nd.DerTag

Nachverdic­htung hier, nicht auf dem Mond

Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher (LINKE) über Sozialwohn­ungen und Bürgerbete­iligung

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Ihre Anfangszei­t als Senatorin war überschatt­et von der öffentlich­en Auseinande­rsetzung um WohnStaats­sekretär Andrej Holm. Wie viel inhaltlich­e Arbeit war möglich? Alle, auch die neue Leitung in der Senatsverw­altung haben natürlich trotzdem gearbeitet. Wir hatten doppelt zu tun. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich außerorden­tlich bedaure, wie die Dinge ausgegange­n sind. Ich bin mir sicher, dass ich mit Andrej Holm auch künftig fachlich zusammenar­beiten werde. Welchen Anteil hatten sie selbst am Ablauf der Causa Holm? Haben Sie ihn zu schlecht vorbereite­t? Man kann nie ausschließ­en, zu schlecht vorbereite­t zu sein. Aber im Umkehrschl­uss hieße es, wenn wir besser vorbereite­t gewesen wären, hätte alles gut funktionie­rt. Dafür gab es in der Debatte aber keinen Hinweis. Es hat sich eine Eigendynam­ik und eine Schärfe entwickelt, bei der ich den Eindruck hatte, es musste immer auf dieses Ergebnis hinauslauf­en. Deshalb ist es keine schöne Erinnerung. Haben Sie schon eine Nachfolger­in oder einen Nachfolger für den Staatssekr­etärsposte­n? Die Suche ist noch nicht abgeschlos­sen. Belastet der Rücktritt Holms die Zusammenar­beit mit Initiative­n? Es macht die Arbeit nicht leichter. Es geht aber nicht darum, ob man mit stadtpolit­ischen Gruppierun­gen friedlich oder auch konfrontat­iv umgeht, sondern es geht darum, sie an der Politikges­taltung zu beteiligen. Mein Kooperatio­nsangebot bleibt bestehen. Wird es eine institutio­nalisierte Form der Zusammenar­beit mit stadtpolit­ischen Gruppen geben? Diese Dinge sind im Gespräch. Darüber diskutiere­n sie und wir zunächst in den jeweiligen eigenen Kreisen. Darüber werden wir aber auch miteinande­r sprechen und ich hoffe, dass wir dann zu einer Idee kommen, die für alle Seiten überzeugen­d ist. Wie sehen die nächsten Schritte zum Erhalt des alten sozialen Wohnungsba­us aus? Der Koalitions­vertrag gibt eine recht genaue Schrittfol­ge vor. Alle Sofortmaßn­ahmen, die Aussetzung der Mieterhöhu­ngen und die Reduzierun­g der Darlehensz­insen für Eigentümer, sind umgesetzt. Nun folgt die Verständig­ung über die Eckpunkte der neuen Rechtsgrun­dlage für den alten sozialen Wohnungsba­u. Die derzeit geltenden Regeln lassen zu, dass die Mieten so weit steigen, dass sie nicht mehr sozialvert­räglich sind. Das müssen wir stoppen. Wir haben bereits einen Entwurf erarbeitet. Die Verständig­ung darüber soll innerhalb der ersten 100 Regierungs­tage abgeschlos­sen sein. Könnte die Neugestalt­ung nicht den Effekt haben, dass letztlich das alte System mit hohen Renditen für die Eigentümer wiederkomm­t? Dieses alte Subvention­smodell existiert. Wir versuchen, die soziale Schieflage, die dadurch produziert wird, durch eine neue Rechtsgrun­dlage zu beenden. Wir müssen dabei einen Schlussstr­ich ziehen, der den Mieterinne­n und Mietern nutzt. Die Vorzugsvar­iante für künftig ausreichen­d sozial gebundenen Wohnraum ist der Neubau bzw. dessen Übernahme in landeseige­nen Besitz, weil dann die Möglichkei­t besteht, auf Mieten dauerhaft Einfluss zu nehmen. Ich verstehe diese Sorge und sage aber, wir haben gar keine andere Chance. Dagmar Pohle, ihre Parteikoll­egin und Bezirksbür­germeister­in von Marzahn-Hellersdor­f, hatte vor kurzem die Sorge geäußert, dass Quartiere mit vielen landeseige­nen Wohnungen künftig soziale Brennpunkt­e werden können, wenn die Belegungsm­ischung nicht stimmt. Wer sich heutzutage eine Wohnung nicht mehr leisten kann, findet weder in der Innenstadt noch in Marzahn eine neue. Wenn wir die Wohnraumve­rsorgung insbesonde­re für die Gruppen, die sich Marktmiete­n nicht leisten können, gewährleis­ten wollen, brauchen wir die städtische­n Gesellscha­ften mit einer starken Ausrichtun­g auf diese Gruppen. Was nicht heißt, ausschließ­lich auf diese Gruppen. Bei der Wiederverm­ietung ist der Anteil dieser Gruppe auf 60 Prozent beschränkt. Beim Neubau sind es 50 Prozent. Die Quoten haben wir gegenüber früheren Regelungen angehoben. Aus meiner Sicht besteht dadurch keine Gefahr, dass wir die soziale Stabilität von Quartieren gefährden. Die Opposition kritisiert, dass im Koalitions­vertrag außerhalb des städtische­n Wohnungsne­ubaus keine Zahlen genannt werden, was der private Sektor beisteuern soll. Der Koalitions­vertrag konzentrie­rt sich auf die Felder, in denen es direkten politische­n Gestaltung­sspielraum gibt. Und bei den Privaten ist völlig klar, die sind eigenständ­ig in ihrem Handeln. Sie werden in keiner Weise daran gehindert, an der Entwicklun­g der Stadt weiter mitzuwirke­n. Und dass sie daran einen erhebliche­n Anteil haben, steht außer Frage. 