Die lange unterschätzten Neonazis
»Reichsbürger« konnten problemlos Waffenscheine erwerben / Seit einigen Monaten gehen Behörden verstärkt gegen die Bewegung vor
Die Razzien gegen mutmaßliche »Reichsbürger« werden fortgesetzt. Doch nicht immer haben die Sicherheitskräfte so konsequent wie jetzt gegen die rechtsradikale Bewegung agiert. Im Sommer vergangenen Jahres galten die sogenannten Reichsbürger für die Bundesregierung noch als wenig ernst zu nehmende Spinner. Das Bundesinnenministerium antwortete im Juli auf eine Kleine Anfrage der LINKE-Abgeordneten Ulla Jelpke, dass »ein Teil« der Szene zwar »rechtsextremistische Argumentationsmuster« vertrete, aber es sich bei den Straftätern aus diesem Milieu lediglich um Einzelpersonen beziehungsweise Angehörige von Kleingruppen handele. Inzwischen geht die Bundesregierung nach den Worten von Justizminister Heiko Maas (SPD) davon aus, dass sich die rechtsradikalen Gruppen organisatorisch immer enger zusammenschließen. Damit war auch die wachsende Bewegung der »Reichsbürger« gemeint, der sich bundesweit Tausende angeschlossen haben.
Die Mitglieder, welche die Bundesrepublik ablehnen und behaupten, dass das Deutsche Reich bis heute fortbestehe, waren erst stärker ins Blickfeld der Sicherheitsbehörden gerückt, nachdem es einen ersten Toten gegeben hatte. Im Oktober hatte ein Mann aus der rassistischen und antisemitischen Bewegung in Georgensgmünd bei Nürnberg einen Polizisten erschossen, drei weitere Beamte wurden bei dem Einsatz zum Teil schwer verletzt. Daraufhin hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) angekündigt, dass der Verfassungsschutz die »Reichsbürger« künftig bundesweit beobachten wird.
Zudem werden immer wieder Razzien durchgeführt. Am Donnerstag wurde die Wohnung eines mutmaßlichen »Reichsbürgers« im fränkischen Fürth nach Waffen durchsucht. Am Mittwoch war es in sechs Bundesländern zu Durchsuchungen gekommen. Gefunden wurden Waffen, Munition und Sprengstoff. Diese sollten offenbar für Anschläge gegen Juden, Asylbewerber und Polizisten genutzt werden. Ein 66-jähriger verdächtiger »Reichsbürger« aus Schwetzingen im Nordwesten von Baden-Württemberg ist ein selbst ernannter »Druide« mit langen Haaren und weißem Rauschebart. In der Szene spielen oft esoterische Kulte eine wichtige Rolle. Zudem werden dort Verschwörungstheorien verbreitet. Der Verdächtige soll im Internet unter anderem gegen Juden und Muslime gehetzt haben. Nun sitzt er wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung in Untersuchungshaft.
Gegen den zweiten bei den Razzien festgenommenen Verdächtigen wurde Haftbefehl erlassen. Der 51jährige Thiemo B. sei dringend verdächtig, gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz verstoßen zu haben, teilte die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mit. Zudem soll er sich zusammen mit weiteren Beschuldigten zu einer rechtsterroristischen Vereinigung zusammengeschlossen haben. Insgesamt sechs Beschuldigte sollen Angriffe geplant haben.
Dass »Reichsbürger« in der Vergangenheit Waffenscheine erhielten, ist ein Anzeichen dafür, dass die Gewaltbereitschaft der Bewegung bis vor kurzem unterschätzt wurde. Das haben etwas verspätet auch einige Politiker erkannt. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) erteilte den Stadt- und Landkreisen nun eine Anweisung, dass die Waffenbehörden der Kommunen den »Reichsbürgern« keine Waffenschei- ne mehr ausstellen und bereits erteilte Genehmigungen für den Besitz einer Waffe wenn möglich widerrufen sollten. Ähnliches war auch aus anderen Bundesländern zu hören.
Bei der Polizei soll der zum Teil laxe Umgang mit »Reichsbürgern« der Vergangenheit angehören. Anfang dieses Jahres hatte de Maizière deutlich gemacht, dass Anhänger der Bewegung nicht im öffentlichen Dienst arbeiten dürfen. Im Herbst war bekannt geworden, dass allein in den Reihen der bayerischen Polizei vier »Reichsbürger« aktiv waren.
Der Mord in Franken wirft aus Sicht der Polizei einige unangenehme Fragen auf.
Der Mord von Georgensgmünd wirft zudem aus Sicht der Polizei unangenehme Fragen auf. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft in dem Fall gegen einen Beamten. Der Verdacht lautet auf Beihilfe zum Totschlag durch Unterlassen. Der 50 Jahre alte Kommissar soll vom Waffenbesitz des »Reichsbürgers« aus Georgensgmünd und von dessen Kontakten zu Gleichgesinnten gewusst haben. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft wär er »dienstlich verpflichtet gewesen«, seine Erkenntnis weiterzugeben. So hätten die tödlichen Schüsse auf seinen Kollegen womöglich verhindert werden können. Der 50-jährige Hauptkommissar und ein 49 Jahre alter Oberkommissar waren im November vom Dienst suspendiert worden, weil sie per HandyChat Kontakt mit dem »Reichsbürger« gehabt haben sollen. Gegen den Oberkommissar wird wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen ermittelt.