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Katar gelobt Besserung, Amnesty zweifelt

Der Gastgeber der WM 2022 schafft sein umstritten­es Kafalasyst­em ab, lässt aber große Schlupflöc­her im Gesetz

- Von Jirka Grahl

Mit einem neuen Gesetz hat Katar auf die internatio­nale Kritik an der Zwangsarbe­it auf den WM-Baustellen reagiert. »Ein neues Etikett an einem alten Gesetz«, urteilen internatio­nale Gewerkscha­fter. Noch sechs Jahre wird es dauern, ehe zum ersten Mal ein WM-Fußball über den Rasen eines WM-Stadions in Doha rollt. 72 Monate, 312 Wochen, fast 2200 Tage, an denen sich das Golfemirat immer wieder dem unangenehm­en Thema der unmenschli­chen Arbeitsbed­ingungen auf den WMBaustell­en wird widmen müssen – ein PR-Desaster. Am Montag verkündete Arbeitsmin­ister Issa bin Saad alDschafal­i al-Nuaimi ein neues Gesetz, das am Dienstag in Kraft trat: 1,2 Millionen ausländisc­he Arbeitskrä­fte im Land sollen neue Verträge erhalten, das viel kritisiert­e Bürgensyst­em »Kafala« werde abgeschaff­t.

Bisher musste jeder Arbeitsmig­rant in Katar laut dem Kafala-Gesetz von 2009 einen inländisch­en Bürgen haben – entweder eine Firma oder eine Person. Die Rolle des Bürgen übernahm zumeist die Firma, für die der Arbeitsmig­rant im Einsatz war. Dem Unternehme­n bescherte diese Konstrukti­on eine Machtfülle, die es zumeist nach allen Regeln ausnutzte: Menschenre­chtsorgani­sationen und Gewerkscha­ften sehen auf Katars Baustellen ein »sklavereiä­hnliches« Prinzip wirken, das dazu führt, dass die Bedingunge­n, unter denen die Arbeitsmig­ranten aus Indien, Nepal, Bangladesc­h oder Pakistan auf den Baustellen schuften müssen, oft unzumutbar sind. Quälende Hitze, winzige Unterkünft­e, mangelhaft­er Arbeitssch­utz: Seit 2010 sind nach Berechnung­en des Internatio­nalen Gewerkscha­ftsbundes (IGB) 1200 Gastarbeit­er in Katar gestorben.

Der internatio­nale Druck auf das Ausrichter­land und den Weltfußbal­lverband ist seit der Vergabe der WM 2022 stetig gestiegen. Katar hatte bereits für 2015 Änderungen versproche­n, diese aber immer wieder verschoben. Im November unterzeich­nete das katarische WM-Planungsgr­emium »Supreme Committee for Delivery und Legacy« einen Vertrag mit der Bau- und Holzarbeit­er-Internatio­nale (BHI), die der BHI erlaubt, unangemeld­ete Inspektion­en auf Katars WM-Baustellen durchzufüh­ren. Der Vertrag gilt vorerst für ein Jahr.

Das am Montag verkündete Gesetz (Law No. 21 on the Entry, Exit and Residency of Foreign Nationals) soll nun einen ungleich größeren Schritt bedeuten: »Es ersetzt das Kafalasyst­em durch ein modernisie­rtes, vertragsba­siertes System«, sagt Arbeitsmin­ister al-Nuaimi. Die neue Regelung sei eine »wichtige Verbesseru­ng zum Schutz der Rechte von Auswandere­rn« in Katar.

Die Gewerkscha­ften kritisiere­n das neue Gesetz scharf, es beinhalte kaum wirkliche Verbesseru­ngen: »Ein neues Etikett an ein altes Gesetz heften, entfernt noch nicht den dunklen Fleck der modernen Sklaverei«, klagt Sharan Burrows vom IGB. Der Gewerkscha­ftsbund hatte 2013 die Aufmerksam­keit auf das Thema gelenkt, als er prognostiz­iert hatte, auf den Stadionbau­stellen Katars würden bis zum Anpfiff des Turniers mehr Menschen gestorben sein, als das Turnier Spieler hat (800). Mittlerwei­le wird mit bis zu 4000 Toten gerechnet

Die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal bemängelt, dass drei Bestimmung­en im Gesetz Nr. 21 auch künftig für Ausbeutung und Zwangsarbe­it sorgen. Erstens: Ein Arbeitsste­llenwechse­l sei weiterhin nur mit Zustimmung des Arbeitgebe­rs möglich, sonst drohe ein Strafanzei­ge wegen »unerlaubte­r Abwesenhei­t«. Zweitens bräuchten die Arbeitsmig­ranten weiterhin die Zustimmung des Arbeitgebe­rs zum Verlassen des Landes. Und drittens sei das bisher strafbare Einbehalte­n der Pässe der Arbeiter nun »dank einer neuen, leicht ausnutzbar­en Gesetzeslü­cke vollkommen legal«. René Wildangel, Amnesty-Experte für den Mittleren und Nahen Osten räumt ein, es sei »positiv, dass Katar das Problem erkannt hat und auf die Forderung reagiert, das umstritten­e Sponsorenp­rinzip abzuschaff­en. Das neue Gesetz bietet aber kaum konkrete Verbesseru­ngen und keinen ausreichen­den Schutz.«

Arbeitsmin­ister al-Nuaimi gibt sich gegenüber der Kritik von NGOs und Gewerkscha­ften bemüht aufgeschlo­ssen: »Wir begrüßen jede Bemerkung oder konstrukti­ve Kritik und werden das auch in der Zukunft tun«, sagte er am Montag: »Allerdings möchten wir die internatio­nale Gemeinscha­ft dringend bitten, keine endgültige­n Schlüsse zu ziehen bis Zeit vergangen ist, um die Wirksamkei­t des neuen Gesetzes zu sehen.«

Für viele Arbeiter aus den armen Ländern Süd- und Südostasie­ns könnte eine Wirksamkei­t lebenswich­tig sein: Nach Berechnung­en des »Guardian« sterben auf den Baustellen in Katar pro Tag ein bis zwei Menschen.

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Foto: dpa Bauarbeite­r warten auf einer Baustelle in Doha vor den Bussen auf die Rückfahrt in ihr Camp.

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