Familientag im Gefängnis
Manche Vollzugsanstalten bieten ein paar unbeschwerte Stunden beim Spielen und Basteln
Wenn Mama oder Papa ins Gefängnis müssen, dann ist das für viele Kinder eine große psychische Belastung. Experten fordern deswegen einen familienfreundlicheren Strafvollzug. Mustapha B. blickt von seinem Stuhl aus immer wieder zum vergitterten Fenster. Irgendwo da draußen ist seine Ex-Frau mit drei Kindern auf dem Weg zu ihm. Seit einem Vierteljahr hat er sie nicht gesehen. Doch der 42Jährige kann sie nicht am Bahnhof abholen oder ihnen entgegenlaufen, sondern ist zum Warten verdammt: Er sitzt wie rund 250 andere Männer im Ostthüringer Gefängnis Hohenleuben ein. »Ich bin innerlich total aufgewühlt«, gesteht er.
Es ist Familientag im Knast und die anderen drei Häftlinge im weihnachtlich dekorierten Speisesaal sprechen und spielen schon mit ihrem Nachwuchs. Ein Junge kleckert Farbe auf seine Hand und die seines Vaters – dann verewigen sie ihre Abdrücke auf einem T-Shirt. Ein anderer der »schweren Jungs« kuschelt mit seinem Baby auf einer pinkfarbenen Decke auf dem Fußboden.
Experten gehen davon aus, dass in Deutschland etwa 100 000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren von der Haft eines Elternteils betroffen sind. In der sogenannten Coping-Studie hatte sich schon vor rund drei Jahren ergeben, dass solche Kinder deutlich mehr psychische und körperliche Probleme haben als ihre Altersgenossen. Die Autoren kamen damals zum Ergebnis, dass mehr Hilfsangebote geschaffen werden müssen.
»Ein Viertel der Kinder von Inhaftierten sind psychisch belastet«, sagt Stefan Giebel, Leiter des Kriminologischen Dienstes für den Thüringer Strafvollzug. Und die Haft sei eine Belastung für die Beziehung zwischen dem Vater und seinen Kindern. Je länger sie dauere, desto stärker lebten sie sich auseinander. »Eine vorhandene stabile Beziehung zwischen Vater und Kind kann auch als Motivation für den Vater dienen, sich erfolgreich nach Haftentlassung in die Gesellschaft zu integrieren«, betont der Fachmann.
Doch es geht nicht nur um Resozialisierung. Für Klaus Roggenthin, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe, stehen die Kinder im Fokus. Sie hätten ein Recht auf Umgang mit beiden Elternteilen. Aber im deutschen Strafvollzug werde das nicht flächendeckend gewährleistet. »Wir stehen da ganz am Anfang«, sagt er. »Bei Besuchen ist die Atmosphäre meist sehr einschüchternd und sind die Beamten nicht auf Kinder eingestellt.« Es komme sogar vor, dass Kinder nur durch eine Glasscheibe mit ihrem inhaftierten Elternteil sprechen dürften. Und in der Regel können Kinder ihre Mutter oder ihren Vater im Gefängnis nicht direkt anrufen, um vom Liebeskummer oder dem Sieg des Fußballteams zu erzählen.
Schon seit 2008 gibt es in Hohenleuben mehrmals im Jahr Familientage außerhalb der regulären Besuchszeiten – an Fasching etwa, in der Vorweihnachtszeit oder als Sommerfest. Die Väter sollen dann ein paar unbeschwerte Stunden mit ihren Kindern erleben, berichtet Sozialpädagogin Ines Aschenbrenner. Die Veranstaltungen stehen unter Regie der Sozialarbeiter, und es ist niemand in Uniform zu sehen. »Hier können sich auch mal die Muttis austauschen, während die Vatis die Kinder füttern und wickeln.«
Nun hält es auch Mustapha B. nicht mehr auf seinem Stuhl. Mit etwa einer Stunde Verspätung schließt er seine drei Kinder in den Arm. Sein 13Jähriger erzählt ihm vom Boxen, was er seit einigen Monaten trainiert. »Wie ist es hier?«, erkundigt er sich bei seinem Vater und erzählt, dass er es sich im Gefängnis anders vorgestellt habe – »mit grauen Wänden und mehr Gittern«. Allerdings haben die Sozialarbeiter für den Familientag auch den Speisesaal im Verwaltungstrakt hergerichtet.
Mustapha B. bemalt nun mit seiner elfjährigen Tochter eine Tonglocke, später wird er mit den Kindern Bilderlotto spielen, während ein Radio den Saal mit weihnachtlicher Popmusik beschallt. »Es macht Spaß«, erzählen die drei Kinder unisono – und dass sie fast vergessen haben, hier in einem Gefängnis zu sein.
»Dass ich sonst nicht bei meinen Kindern sein kann, ist für mich die größte Strafe«, bekennt der Familienvater, der wegen schwerer Körperverletzung unter Alkohol und Drogen verurteilt wurde. Wenn die Haft vorbei sei, dann wolle er sie um Entschuldigung bitten, weil er sie enttäuscht habe, sagt er.
»Eine vorhandene stabile Beziehung zwischen Vater und Kind kann auch als Motivation für den Vater dienen, sich erfolgreich nach Haftentlassung in die Gesellschaft zu integrieren.« Stefan Giebel, Leiter des Kriminologischen Dienstes für den Thüringer Strafvollzug