Twitter-Zombies lieben Politiker
Ana Banana mag die Deutsche Bahn. Wahrscheinlich reist sie häufig. Genauso hat Ana ein Interesse am VfB Stuttgart. Ob sie bei jedem Spiel ihres Vereins mitfiebert? Und sie interessiert sich offenbar sehr für Politik. Auf folgt Ana einer bunt zusammengewürfelten Riege an Parlamentariern: Dazu zählen neben dem SPD-Parteichef in spe, Martin Schulz, auch NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und die LINKEN-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Wenn man jetzt noch weiß, dass Ana der Satirewebsite
folgt und Jan Böh- mermann gut findet, dann beweist die Unbekannte nicht nur Sinn für Humor, sondern klingt nach einer Person, mit der sich mancher vorstellen könnte, befreundet zu sein.
Blöd ist nur: Ana Banana nutzt nicht nur ein mittelmäßig lustiges Pseudonym, sie ist nicht einmal ein Mensch, sondern lediglich ein paar Zeilen Programmcode. Ana ist ein Social Bot, so wie es viele Millionen auf Twitter gibt. Die kleinen computergesteuerten Akteure schreckten erstmals im US-Wahlkampf eine breite Öffentlichkeit auf. Kritiker befürchten, Bots könnten die Meinungsbildung verzerren, weil sie gezielt dazu genutzt werden könnten, politische Botschaften im Netz zu verbreiten. Im Fall des Wahlkampfs von Donald Trump spricht vieles da- für, dass jemand gezielt die digitalen Geister einsetzte, um die 140Zeichen-Agenda des Republikaners möglichst breit zu streuen. Schrieb Trump noch zu den unmöglichsten Nachtstunden eine Twitternachricht, nur wenige Minuten später hatten dennoch Tausende seinen Beitrag bereits geteilt.
Wie Bernd Rubel auf dem Techblog 2016 über eine Untersuchung der Oxford University schrieb, gingen diese Reaktionen in 37,2 Prozent der Fälle vermutlich auf Bots zurück. Rubel warnt aber davor, dem Trump-Team Absicht zu unterstellen: »Das massive Auftreten von Social Bots lässt keine Rückschlüsse auf die Verfasser oder Auftraggeber zu«, betonte er.
Sicher ist: Die digitalen Gespenster sind längst kein Phänomen der US-amerikanischen Politik. Wie der Journalist für
herausfand, befinden sich Social Bots unter der TwitterAnhängerschaft deutscher Parteien und Politiker teilweise in der Mehrheit. Um nicht jeden Follower einzeln auf seine Echtheit abzuklopfen, nutzte Könau Der Algorithmus dieser Website ist in der Lage, Social Bots und damit gefälschte Accounts mit hoher Wahrscheinlichkeit zu identifizieren. Dabei geht es um Fragen wie: »Wie oft twittern sie? Was? Wann?«, fasst Könau die Funktionsweise zusammen. Indizien für einen Fakenutzer sind unter anderem, wenn dieser mit übermenschlichem Durchhaltevermögen rund um die Uhr Botschaften absetzt, selbst aber keine oder kaum Nutzer hat, die ihm folgen. Ein hundertprozentiger Beweis ist das noch nicht, zumal die Programmierer hinter den Social Bots nachrüsten. Nur simpel gestrickte Fakenutzer kommen heute etwa noch ohne ein eigenes Profilbild aus.
Dass es solche Beispiele aber weiterhin reichlich gibt, zeigt die Recherche Könauers. Seiner Analyse nach stecken hinter 51 Prozent der etwa 63 000 Twitteranhänger von Noch-SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel Phantomfans. Noch schlimmer sieht es für Justizminister Heiko Maas aus. Mit 61 000 falschen zu 51 000 »echten« Fans sind die Social Bots hier sogar in der Überzahl.
Dabei trifft es nicht nur die Sozialdemokraten. Die falsche Anhängerschaft zieht sich quer durch die Profile aller Parteien, im Fall Wagenknechts sollen es sogar mehr als drei Viertel sein. Darunter auch anfangs erwähnte Ana Banana. »Was von den Parteizentralen gesendet wird, geht überwiegend im leeren Raum verloren«, stellt Könau ernüchtert über die digitale Medienstrategie vieler Politiker fest.
Dabei können viele Betroffene nichts für ihre falsche Anhängerschaft. Social Bots sind darauf programmiert, prominenten Profilen mit möglichst vielen Anhängern zu folgen. Am Ende geht es nur ums Geschäft: Hat ein Bot sein Netzwerk weit genug verzweigt, werden sie von ihren Programmierern im Tausenderpack an Interessenten verkauft, die damit eine möglichst große Anhängerschaft suggerieren wollen. Als einer der wenigen Käufer ging 2012 der Berliner Rapper Massiv offen damit um, dass er sich Teile seiner digitalen Anhängerschaft gekauft hatte. »Wer Follower will – bei eBay gibt’s Hammer Angebote«, gab er auf Twitter zu.
Problematisch wird es, wenn Nutzer und insbesondere Medienschaffende aus der Reichweite unkritisch eine nachrichtliche Relevanz ableiten und womöglich ihre Berichterstattung danach ausrichten. Doch ist die Äußerung eines Politikers allein deshalb interessant, weil sie von vielen echten wie falschen Nutzern geteilt wurde?
Spätestens dann hätten digitale Zombies und ihre Auftragegeber die Deutungshoheit über das Internet hinaus übernommen.