Keine Angst vor der Transformation
Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung fordert mutige Ziele für G20-Präsidentschaft
Mit Klimaschutz und Gerechtigkeit soll die Bundesregierung in ihrer G20-Präsidentschaft gegen Nationalpopulismus vorgehen, empfehlen wissenschaftliche Berater. Es gab einmal eine Zeit, da war alles in Ordnung. Da schmeckten die Brötchen noch wie Brötchen, Kinder spielten Gummihopse, Hausfrauen trugen Röcke wie Zelte mit sauberen Schürzen drüber. »Viele sehnen sich offenbar in die Sechziger Jahre zurück, als ›America‹ noch ›great‹ war und die Sowjetunion auch«, sagt Hans Joachim Schellnhuber, Chef des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Bundesregierung. Nicht ungefährlich, aber immerhin eine stabile Weltordnung, beherrscht von – vermeintlich – berechenbaren Größen. Derzeit, so der Potsdamer Klimawissenschaftler, fühlten sich viele Menschen abgehängt, unfair behandelt, von gebrochenen Versprechen der Globalisierung enttäuscht und seien anfällig für Nationalpopulismus. Dem solle die Bundesregierung etwas entgegensetzen, während Deutschland die Präsidentschaft der G20 innehält, was seit Dezember für ein Jahr der Fall ist.
Geht es nach dem Beratergremium der Regierung, dann soll das ausgerechnet mit einem der komplexesten Themen dieser Zeit gelingen: dem Klimaschutz. In einem am Dienstag in Berlin vorgestellten Gutachten empfiehlt der WBGU der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, die Führungsrolle beim Kampf gegen den Klimawandel einzunehmen. Sie produzieren schließlich rund 80 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts – und den gleichen Anteil an Treibhausgasemissionen. Der Clou: »Nachhaltigkeit geht nicht ohne Gerechtigkeit, wenn auch nicht jede ökologisch motivierte Politik gerecht ist«, erklärt Schellnhuber. Es geht also um ein neues Narrativ, das Deutschland vor den anderen Industriestaaten vertreten soll: Klimaschutz nicht als Verzichtsmaßnahme, sondern als Modernisierungsprojekt im wirtschaftlichen wie auch im gesellschaftlichen Sinn.
Außerdem, heißt es im Gutachten, könne Klimaschutz als Friedensprojekt gelten. Einerseits verhindere man vom Klimawandel verstärkte Krisen, andererseits schaffe erfolgreiche internationale Zusammenarbeit bei so einer Menschheitsaufgabe gegenseitiges Vertrauen unter den Staaten.
Um nicht im Abstrakten zu bleiben, hat der WBGU auch konkrete Vorschläge: Die G20 sollte die Dekarbonisierung bis 2050 als gemeinsames Ziel festschreiben, genug Geld für Energiewende und Forschung bereitstellen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte den Klimaschutz bereits ein wichtiges Thema des kommenden G20-Jahres genannt.
Eva Bulling-Schröter, klimapolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, befürchtet indes, der deutsche G20-Vorsitz könne »im drohenden Stillstand des Bundestagswahlkampfes untergehen«. Auch dürfe man sich nicht hinter Trumps AntiKlimaschutz-Politik verstecken. Zuerst einmal muss Deutschland ein Vorbild sein. »Mit der G20-Präsidentschaft hat die Bundesregierung die politische und moralische Verpflichtung, brennende Fragen wie Kohleausstieg, das Ende direkter und indirekter fossiler Subventionen und die Finanzierung der globalen Energie- wende nicht nur ganz oben auf die Agenda zu setzen, es muss auch geliefert werden«, so Bulling-Schröter.
Christoph Bals, Geschäftsführer der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch, hält es für richtig, dass die deutsche G20-Präsidentschaft Themen wie Klimaschutz, die Umsetzung der UN-Ziele zur nachhaltigen Entwicklung und Verantwortung in globalen Lieferketten »prominent auf die Agenda setzt«. Aber die Schlagwörter müssten mit konkreten Schritten untermauert werden.
Einen, den der WBGU vorschlägt, wird es allerdings so bald nicht geben: Das Geld für gerechten Klimaschutz solle aus einer neuen Form der Erbschaftsteuer kommen. »Das ist in Deutschland derzeit nicht mehrheitsfähig«, sagt Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Überhaupt habe das Wort »Wandel« an Glanz verloren – »viele Menschen haben Angst vor dem Wandel«.
Sich davor zu verstecken, funktioniert Schellnhuber zufolge aber erst recht nicht. »Die Transformation kommt in jedem Fall«, sagt er. »Es ist wie in dem Sprichwort: Glaub nicht, dass nichts passiert, wenn nichts passiert.« Entweder die Welt werde vom Klimawandel und seinen Folgen transformiert oder aber »sie entschließt sich, die Transformation selbst zu gestalten«.