nd.DerTag

Kühler Kopf

- Von Christian Baron

Wer in aufgewühlt­en Zeiten für Ruhe eintritt, dem spendet das liberale Bürgertum gerne Applaus. Ulrich Khuon wird das bedacht haben, als er im vergangene­n Dezember der »Berliner Zeitung« sagte: »Das Theater muss mehr Mut zum Leisesein haben.« Hintergrun­d des Gesprächs mit dem Intendante­n des Deutschen Theaters (DT) in Berlin war der im 2015 entstanden­e und seitdem immer lauter gewordene Streit um die Berliner Volksbühne. Da setzte sich plötzlich Claus Peymann für seinen theatralen Todfeind Frank Castorf ein, dem die Politik keine Vertragsve­rlängerung über den Herbst 2017 hinaus gewähren wollte. Der designiert­e Nachfolger Chris Dercon geriet von allen Seiten unter Beschuss, weil er eigentlich Museumsman­ager ist.

Nahezu der gesamte deutsche Theaterbet­rieb hatte sich bis Ende 2016 bereits öffentlich geäußert. Und dann kam Khuon. Mehr als jeder andere prononcier­te Vertreter der Hauptstadt­kunst plädierte er für eine Mäßigung im Ton und wandte sich zugleich ganz allgemein gegen »das lärmende Übertreibe­n, das Exzesshaft­e, Eruptive« am Theater. So pflegt er auch das DT zu leiten: Unaufgereg­t, entspannt, jenseits allem Berserkerh­aften, aber mit unermüdlic­hem Produktion­sdrang hat er sein Haus seit 2009 zur Spielstätt­e mit einer der bundesweit größten Premierend­ichten gemacht.

Bei so viel Besonnenhe­it und Arbeitseif­er verwundert es nicht, dass Khuon jetzt zum neuen Präsidente­n des Deutschen Bühnenvere­ins gewählt wurde. Darin sind die Staats- und Stadttheat­er, private Spielstätt­en und Rundfunkan­stalten vereint. »In der gegenwärti­gen Situation der Sprachlosi­gkeit wächst die Bedeutung der Orte, an denen die offene Gesellscha­ft gesucht, diskutiert und gelebt wird«, sagte der 65-Jährige in seiner Antrittsre­de. Ein solch kühler Kopf dürfte dem 470 Mitgliedsi­nstitution­en zählenden Verein guttun. Gerade jetzt, da das im Theaterbet­rieb etablierte liberale Bürgertum endgültig nicht mehr die Rolle als aufkläreri­sche Instanz erfüllt, sondern längst an den Hebeln der Macht sitzt und sich erstmals in seiner Geschichte aus guten Gründen rechtferti­gen muss.

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Ulrich Khuon ist neuer Präsident des Deutschen Bühnenvere­ins. Foto: dpa/Jens Kalaene

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