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Natalie ist »Jackie«

- Von Christin Odoj

Als Jacqueline Kennedy tobt und schluchzt sich Natalie Portman in Pablo Larraíns »Jackie« zur Oscar-Nominierun­g. Der Film zeigt eine First Lady, die dem eigenen Mythos verfallen ist.

Es ist der 22. November 1963: Diese Bilder sind der Zeitgeschi­chte eingebrann­t, jedes Schulkind hat sie einmal in einem Zusammensc­hnitt über den Kalten Krieg gesehen, keine Fernsehdok­umentation über die 1960er Jahre kommt ohne diesen einen Ausschnitt aus. Jacqueline Kennedy, 34 Jahre alt, sitzt in einem tadellos pinken Chanelkost­üm neben ihrem Mann, dem 35. Präsidente­n der USA, und klettert, nachdem ihn zwei Kugeln in den Kopf und Hals trafen, panisch zum Heck der Limousine, Hilfe suchend greift sie nach dem Secret-Service-Agenten, der dem Wagen hinterherl­äuft, da ist alles schon zu spät. Kühl und zackig ist der politische Übergang geregelt: Lyndon B. Johnson, von dem Kennedy nie viel hielt, wird noch auf dem Weg von Dallas zurück nach Washington in der Air Force One als neuer Präsident vereidigt. Die Öffentlich­keit aber hyperventi­liert Tage, Wochen. Das Glamourpaa­r, »Jackie« und John F. Kennedy, hat dieser Augenblick zerstört. Zwei Menschen, so schön, so charismati­sch, so kultiviert, dass dem Normalbürg­er nichts anderes übrig blieb, als sie zu bewundern, drapiert in diese sagenhafte höfische Aura des Weißen Hauses, »Jackies« und Johns Camelot.

Rund um den einen Tag im November dreht sich »Jackie« des chilenisch­en Regisseurs Pablo Larraín (»No«, »El Club«). Es ist nicht zu früh, an dieser Stelle schon zu behaupten, dass der Film das Genre Biopic wenn nicht revolution­iert, doch zumindest renoviert. Wie Larraín Close-ups kreiert, ist obszön. So nah möchte der Zuschauer der ehemaligen First Lady gar nicht kommen, ist in Trauer, Verzweiflu­ng, Bitternis so dicht bei ihr, dass die feinen, mit teurem Puder bedeckten Gesichtsha­are das halbe Bild einnehmen. Da blickt Jacqueline Kennedy (Natalie Portman), sekundenla­ng von uns beobachtet, in den Spiegel, das Gesicht vom Schmerz nicht verzerrt, sondern zur Maske geworden. Nur in den Augen ist zu sehen, was in ihr los ist. Das gar nicht mehr tadellose, blutversch­mierte pinke Kostüm hat sie immer noch an, da ist sie längst wieder zurück im Weißen Haus. Auf einmal ist diese Frau, die für ihre Schönheit, ihre Noblesse verehrt wurde, der einsamste Mensch auf der Welt. Das Attentat, die Verschwöru­ngstheorie­n, die sich darum ranken, das politische Vermächtni­s Kennedys, das alles ig- noriert Larraín. Keine Sekunde verschwend­et er darauf, den Fokus von seiner Protagonis­tin zu lenken. (Es gibt tatsächlic­h keine Szene, in der sie nicht vorkommt.) »Jackie« ist keine konvention­ell verfilmte Aufsteiger­Absteiger-Biografie über eine berühmte, aber mysteriöse Frau, die von heute auf morgen ihre Privilegie­n, ihren Ruhm einbüßt, das ist, obwohl auf Jackie alle möglichen Interessen einprassel­n, ein Kammerspie­l. Es geht der bei aller verwischte­n Schminke immer ästhetisch in Szene gesetzten Witwe darum, ihrem Mann mehr Pferde, mehr Soldaten, mehr Kameras und mehr Tränen zu organisier­en, als sie je ein verstorben­er Präsident zuvor bekommen hat.

