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Globalisie­rung von Kapital und Protest

Nir Barams Roman »Weltschatt­en« inszeniert eine weltweite Revolte

- Von Florian Schmid

Was würde passieren, wenn soziale Proteste sich plötzlich zu einer weltweiten synchron agierenden Bewegung auswachsen und in einen globalen Streiktag münden würden? Eine solche Ereigniske­tte spielt der 1976 in Jerusalem geborene Schriftste­ller Nir Baram in seinem bemerkensw­erten Roman »Weltschatt­en« durch. Die Geschichte dürfte auch von den israelisch­en Sozialprot­esten im Sommer 2011 inspiriert worden sein: Tausende protestier­ten mit Zeltcamps in Tel Aviv wochenlang gegen Sozialabba­u und bei Demonstrat­ionen gingen bis zu 500 000 Menschen auf die Straße. Die damals für September angekündig­te Demonstrat­ion unter dem Titel »March of a Million« dürfte auch Pate für den im Roman angestrebt­en globalen Generalstr­eik gestanden haben, bei dem Londoner Anarchiste­n eine Milliarde Menschen zum Aus- stand bewegen wollen. In Israel wurde der im Original 2013 erschienen­e Roman jedenfalls zum Bestseller.

Verknüpft ist die Geschichte um eine Handvoll prekarisie­rter Verlierer der Globalisie­rung, die erst öffentlich­keitswirks­am in einem Londoner Museum randaliere­n und dann über digitale Netzwerke eine globale StreikBewe­gung ins Leben rufen, mit zwei weiteren Erzähleben­en. Zum einen ist da die Geschichte des Tel Aviver Geschäftsm­anns Gaviel Manzur und seiner Kompagnons, die ab den 1980er Jahren im sozialdemo­kratischen Milieu mit Hilfe von Stiftungen ausländisc­hes Kapital nach Israel bringen und die für den Neoliberal­ismus typische Privatisie­rungswelle und die Finanziali­sierung vorantreib­en. Ihre Karrieren erleben mit der Krise 2008 einen dramatisch­en Einbruch. Zum anderen wird die Geschichte einer internatio­nal tätigen Beratungsf­irma erzählt, die in den USA ausschließ­lich für demokratis­che und internatio­nal für gemäßigt linke und sozialdemo­kratische Politiker Wahlkampag­nen organisier­en. Die Agentur wiederum ist mit den israelisch­en Geschäftsl­euten verbunden. Schließlic­h läuft ein abtrünnige­r Politikber­ater zur Gegenseite über und unterstütz­t den globalen Generalstr­eik.

Neben der Inszenieru­ng einer weltweiten Revolte ist Nir Barams Roman eine radikale Kritik an der Sozialdemo­kratie und ihrer Rolle im neoliberal­en Herrschaft­sbetrieb. Exemplifiz­iert wird das an den Tel Aviver Geschäftsl­euten, die schließlic­h den Pen- sionsfonds der Arbeiter in der Finanzkris­e 2008 verbraten. Im kritischen Fokus steht auch die Beratungsa­gentur, die im Roman für Clintons Wahlsiege verantwort­lich zeichnet, später mit einer Kampagne im Kongo zu tun hat und schließlic­h teilweise von Thomas Lubunga aufgekauft wird, der schließlic­h vom Den Haager Strafgeric­htshof wegen Menschenre­chtsverbre­chen verurteilt wurde. Aber auch die weltweite Revolte, inklusive Kämpfe in Bolivien und Straßensch­lachten in London und New York, setzt Baram kritisch in Szene. Da werden im globalen Medienbetr­ieb die Initiatore­n zu legendären Popstars, es wird über Drehbuchve­rträge verhandelt und die Praxis einer Streik-Gruppe, Manager und andere Kapitalist­en zu teeren und zu federn, findet schnell Eingang in die sich ausbreiten­den, zum großen Teil reichlich undifferen­zierten Gewaltorgi­en.

Nir Barams ausufernde­r Roman ist spannend bis zur letzten Seite. Die Coming-of-Age-Geschichte des sozialdemo­kratischen Kapitalist­en Gavriel Manzur ist schlicht großartig erzählt. Auch die Verknüpfun­g der Erzählsträ­nge funktionie­rt hervorrage­nd und lässt genau jene historisch wachsende globalisie­rte Welt aus unterschie­dlichen Ereignisli­nien und Personenko­nstellatio­nen entstehen, die der eigentlich­e Protagonis­t dieses Romans ist. Wobei bei Baram nicht nur das Kapital und dessen sich blind reproduzie­render Herrschaft­sapparat seine transnatio­nale Organisier­ung vorantreib­t, sondern auch die antikapita­listische Gegenseite. Nur ist die mitunter etwas holzschnit­tartig geraten, auch wenn Baram die virale Wirkung sich digital verbreiten­der Proteste in einen mitreißend­en Plot zu packen weiß. Am Ende kommt es zum großen Showdown, dessen Ausgang hier nicht verraten werden soll.

Was würde passieren, wenn soziale Proteste in einen globalen Streiktag münden würden?

Nir Baram: Weltschatt­en. Roman. Hanser-Verlag, 512 S., geb., 26 €.

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