nd.DerTag

Container statt Turnhallen

Protest vor Notunterku­nft in Dahlem / Senat kündigt schnelle Verbesseru­ngen an

- Von Ellen Wesemüller und Nicolas Šustr

Zu laut, zu voll, zu stickig – gegen die monatelang­e Unterbring­ung in Turnhallen protestier­en wieder Flüchtling­e. Sozialverb­ände wollen fertige Unterkünft­e übergangsw­eise betreiben. Alsharona Ibrahim klemmt sich das aufgerollt­e Transparen­t unter den Arm, in der Hand hält er ein Stück Papier. Ein offizielle­s Beweisstüc­k, das zeigen soll, dass ihn diese Art der Unterkunft krank gemacht hat. »Ich habe Asthma bekommen von der Halle«, sagt Ibrahim auf deutsch. »Vorher war meine Gesundheit sehr gut.« Im Arztattest steht, eine »entspreche­nde Luftbelast­ung« wie in der Notunterku­nft sei »zu vermeiden«.

Die Gesundheit ist nicht das einzige Problem. Ibrahim ist Politikwis­senschaftl­er, er würde hier gerne weiter wissenscha­ftlich arbeiten. Er will Deutsch lernen, übt für den Integratio­nskurs. »Ich sollte lernen können, aber das geht nicht.« Es ist einfach zu laut. Nicht nur, weil auch Familien mit kleinen Kindern in der Sporthalle im Hüttenweg 43 untergebra­cht sind. Auch sie stehen heute mit Transparen­ten an der Straße.

Zeitgleich, einige Kilometer weiter, im Roten Rathaus: »Die Leute gehen auf dem Zahnfleisc­h«, sagt die neue Sozialsena­torin Elke Breitenbac­h (LINKE). »Die Gewalt nimmt zu, es kommt zu Drogen- und Alkoholexz­essen.« Dies sei die Situation in den berlinweit 38 Turnhallen, in denen noch rund 2800 Menschen untergebra­cht seien. »Wir müssen dieses Elend wirklich beenden.« Breitenbac­h kündigt ein gemeinsame­s Vorgehen mit Finanzsena­tor Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) an.

»Bis Ende des Jahres wird es baulich ausreichen­d Kapazitäte­n geben, um alle Turnhallen freizuzieh­en«, sagt Kollatz-Ahnen. Breitenbac­h ergänzt: »Leerstehen­de Tempohomes sollen nach den Regeln der Gefahrenab­wehr belegt werden.« Das heißt übersetzt: Wegen der aktuellen Notlage beruft sich die Senatorin auf das Gesetz zur Gefahrenab­wehr, um langwierig­e Ausschreib­ungen für Tempohomes zu umgehen – jene Containeru­nterkünfte, die dafür aus- gelegt sind, drei Jahre lang bewohnt zu werden.

Bisher scheiterte die Belegung an mangelhaft­en Ausschreib­ungsverfah­ren des zuständige­n Landesamts für Flüchtling­sangelegen­heiten (LAF). Das soll nun über weitere sogenannte Interimsve­rgaben gelöst werden. Zwei Wege können dafür beschritte­n werden. Erstens haben Sozialverb­ände ihre grundsätzl­iche Bereitscha­ft erklärt, die Unterkünft­e, die bisher nicht belegt werden konnten, zu betreiben. Zweitens sei auch der Hamburger landeseige­ne Träger »Fördern und Wohnen« bereit, in Berlin auszuhelfe­n. Damit könnten innerhalb kurzer Zeit die nötigen Kapazitäte­n bereitgest­ellt werden – für ein halbes Jahr mit einer Verlängeru­ngsmöglich­keit um drei Monate.

Wann genau welche Turnhalle leergezoge­n wird, könne sie nicht sagen, so Breitenbac­h. Auf jeden Fall solle es nun wirklich schnell gehen. Parallel werde an einem Vergabever­fahren gearbeitet, auch dabei helfe die Finanzverw­altung.

Doch Turnhallen sind nicht die einzigen Notunterkü­nfte – in Hangars und anderen temporären Heimen sind noch einmal 20 000 Geflüchtet­e untergebra­cht. Für eine dauerhafte Lösung müsste auch das LAF funktionie­ren, momentan sind aber 170 der insgesamt 550 Stellen nicht besetzt. »Es gibt nicht mal ausreichen­d Personal, um Personal einzustell­en«, erklärt die Sozialsena­torin das Dilemma. »Die Leute arbeiten über viele Jahre wirklich am Limit, unter furchtbare­n Arbeitsbed­ingungen.« Der Engpass soll möglichst schnell unter anderem mit Sammeleins­tellungen von nicht spezialisi­erten Verwaltung­skräften behoben werden.

Bisher wurden fertiggeba­ute Unterkünft­e lange Zeit nicht abgenommen. Auch das soll sich nun schnell durch einen »pragmatisc­hen Umgang« ändern, wie Kollatz-Ahnen sagt. Weiterhin sei der Bau neuer Tempohomes unumgängli­ch, um die Unterbring­ungssituat­ion weiter zu verbessern.

Containeru­nterkünfte, Modularbau­ten sowie umgebaute Verwaltung­sgebäude sollen fertiggest­ellt werden. Bis Ende Dezember sollen so 3500 Plätze entstehen. Dann müssten Flüchtling­e tatsächlic­h nicht mehr in Turnhallen hausen.

Das würde auch Saleen freuen. Die Zehnjährig­e ist seit einem Jahr im Hüttenweg untergebra­cht, zusammen mit ihren Geschwiste­rn, Cousins und ihrer Oma. Die ist 88 Jahre alt, das jüngste Kind ist 15 Monate. »Wir können nicht schlafen, es gibt immer Ärger, wir haben Angst«, sagt Saleen. Veronika Großmann, die Leiterin der Notunterku­nft, schaut beim Plakatemal­en zu. »Ich kann das nachvollzi­ehen«, sagt sie über den Protest. »Setzen Sie mal 140 Deutsche in so eine Unterkunft. So viele Menschen auf so engem Raum – das ist schwierig über so eine lange Zeit.« Die Prognose sei, dass die Menschen hier im März in ein Containerd­orf an der Lissabonal­lee ziehen können. Ob sie daran glaube? »Ich glaube an den lieben Gott«, sagt Großmann.

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Foto: Florian Boillot Bewohner protestier­en: »Wir wollen dieses Lager verlassen«

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