Wasserkraft statt Regenwald
Brasiliens Regierungen setzen seit Jahren auf Großprojekte in Amazonien
Im Amazonasgebiet werden trotz Bedenken von Umweltschützern, Anwohnern und Indigenen weiter riesige Wasserkraftprojekte geplant und gebaut. Mit schwerwiegenden Folgen für die Umwelt. Cardoso, da Silva, Rousseff, Temer: Brasiliens Regierungen kommen und gehen. Die Abholzung des AmazonasRegenwaldes und der Savannen (Cerrado) geht immer schneller. Zwischen August 2015 und Juli 2016 fielen knapp 8000 Quadratkilometer Regenwald der Motorsäge und Brandrodung zum Opfer. Laut Daten des brasilianischen Weltraumforschungsinstituts waren es 29 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.
Gebetsmühlenhaft erklären Regierung und manche Umweltschützer die Rinderzüchter sowie den Fleischkonsum zu Hauptschuldigen. Tatsächlich sind die Abholzungen für Weideland nur die Folge einer seit dem Bau der Transamazonica-Straße in den 1960ern mit Steuergeldern und Gesetzen geförderten Kolonisierung Amazoniens. Brasiliens reformiertes Waldgesetz aus dem Jahr 1965 erlaubt, dass Landbesitzer 20 Prozent des Regenwaldes und 65 Prozent des CerradoWaldes abholzen dürfen. Überschreiten sie diese Menge, müssen sie höchstens mit einer minimalen Geldstrafe rechnen, die meist so lange nicht bezahlt wird, bis Parlament und Regierung eine Amnestie erwirken. So geschehen zuletzt 2012 mit der Verabschiedung der Waldgesetzreform. In der Zwischenzeit haben Rinderzüchter neue Flächen gerodet oder abgefackelt und die »alten« Weiden an Sojaproduzenten verscherbelt, die sich mit dem Spruch »für Soja wird kein Baum gefällt« rühmen dürfen.
Hinzu kommt der voranschreitende Bau von Straßen und Häfen in sowie die Ausweitung von Rohstoffabbau und Wasserkraftnutzung in Amazonien. Der Bau von Megastaudämmen wie Santo Antônio am Rio Madeira oder Belo Monte am Rio Xingu benötigt Zufahrtsstraßen und kilometerlange Stromtrassen durch den Regenwald. Die Dammbauten locken Zehntausende Arbeiter nach Amazonien, von denen viele später in der Ab- holzung des Waldes entlang der Trassen eine Einkommensquelle finden.
Bereits Ende der 1980er war Umweltwissenschaftlern und Ethnologen klar: Es dürfen keine weiteren Staudämme errichtet werden. Die ökologischen, sozialen wie ökonomischen Erfahrungen durch den Bau der Staudämme Balbina von 1985 bis 1989 und Tucurui von 1975 bis 1984 waren überdeutlich. Das 1987 veröffentlichte Wasserkraftprogramm »Plano 2010« sah den Bau von 68 Staudämmen in Amazonien vor. Doch ab 1988 stemmten sich erfolgreich die globale Umweltschutzgemeinde und Massenmedien angeführt von Kayapó-Häuptlingen sowie dem Ethnobiologen Darrel Addison Posey gegen die Fortsetzung des Plano 2010 und gegen Belo Monte. So ließen Übergangspräsident José Sarney sowie sein Nachfolger Fernando Collor de Mello die Pläne in den Schreibtischen verschwinden.
Erst Lula da Silva holte sie wieder hervor. Diesmal blieben Proteste und ein Aufschrei der Massenmedien aus. Zwar gab es kritische Stimmen wie die von Amazonasbischof Erwin Kräutler und Kayapó-Häuptling Raoni, doch da Silva und seine Nachfolgerin Dilma setzten das Wasserkraftprogramm fast ungehindert um. Gleichzeitig bekamen die Wasserkraftwerke pauschal das Nachhaltigkeitslabel angeheftet.
»Staudämme in Amazonien sind alles andere als eine saubere Energiequelle«, erläutert der Klima- und Amazonasforscher Philip Fearnside vom Amazonas-Forschungsinstitut Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia. Sie blockieren Routen für wandernde Fische, überfluten Zehntausende Hektar Regenwald und ver- treiben indigene Bevölkerungsgruppen. Aufgrund der überfluteten, verrottenden Vegetation und organischen Bodenmaterials setzen sie zudem große Mengen der Treibhausgase CO2 und Methan frei. Weil die Stauseen in den Trockenzeit schrumpfen und die Uferbereiche von Pflanzen überwuchert werden, seien sie regelrechte Methanfabriken, so Fearnside.
Nichtsdestotrotz brachten da Silva und Rousseff gemeinsam mit Ex-VizePräsident Michel Temer über 20 weitere Wasserkraftgroßprojekte auf den Weg. Allein die Kraftwerke Santo Antônio, Jirau und Belo Monte kosteten zusammen rund 20 Milliarden Euro an Steuergeldern, von denen ein großer Teil in den Kassen korrupter Baukonzerne verschwand.
Inzwischen liegt der Fokus der Wasserkraftlobby auf der Region des Rio Tapajós. Insgesamt 43 Talsperren sind geplant und teils bereits in Bau. Zwar wurde einer der Megastaudämme vergangenen August von der Interimsregierung Michel Temer auf Eis gelegt, weil er einen zu großen Teil des Territoriums der Munduruku überfluten würde. Doch dieser Pyrrhussieg ist eher beeinflusst durch die aufgrund der Großprojekte und Korruption leere Staatskasse.
Parallel setzt die Regierung weiter auf zahlreiche »kleine« Wasserkraftwerke, die Pequenas Centrais Hidrelétricas (PCHs) mit bis zu 30 Megawatt Leistung und bis zu drei Quadratkilometern Stauseefläche, die keine Umweltverträglichkeitsprüfung benötigen. Laut Fearnside sind Hunderte dieser PCHs in Bau. Die Schlacht um das Amazonasgebiet ist noch lange nicht geschlagen.