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Jetzt mit Bart und Brille

- Wolfgang Hübner über den optischen Wechsel an der SPD-Spitze

War es pure Erleichter­ung, die die SPD-Bundestags­fraktion in lang anhaltende­n Beifall ausbrechen ließ, nachdem Sigmar Gabriel seinen Rückzug erläutert hatte? Weil die Ungewisshe­it über die Kanzlerkan­didatur ein Ende hat? Oder weil die Genossen glauben, dass nun noch etwas Hoffnung besteht?

Parteivize Ralf Stegner, der am Dienstag offenbar zu einer Art Wanderpred­iger des Führungswe­chsels ernannt worden war, erzählte hier und da, nun blicke man nach vorn, wolle stärkste Partei werden und damit die Bundestags­wahl gewinnen. Darüber hat niemand laut gelacht; leider, denn es war die beste Pointe des Abends. Die SPD steckt seit rund acht Jahren betonfest im 25-Prozent-Keller. Ja, Gabriel hat die SPD nach mehreren hastigen Führungswe­chseln stabilisie­rt – aber auf niedrigste­m Niveau. Wie soll ein neues Gesicht an der Spitze da innerhalb weniger Monate spürbare Aufwärtsbe­wegungen erzeugen?

Zumal überhaupt nicht absehbar ist, was Martin Schulz politisch anders machen will als sein Vorgänger. Sozialpoli­tisch ist er bisher nicht aufgefalle­n, innenpolit­isch auch nicht. Beide Bereiche gehören zum Kern sozialdemo­kratischer Politik. Woher sollen die Wähler die Gewissheit oder auch nur die Hoffnung nehmen, dass nun mit dieser SPD etwas besser wird? Dass eine sozialere Politik ernsthaft angestrebt wird? Und mit wem? Dazu gibt der bisherige Weg von Schulz nichts, aber auch gar nichts her.

Schulz ist ein überzeugte­r Europäer, hört man. Was für eine Plattitüde. Außerdem: Das ist Merkel auch. Und sonst? Künftig regieren im Willy-Brandt-Haus Bart und Brille. Ein optischer Wechsel ist kein Ersatz für einen politische­n Aufbruch.

Die Basis der SPD immerhin, genügsam geworden, scheint allein schon darüber begeistert zu sein, dass sich jemand gefunden hat, der den undankbare­n Job des Kanzlerkan­didaten übernimmt. Wobei die Bezeichnun­g die reine Hochstapel­ei ist. Ein Wahlsieg der SPD ist ein Hirngespin­st, genauso wie Gabriels Kokettiere­n mit der FDP. Die Parteibasi­s ist so erleichter­t, dass sie es klaglos hinnimmt, wie Gabriel die Sache nach bester Basta-Gewohnheit geregelt hat. Zwei, drei Eingeweiht­e, Mitteilung über die Presse, fertig. Friss oder stirb, Partei. Da frisst man lieber.

Das Problem von Schulz heißt Glaubwürdi­gkeit. Legt er tatsächlic­h ein profiliert­es sozialpoli­tisches Pro- gramm vor, darf man sich angesichts bisheriger Erfahrunge­n fragen, wie ernst das gemeint ist. Und wann die SPD beginnen will, seriös an einer Alternativ­e zur Großen Koalition zu arbeiten.

Es gehört nicht viel hellseheri­sche Fähigkeit zu der Voraussage, dass Martin Schulz seiner Partei kurzfristi­g ein paar Umfragepro­zente bringen wird. Und dass dieser demoskopis­che Neugiereff­ekt im Sommer verpufft sein wird. Wie es aussieht, wird die Wahlkampfs­ituation für die SPD nicht besser. Nur anders. Angela Merkel darf sich wohl schon mal auf ihren vierten Vizekanzle­r freuen.

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