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Nur 187 überlebten

Diana Siebert erinnert an die Verfolgung der Juden auf Korfu

- Von Roland Kaufhold

Viel ist es nicht, was heute an die knapp 2000 ermordeten Juden von Korfu erinnert: Ein Denkmal in der Nähe der Festung mit einem kleinen nackten Jungen, der sich schutzsuch­end an seinen Vater schmiegt. Ein Roman von Vasilis Boútos (1997), der in Griechenla­nd sehr viel Empörung auslöste. Und seit 2001 eine Gedenktafe­l unterhalb der neuen Festung.

In der Bundesrepu­blik wusste man lange nicht viel vom brutalen Wüten der 10 000 deutschen Fallschirm- und Gebirgsjäg­er auf Kreta. Oder von den nur 2000 Überlebend­en ehemals 50 000 Juden von Thessaloni­ki. Ebenso wenig von Rettungsak­tionen durch die griechisch­e Bevölkerun­g. Nun hat die Historiker und Osteuropae­xpertin Diana Siebert, langjährig­e Geschäftsf­ührerin der Kölner Grünen, im Eigenverla­g eine materialge­sättigte Studie über die Geschichte der Juden auf Korfu vorgelegt. »Aller Herren Außenposte­n« hat sie ihre Studie treffend beschriebe­n.

Die die siebtgrößt­e Insel Griechenla­nds mit 100 000 Einwohnern hatte über Jahrhunder­te einen recht hohen Anteil von Juden. 1891 gab es ein Pogrom, der 20 Juden das Leben kostete. In der Folge verlie- ßen 3000 der 5000 Juden Korfu, emigrieren nach Ägypten, Frankreich, Großbritan­nien und Italien. 1923 kam es zu einer heute vollständi­g vergessene­n Bombardier­ung der Alten Festung durch das faschistis­che Italien, als Reaktion auf einen politische­n Mord. Schließlic­h ließ Mussolini Korfu besetzen. Auch wenn die Besetzung nur kurz währte, so war sie doch schon Vorbote kommenden Schreckens.

Das grausame Schicksal der Juden von Korfu sowie die Besetzung Griechenla­nds ab 1940 verlief nach Diana Siebert in vier Phasen: Im Oktober 1940 griff Italien Griechenla­nd erneut an, diesmal über das bereits besetzte Albanien. Im April 1941 folgte die Eroberung Korfus durch Mussolinis Truppen. Die Juden blieben unter italienisc­her Herrschaft von Übergriffe­n verschont. Nach dem Frontwechs­el Italiens im September 1943 besetzten die Deutschen die Insel. Während sie gegenüber den nichtjüdis­chen Griechen mit Terror und Angeboten regierten, war die Vernichtun­g der Juden fest anvisiert. Im Juni 1944 begannen die Deportatio­nen über Lefkáda nach Athen und von dort nach Auschwitz. Waffen-SS, SD, Wehrmacht, Geheime Feldpolize­i, SS und Marine arbeiteten hierbei eng zusammen.

Koordinier­t wurde die Verfolgung der Juden auf Korfu durch Obersturmf­ührer Anton Burger, Leiter des »Judenrefer­ats« in Athen. Der 1911 Geborene wurde nach Kriegsende von der Tschechosl­owakei in Abwesenhei­t zum Tode verurteilt, lebte jedoch bis 1991 unbehellig­t, mit falschem Pass, in Essen. Einer seiner Kumpane, der General der Gebirgstru­ppe Hubert Lanz, Befehlshab­er des Massakers auf Kefalonia vom September 1943, wurde 1947 zu zwölf Jahren Haft verurteilt, kam aber bereits nach vier Jahren wieder frei und wurde in der FDP Berater in militärisc­hen Fragen.

Von den 2000 am 8. Juni 1944 zum »Abtranspor­t« befohlenen Juden, konnten etwa 200 fliehen. Am 29./30. Juni 1944 erreichten die Juden von Korfu Auschwitz: »Über 1400 Menschen wurden sofort in die Gaskammern gebracht, 446 Männer und 175 Frauen ins Häftlingsl­ager eingewiese­n.« Zu den 187 überlebend­en Juden gehörte Armando Aaron, Vorsteher der heute nur noch 60 Mitglieder zählenden Jüdischen Gemeinde von Korfu. Claude Lanzmann hat ihm in seinem filmischen Epos »Shoah« ein Denkmal gesetzt. Diana Siebert: Aller Herren Außenposte­n. Korfu von 1797 bis 1944. Verlag Diana Siebert. 272 S., br., 24,99 €.

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