalt, der neben der algerische­n auch die britische Staatsange­hörigkeit hatte, unterhielt einen viel gelesenen Blog. Die Veröffentl­ichungen auf seiner Facebook-Seite wurden von rund zehntausen­d Menschen regelmäßig verfolgt. In seinen Beiträgen griff er oft die Machthaber in seinem Land und ih- re notorische Korruption an. Tamalt wurde vorgeworfe­n, Staatspräs­ident Abdelaziz Bouteflika in einem von ihm publiziert­en Gedicht beleidigt zu haben. Ende Juni wurde er deswegen festgenomm­en und Anfang Juli wegen »Präsidente­nbeleidigu­ng« zu einer zweijährig­en Haftstrafe sowie umgerechne­t 1700 Euro Geldstrafe verurteilt. Am 11. Juli wurde er in das Gefängnis des Stadtteils El-Harrache verlegt. Bereits seit Ende Juni befand er sich im Hungerstre­ik. Der Gesundheit­szustand des an Diabetes leidenden Tamalts verschlech­terte sich rapide. Schließlic­h fiel er ins Koma.

Die Menschenre­chtsorgani­sationen Human Rights Watch und Amnesty internatio­nal forderten am Sonntag von den Behörden eine unabhängig­e Untersuchu­ng. Die Vereinigun­g Reporter ohne Grenzen zeigte sich »schockiert« und sprach von einem »Schlag vor den Kopf für alle, die in Algerien die Pressefrei­heit verteidige­n«. Die Empörung über Tamalts Tod könnte der zivilgesel­lschaftlic­hen Opposition jedoch eventuell neue Spielräume verschaffe­n.

Algerien wurde nach blutigem Entkolonis­ierungskri­eg 1962 von Frankreich unabhängig. Seitdem wird es mit kurzen Unterbrech­ungen durch die Nationale Befreiungs­front regiert. Der harte Kern der Machthaber setzt sich zum Teil aus Militärs zusammen. Hinzu kommen hohe Staats- und Parteibüro­kraten sowie Vertreter einer Bourgeoisi­e, die eher von Importmono­polen als von der materielle­n Produktion lebt. Die Staatseinn­ahmen hängen zu 97 Prozent vom Öl- und Gasexport ab. Versuche, während der staatssozi­alistische­n Periode in den 70er Jahren, Importe durch eine eigene Industriep­roduktion zu ersetzen, scheiterte­n. Algerien wurde im folgenden Jahrzehnt als abhängiger Rohstoffex­porteur verstärkt in den kapitalist­ischen Weltmarkt eingeglied­ert.

Derzeit herrscht die bleierne Atmosphäre einer nicht enden wollenden Regentscha­ft. Staatspräs­ident Bouteflika, seit 1999 im Amt, ist schon lange schwer krank und konnte sich bereits bei seiner formalen Wiederwahl 2014 kaum noch regen. Als Kompromiss­lösung wird er offiziell im Präsidente­namt gehalten. Wegen des gesunkenen Ölpreises hat sich die Wirtschaft­skrise verfestigt, und es sind Richtungsk­ämpfe im Staatsappa­rat ausgebroch­en.

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