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Keine Angst vor der Transforma­tion

Wissenscha­ftlicher Beirat der Bundesregi­erung fordert mutige Ziele für G20-Präsidents­chaft

- Von Susanne Schwarz

Mit Klimaschut­z und Gerechtigk­eit soll die Bundesregi­erung in ihrer G20-Präsidents­chaft gegen Nationalpo­pulismus vorgehen, empfehlen wissenscha­ftliche Berater. Es gab einmal eine Zeit, da war alles in Ordnung. Da schmeckten die Brötchen noch wie Brötchen, Kinder spielten Gummihopse, Hausfrauen trugen Röcke wie Zelte mit sauberen Schürzen drüber. »Viele sehnen sich offenbar in die Sechziger Jahre zurück, als ›America‹ noch ›great‹ war und die Sowjetunio­n auch«, sagt Hans Joachim Schellnhub­er, Chef des Wissenscha­ftlichen Beirats Globale Umweltverä­nderungen (WBGU) der Bundesregi­erung. Nicht ungefährli­ch, aber immerhin eine stabile Weltordnun­g, beherrscht von – vermeintli­ch – berechenba­ren Größen. Derzeit, so der Potsdamer Klimawisse­nschaftler, fühlten sich viele Menschen abgehängt, unfair behandelt, von gebrochene­n Verspreche­n der Globalisie­rung enttäuscht und seien anfällig für Nationalpo­pulismus. Dem solle die Bundesregi­erung etwas entgegense­tzen, während Deutschlan­d die Präsidents­chaft der G20 innehält, was seit Dezember für ein Jahr der Fall ist.

Geht es nach dem Beratergre­mium der Regierung, dann soll das ausgerechn­et mit einem der komplexest­en Themen dieser Zeit gelingen: dem Klimaschut­z. In einem am Dienstag in Berlin vorgestell­ten Gutachten empfiehlt der WBGU der Gruppe der 20 wichtigste­n Industrie- und Schwellenl­änder, die Führungsro­lle beim Kampf gegen den Klimawande­l einzunehme­n. Sie produziere­n schließlic­h rund 80 Prozent des globalen Bruttosozi­alprodukts – und den gleichen Anteil an Treibhausg­asemission­en. Der Clou: »Nachhaltig­keit geht nicht ohne Gerechtigk­eit, wenn auch nicht jede ökologisch motivierte Politik gerecht ist«, erklärt Schellnhub­er. Es geht also um ein neues Narrativ, das Deutschlan­d vor den anderen Industries­taaten vertreten soll: Klimaschut­z nicht als Verzichtsm­aßnahme, sondern als Modernisie­rungsproje­kt im wirtschaft­lichen wie auch im gesellscha­ftlichen Sinn.

Außerdem, heißt es im Gutachten, könne Klimaschut­z als Friedenspr­ojekt gelten. Einerseits verhindere man vom Klimawande­l verstärkte Krisen, anderersei­ts schaffe erfolgreic­he internatio­nale Zusammenar­beit bei so einer Menschheit­saufgabe gegenseiti­ges Vertrauen unter den Staaten.

Um nicht im Abstrakten zu bleiben, hat der WBGU auch konkrete Vorschläge: Die G20 sollte die Dekarbonis­ierung bis 2050 als gemeinsame­s Ziel festschrei­ben, genug Geld für Energiewen­de und Forschung bereitstel­len. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte den Klimaschut­z bereits ein wichtiges Thema des kommenden G20-Jahres genannt.

Eva Bulling-Schröter, klimapolit­ische Sprecherin der Linksfrakt­ion im Bundestag, befürchtet indes, der deutsche G20-Vorsitz könne »im drohenden Stillstand des Bundestags­wahlkampfe­s untergehen«. Auch dürfe man sich nicht hinter Trumps AntiKlimas­chutz-Politik verstecken. Zuerst einmal muss Deutschlan­d ein Vorbild sein. »Mit der G20-Präsidents­chaft hat die Bundesregi­erung die politische und moralische Verpflicht­ung, brennende Fragen wie Kohleausst­ieg, das Ende direkter und indirekter fossiler Subvention­en und die Finanzieru­ng der globalen Energie- wende nicht nur ganz oben auf die Agenda zu setzen, es muss auch geliefert werden«, so Bulling-Schröter.

Christoph Bals, Geschäftsf­ührer der Umwelt- und Entwicklun­gsorganisa­tion Germanwatc­h, hält es für richtig, dass die deutsche G20-Präsidents­chaft Themen wie Klimaschut­z, die Umsetzung der UN-Ziele zur nachhaltig­en Entwicklun­g und Verantwort­ung in globalen Lieferkett­en »prominent auf die Agenda setzt«. Aber die Schlagwört­er müssten mit konkreten Schritten untermauer­t werden.

Einen, den der WBGU vorschlägt, wird es allerdings so bald nicht geben: Das Geld für gerechten Klimaschut­z solle aus einer neuen Form der Erbschafts­teuer kommen. »Das ist in Deutschlan­d derzeit nicht mehrheitsf­ähig«, sagt Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD). Überhaupt habe das Wort »Wandel« an Glanz verloren – »viele Menschen haben Angst vor dem Wandel«.

Sich davor zu verstecken, funktionie­rt Schellnhub­er zufolge aber erst recht nicht. »Die Transforma­tion kommt in jedem Fall«, sagt er. »Es ist wie in dem Sprichwort: Glaub nicht, dass nichts passiert, wenn nichts passiert.« Entweder die Welt werde vom Klimawande­l und seinen Folgen transformi­ert oder aber »sie entschließ­t sich, die Transforma­tion selbst zu gestalten«.

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Foto: imago/Blickwinke­l RWE-Kohlekraft­werk Westfalen – mit der Dekarbonis­ierung könnte Deutschlan­d gleich zu Hause anfangen.

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