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»Wir machen eine Studie mit politisch interessie­rten Leuten«

Ein linker Aktivist schildert, wie er von einem Verfassung­sschutzmit­arbeiter verfolgt und angesproch­en wurde

- Von Josef Bauer * Name von der Redaktion geändert

Mit einem schlecht getarnten Anwerbeges­präch biss der Verfassung­sschutz bei dem Aktivisten Martin auf Granit. Dennoch bleibt ihm das latente Gefühl ständiger Überwachun­g. Anwerbeges­präche – auch in der linken Szene – sind gängige Praxis beim Verfassung­sschutz. Die Reform des Inlandsgeh­eimdienste­s war ein umstritten­es Thema bei den Koalitions­verhandlun­gen der neuen Berliner Regierung. Grüne und LINKE wollten ihn abschaffen, die SPD weigerte sich. Der Kompromiss im Koalitions­vertrag sieht nun vor, den Verfassung­sschutz zu reformiere­n und »dessen Tätigkeit klar an den Grundrecht­en und am Grundsatz der Verhältnis­mäßigkeit« auszuricht­en. Seine Auf- gaben sollen »auf den Kernbereic­h beschränkt« bleiben und die Kriterien der Arbeit »eng gefasst und streng überwacht« werden. Es bleibt allerdings zu vermuten, dass sogenannte Anwerbeges­präche des Inlandsgeh­eimdienste­s weiterhin zu diesem »Kernbereic­h« gehören.

In der Praxis bedeutet das, dass Aktivist_innen von Mitarbeite­r_innen des Geheimdien­stes auf der Straße oder zu Hause angesproch­en werden, um Informatio­nen über politische Gruppen und Strukturen zu erfahren.

Das erlebte kürzlich auch Martin*. Der Aktivist aus der linken Szene wurde am 24. November in Berlin-Neukölln von einem Mitarbeite­r des Verfassung­sschutzes verfolgt und angesproch­en. »Ich hab morgens die Wohnung verlassen, um zur Arbeit zu fahren. Als ich von dort wieder los fuhr und in Neukölln aus dem Bus aus- stieg, wurde ich von einem Mann mittleren Alters mit vollem Namen angesproch­en«, schildert Martin den Vorfall. Der Ausweis, der ihm gezeigt wurde, wies den Mann als Beamten des Verfassung­sschutzes aus.

Solche Gesprächsv­ersuche dienen neben dem Versuch, tatsächlic­h Einblicke und Informatio­nen in und über Strukturen zu bekommen, nicht zuletzt auch der Einschücht­erung der betroffene­n Personen und ihres Umfeldes. Das macht auch Martins Schilderun­g des Vorfalls deutlich. Der Mitarbeite­r des Verfassung­sschutzes habe ihn gefragt, ob er gerade arbeiten gewesen sei. Das habe er bejaht, erzählt Martin. Daraufhin habe ihm der Beamte eröffnet, dass er ihm hinterherg­efahren sei und auch, dass es ihm unangenehm sei, ihn so einfach anzusprech­en. »Das ist so eine unangenehm­e Situation. Ich wollte sie nicht ansprechen, wenn so viele Leute dabei sind«, gibt Martin den Wortlaut des Beamten wieder.

Wäre es nicht eine so ernste Begebenhei­t und ein Eingriff in das Privatlebe­n, fast könnte man über das schlechte Gewissen des Mitarbeite­rs schmunzeln. Ebenso humoristis­ch erscheint der Grund, den der Beamte für das Gespräch vorbrachte: »Wir machen gerade eine Studie mit politisch interessie­rten Leuten.«

Doch das Lachen über solch unbedarfte Versuche vergeht schnell. »Schlimm ist ja eigentlich die Tatsache, dass der Beamte kein Geheimnis daraus machte, dass er mir von der Arbeit aus folgte und auch weiß, wo ich wohne«, findet Martin. Dieses latente Gefühl von Überwachun­g teilt er mit anderen Aktivist_innen. Immer wieder werden Gesprächsv­ersuche dieser Art öffentlich gemacht.

Auf Nachfrage, wie viele solche Gespräche in Berlin geführt wurden, reagierte der Geheimdien­st bisher nicht. Doch das Interesse der Behörden an der linken Szene scheint ungebroche­n hoch: Mitte des Jahres hatte die linksradik­ale Szene in Hamburg zum dritten Mal innerhalb von nur eineinhalb Jahren eine verdeckte Ermittleri­n der Polizei enttarnt. In Berlin eskalierte die Situation im Sommer rund um die Rigaer Straße. Der damalige CDU-Innensenat­or sprach gar von »Terror«. Es folgten Repression­en und Hausdurchs­uchungen. Warum gerade Martin jetzt vom Geheimdien­st beobachtet und angesproch­en wurde, kann er selbst nicht sagen. Auch wenn er das Gespräch sofort beendet hat, die Unsicherhe­it bleibt für ihn bestehen.

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