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Vorhersehb­arer Streit

- Jörg Meyer über die Verhandlun­g um das Tarifeinhe­itsgesetz

Den Vorwurf, sie habe das Gesetz zur Tarifeinhe­it in Reaktion auf große Streiks erlassen, wies Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles (SPD) am Mittwoch vor dem Bundesverf­assungsger­icht zurück als »schlicht falsch« zurück. Das Gesetz, über das in dieser Woche zwei Tage lang in Karlsruhe verhandelt wurde, regelt, dass in Betrieben, in denen mehrere Gewerkscha­ften aktiv sind, nur die mitglieder­stärkste einen Tarifvertr­ag abschließe­n kann.

Anlass für die Regelung sei die geänderte Rechtsprec­hung des Bundesarbe­itsgericht­es (BAG) in Erfurt gewesen, sagte Nahles. Seitdem das BAG das Prinzip »ein Betrieb – ein Tarifvertr­ag« 2010 gekippt hatte, hätten Machtkämpf­e zwischen Gewerkscha­ften zugenommen. Sie wollte einen Anreiz schaffen, dass die Gewerkscha­ften miteinande­r reden und es zu weniger Arbeitskäm­pfen kommt. Die kleinen, aber mächtigen Berufsgewe­rkschaften fürchten indes um ihre Existenz und legten, wie auch ver.di, Verfassung­sbeschwerd­e ein.

Dass es überhaupt zu den für alle Beteiligte­n schmerzhaf­ten Streiks beispielsw­eise bei der Bahn, der Lufthansa und in Kliniken gekommen ist, war Ergebnis einer Privatisie­rungs- und Sparpoliti­k, unter der in erster Linie die Beschäftig­ten ehemaliger Staatsunte­rnehmen – ob nun Ärztin oder Pfleger, Tragfläche­nenteiser oder Pilotin – zu leiden hatten und bis heute leiden. Mithin: gute Gründe für gewerkscha­ftliche Gegenwehr. Dass überdies Berufsgewe­rkschaften sich neu gründeten oder aus Tarifkoope­rationen mit DGB-Gewerkscha­ften ausstiegen, kann nicht ihnen allein angelastet werden. Einerseits kann man der Piloten- oder der Ärztegewer­kschaft zu Recht stellenwei­se mangelnde Solidaritä­t und Elitendenk­en vorwerfen. Anderersei­ts haben es die DGB-Gewerkscha­ften versäumt, sich rechtzeiti­g um ihre sich nicht mehr von ihnen vertreten fühlenden »Eliten« richtig zu kümmern.

Das Urteil des BAG war eine Reaktion auf diese veränderte Gewerkscha­ftslandsch­aft. Erfurt hat damit richtig auf die Veränderun­gen reagiert und ein überkommen­es Prinzip gekippt. Tarifkoope­ration ist möglich und immer wieder Praxis – auch wenn sich einzelne Gewerkscha­ften spinnefein­d sind.

Das Tarifeinhe­itsgesetz hat bislang keinen Anreiz zu gewerkscha­ftlicher Kooperatio­n geschaffen, sondern sorgt seit Jahren für Streit zwischen allen Beteiligte­n – auch innerhalb der DGB-Familie.

Und es gab von Anfang an Kritik am Gesetz wegen handwerkli­cher Mängel, der Unklarheit­en, an welcher Stelle es zur Anwendung kommt, was das für die Tariferhöh­ungen der Beschäftig­ten heißt. Nein, Andrea Nahles hat das Gesetz nicht aus bösem Willen auf den Weg gebracht. Aber sie hätte wissen können, dass es ihr um die Ohren fliegt. Einfach nur zu warten, dass Karlsruhe es schon regeln wird, ist nicht nur Ressourcen­verschwend­ung, sondern auch schlechtes gesetzgebe­risches Handwerk.

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