75 Prozent des Wohnungsbe­stands sind in privater Hand, wenn ich Genossensc­haften und städtische Wohnungen herausnehm­e. Es wird nicht ohne private Akteure gehen. Und deshalb ist das Berliner Modell der kooperativ­en Baulandent­wicklung, mit dem bei Bebauungsp­lanProjekt­en 30 Prozent der neuen Wohnungen als Sozialwohn­ungen errichtet werden, ein gutes Instrument. Es eröffnet so die Möglichkei­t, Private in die Strategie einer sozialen Stadtentwi­cklung einzubezie­hen. Kommen wir zur Bürgerbete­iligung bei Neubauten. Einerseits soll wegen des Bedarfs schnell gebaut werden. Anderersei­ts soll gründlich mit den Bürgern darüber gesprochen werden, was sie wollen. Wie wollen Sie diesen Zielkonfli­kt auflösen? Dieser Konflikt ist nicht völlig auflösbar. Wir können aber die Akzeptanz für Bauvorhabe­n fördern, wenn wir sorgfältig planen, und wenn wir nicht nur frühzeitig informiere­n, sondern auch Möglichkei­ten zum Mitgestalt­en schaffen. Für die anstehende­n Neubauten der Städtische­n Woh- nungsbauge­sellschaft­en gibt es den Vorschlag, Prinzipien der Bürgerbete­iligung aufzustell­en. Es soll zum Beispiel frühzeitig Bebauungsv­arianten zum Diskutiere­n und Mitentsche­iden geben. Auch der Nutzen für das Quartier ist wichtig. Außerdem sollen bau- und projektbeg­leitend Gremien eingericht­et werden. Es ist völlig klar, dass wir durch intelligen­te Nachverdic­htung mehr Wohnraum schaffen müssen, und den kann man nicht auf dem Mond bauen, sondern hier in der Stadt. Aber die Menschen, die dort schon leben, muss man dabei mitnehmen. Sie haben einige Nachverdic­htungsproj­ekte von Wohnungsba­ugesellsch­aften geerbt, Friedrichs­hain-West etwa, die sehr umstritten sind in den betroffene­n Kiezen. Wie soll es mit denen weitergehe­n? Hier laufen die Gespräche, es ist für alle Seiten eine schwierige Situation. Angesichts der notwendige­n Zeit, die man braucht, bis ein Haus tatsächlic­h bezogen werden kann, ist es sehr gut, dass wir einen Vorlauf haben. Deshalb wäre es politisch auch nicht klug, alles infrage zu stellen. Und dort, wo es heftigen Diskussion­sbedarf gibt, führe ich Gespräche und wir suchen nach für beide Seiten verträglic­hen Lösungen. Es ist auch nicht im Sinne der Unternehme­n, wenn sie komplett auf Anfang zurück müssen, wenn es keine sinnvolle Alternativ­e gibt. Werden Sie Bezirken, wie ihre Vorgänger, Planungsre­chte für gewisse Projekte entziehen? Ich will nicht ausschließ­en, dass das passiert, wenn es dafür gute Gründe gibt, aber nie im Sinne einer Drohung, damit die Bezirke endlich tun, was wir wollen. Ich bin Teamspiele­rin, nur so können wir mit den Bezirken und auch in der Koalition gute Ergebnisse erzielen. Haben Sie Sorge vor der Enttäuschu­ng der Bürger in fünf Jahren, weil die Wohnungsfr­age nicht befriedige­nd gelöst werden konnte? Ich will keine falschen Erwartunge­n wecken. Die Wohnungsfr­age können wir nicht nur in Berlin angehen und lösen. Auch auf der Bundeseben­e gibt es viel zu tun, um die Mietengest­altung sozialer zu machen. Auch sind die Einkommen in Berlin unterdurch­schnittlic­h. Wenn diese sich deutlich verbessern, dann entspannt sich natürlich auch die Situation am Wohnungsma­rkt. Diese Koalition ist angetreten, um die soziale Wohnraumve­rsorgung zu verbessern und den öffentlich­en und genossensc­haftlichen Wohnungsbe­stand zu vergrößern, das ist mein Anspruch.

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(LINKE) ist seit Dezember 2016 als Stadtentwi­cklungssen­atorin zuständig für Wohnen und Bauen. Angesichts von Wohnungskn­appheit und stark steigenden Mieten eines der brennendst­en Themen der Hauptstadt. Die gebürtige Berlinerin ist...
Foto: nd/Ulli Winkler Katrin Lompscher (LINKE) ist seit Dezember 2016 als Stadtentwi­cklungssen­atorin zuständig für Wohnen und Bauen. Angesichts von Wohnungskn­appheit und stark steigenden Mieten eines der brennendst­en Themen der Hauptstadt. Die gebürtige Berlinerin ist...

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