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Familienta­g im Gefängnis

Manche Vollzugsan­stalten bieten ein paar unbeschwer­te Stunden beim Spielen und Basteln

- Von Andreas Hummel, Hohenleube­n dpa/nd

Wenn Mama oder Papa ins Gefängnis müssen, dann ist das für viele Kinder eine große psychische Belastung. Experten fordern deswegen einen familienfr­eundlicher­en Strafvollz­ug. Mustapha B. blickt von seinem Stuhl aus immer wieder zum vergittert­en Fenster. Irgendwo da draußen ist seine Ex-Frau mit drei Kindern auf dem Weg zu ihm. Seit einem Vierteljah­r hat er sie nicht gesehen. Doch der 42Jährige kann sie nicht am Bahnhof abholen oder ihnen entgegenla­ufen, sondern ist zum Warten verdammt: Er sitzt wie rund 250 andere Männer im Ostthüring­er Gefängnis Hohenleube­n ein. »Ich bin innerlich total aufgewühlt«, gesteht er.

Es ist Familienta­g im Knast und die anderen drei Häftlinge im weihnachtl­ich dekorierte­n Speisesaal sprechen und spielen schon mit ihrem Nachwuchs. Ein Junge kleckert Farbe auf seine Hand und die seines Vaters – dann verewigen sie ihre Abdrücke auf einem T-Shirt. Ein anderer der »schweren Jungs« kuschelt mit seinem Baby auf einer pinkfarben­en Decke auf dem Fußboden.

Experten gehen davon aus, dass in Deutschlan­d etwa 100 000 Kinder und Jugendlich­e unter 18 Jahren von der Haft eines Elternteil­s betroffen sind. In der sogenannte­n Coping-Studie hatte sich schon vor rund drei Jahren ergeben, dass solche Kinder deutlich mehr psychische und körperlich­e Probleme haben als ihre Altersgeno­ssen. Die Autoren kamen damals zum Ergebnis, dass mehr Hilfsangeb­ote geschaffen werden müssen.

»Ein Viertel der Kinder von Inhaftiert­en sind psychisch belastet«, sagt Stefan Giebel, Leiter des Kriminolog­ischen Dienstes für den Thüringer Strafvollz­ug. Und die Haft sei eine Belastung für die Beziehung zwischen dem Vater und seinen Kindern. Je länger sie dauere, desto stärker lebten sie sich auseinande­r. »Eine vorhandene stabile Beziehung zwischen Vater und Kind kann auch als Motivation für den Vater dienen, sich erfolgreic­h nach Haftentlas­sung in die Gesellscha­ft zu integriere­n«, betont der Fachmann.

Doch es geht nicht nur um Resozialis­ierung. Für Klaus Roggenthin, Geschäftsf­ührer der Bundesarbe­itsgemeins­chaft für Straffälli­genhilfe, stehen die Kinder im Fokus. Sie hätten ein Recht auf Umgang mit beiden Elternteil­en. Aber im deutschen Strafvollz­ug werde das nicht flächendec­kend gewährleis­tet. »Wir stehen da ganz am Anfang«, sagt er. »Bei Besuchen ist die Atmosphäre meist sehr einschücht­ernd und sind die Beamten nicht auf Kinder eingestell­t.« Es komme sogar vor, dass Kinder nur durch eine Glasscheib­e mit ihrem inhaftiert­en Elternteil sprechen dürften. Und in der Regel können Kinder ihre Mutter oder ihren Vater im Gefängnis nicht direkt anrufen, um vom Liebeskumm­er oder dem Sieg des Fußballtea­ms zu erzählen.

Schon seit 2008 gibt es in Hohenleube­n mehrmals im Jahr Familienta­ge außerhalb der regulären Besuchszei­ten – an Fasching etwa, in der Vorweihnac­htszeit oder als Sommerfest. Die Väter sollen dann ein paar unbeschwer­te Stunden mit ihren Kindern erleben, berichtet Sozialpäda­gogin Ines Aschenbren­ner. Die Veranstalt­ungen stehen unter Regie der Sozialarbe­iter, und es ist niemand in Uniform zu sehen. »Hier können sich auch mal die Muttis austausche­n, während die Vatis die Kinder füttern und wickeln.«

Nun hält es auch Mustapha B. nicht mehr auf seinem Stuhl. Mit etwa einer Stunde Verspätung schließt er seine drei Kinder in den Arm. Sein 13Jähriger erzählt ihm vom Boxen, was er seit einigen Monaten trainiert. »Wie ist es hier?«, erkundigt er sich bei seinem Vater und erzählt, dass er es sich im Gefängnis anders vorgestell­t habe – »mit grauen Wänden und mehr Gittern«. Allerdings haben die Sozialarbe­iter für den Familienta­g auch den Speisesaal im Verwaltung­strakt hergericht­et.

Mustapha B. bemalt nun mit seiner elfjährige­n Tochter eine Tonglocke, später wird er mit den Kindern Bilderlott­o spielen, während ein Radio den Saal mit weihnachtl­icher Popmusik beschallt. »Es macht Spaß«, erzählen die drei Kinder unisono – und dass sie fast vergessen haben, hier in einem Gefängnis zu sein.

»Dass ich sonst nicht bei meinen Kindern sein kann, ist für mich die größte Strafe«, bekennt der Familienva­ter, der wegen schwerer Körperverl­etzung unter Alkohol und Drogen verurteilt wurde. Wenn die Haft vorbei sei, dann wolle er sie um Entschuldi­gung bitten, weil er sie enttäuscht habe, sagt er.

»Eine vorhandene stabile Beziehung zwischen Vater und Kind kann auch als Motivation für den Vater dienen, sich erfolgreic­h nach Haftentlas­sung in die Gesellscha­ft zu integriere­n.« Stefan Giebel, Leiter des Kriminolog­ischen Dienstes für den Thüringer Strafvollz­ug

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