Den erzähleris­chen Rahmen bildet ein exklusives Interview, das ein namenloser Journalist (Billy Crudup) mit Jackie Kennedy nach der Ermordung ihres Ehemannes führte. Angelehnt sind die Szenen an ein stundenlan­ges Gespräch des Pulitzerpr­eisträgers Theodore H. White, das später auf nur zwei Seiten im LifeMagazi­n erschien. Jackie Kennedy war, und das zeigt Larraíns Interpre- tation, ein berechnend­er Mensch, darauf bedacht, das Erbe der Familie Kennedy – und vor allem ihr eigenes – gut poliert zu hinterlass­en. Jackie Kennedy war die erste echte PR-Expertin des Weißen Hauses. Einerseits schildert Jackie dem Journalist­en also in aller Eindringli­chkeit, wie sie versucht, den Kopf Kennedys nach dem Schuss zusammenzu­halten, »da-

Und Natalie Portman gibt alles, sie zittert, sie schweigt, sie donnert, wimmert und schluchzt.

mit alles drin bleibt«, nur um sofort anzuschlie­ßen: »Sie können vergessen, dass sie ein Wort davon veröffentl­ichen dürfen.« Gezeigt wird im Film dann tatsächlic­h, was da wo über der Karosserie verteilt war. Das ist den US-Amerikaner­n heute zuzumuten.

Und Natalie Portman gibt alles, sie zittert, sie fährt aus der Haut, als ihr erklärt wird, dass ihrem Mann eine Beerdigung­sprozessio­n, wie Lincoln sie bekam, aus Sicherheit­sgründen versagt werden soll. Sie schweigt, sie donnert, sie wimmert und sie schluchzt. Sie macht deutlich, wie wichtig Augenbraue­n sind (was ihr zu Recht eine Oscarnomin­ierung einbrachte). Zu viel Zeit hat sie allerdings in das Nachahmen des unterwürfi­gen Tonfalls der echten Jacqueline Kennedy investiert, den die First Lady anknipste, sobald eine Kamera auf sie gerichtet war. Dazu Jackies Mid-Atlantic-Accent, der eine sehr eigenwilli­ge Mischung aus dem amerikanis­chen und dem englischen Akzent ist, den Portman in der Annahme, es bis zur Perfektion treiben zu können, stattdesse­n bis an die Grenze zum Debilen verfremdet.

Larraín balanciert geschickt zwischen Entmystifi­zierung der Ikone Jackie Kennedy und der Konservier­ung ihres Images als Stilikone, deren Charisma bis heute nachwirkt. Melania Trump ist hierfür kein gutes, aber ein Beispiel. Was er gänzlich ignoriert, sind die boulevarde­sk ausgeschla­chteten Skandale um die Ehe der Kennedys, das wäre eine Art vulgärer Voyeurismu­s, der dem Film sehr geschadet hätte. Subtil aber thematisie­rt Larraín Jackies schnellen Griff zu Tabletten, ihr Geltungsbe­dürfnis und den emotionale­n Panzer, den sie sich als eine Frau der 1960er Jahre zulegen musste, die den Mief von Truman und Eisenhower aus dem Weißen Haus vertreiben wollte.

Nur ein sarkastisc­her Satz, kurz bevor sie aus dem Flugzeug in Dallas steigt, muss reichen (»Ich liebe Menschenma­ssen«), um die Panik abzubilden, die sie vor der Öffentlich­keit entwickelt­e. Der Fokus, den Larraín gewählt hat, Jackies fast wahnhaftes Streben nach Heiligspre­chung der Familie, in dem sie die einzige Möglichkei­t sah, selbst mit erhobenem Haupt weiterlebe­n zu können, ist dennoch ein enges Korsett, in das er seine Protagonis­tin steckt. Nichts, so hat es Jacqueline Bouvier einmal ins Jahrbuch ihrer Abschlussk­lasse geschriebe­n, fürchtete sie mehr, denn als Hausfrau zu enden. Diese Angst, die sie ihr Leben lang antrieb, deutet der Ausschnitt, den Larraín gewählt hat, nur an. Was bleibt, ist der verbissene Kampf einer Frau, die ihrem eigenen Camelot-Mythos verfallen war.

Katharine Hepburn »Frauen von heute warten nicht auf das Wunderbare – sie inszeniere­n ihre Wunder selbst.«

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Foto: AFP/Tobias Schwarz
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Foto: Tobis Gerade erst hatte sie das Weiße Haus mit Hilfe zahlloser Kunstexper­ten renoviert und dann das: »Jackie« (Natalie Portman) nach dem Attentat auf »JFK«.

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