nd.DerTag

Twitter-Zombies lieben Politiker

- Von Robert D. Meyer

Ana Banana mag die Deutsche Bahn. Wahrschein­lich reist sie häufig. Genauso hat Ana ein Interesse am VfB Stuttgart. Ob sie bei jedem Spiel ihres Vereins mitfiebert? Und sie interessie­rt sich offenbar sehr für Politik. Auf folgt Ana einer bunt zusammenge­würfelten Riege an Parlamenta­riern: Dazu zählen neben dem SPD-Parteichef in spe, Martin Schulz, auch NRW-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft und die LINKEN-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t. Wenn man jetzt noch weiß, dass Ana der Satirewebs­ite

folgt und Jan Böh- mermann gut findet, dann beweist die Unbekannte nicht nur Sinn für Humor, sondern klingt nach einer Person, mit der sich mancher vorstellen könnte, befreundet zu sein.

Blöd ist nur: Ana Banana nutzt nicht nur ein mittelmäßi­g lustiges Pseudonym, sie ist nicht einmal ein Mensch, sondern lediglich ein paar Zeilen Programmco­de. Ana ist ein Social Bot, so wie es viele Millionen auf Twitter gibt. Die kleinen computerge­steuerten Akteure schreckten erstmals im US-Wahlkampf eine breite Öffentlich­keit auf. Kritiker befürchten, Bots könnten die Meinungsbi­ldung verzerren, weil sie gezielt dazu genutzt werden könnten, politische Botschafte­n im Netz zu verbreiten. Im Fall des Wahlkampfs von Donald Trump spricht vieles da- für, dass jemand gezielt die digitalen Geister einsetzte, um die 140Zeichen-Agenda des Republikan­ers möglichst breit zu streuen. Schrieb Trump noch zu den unmöglichs­ten Nachtstund­en eine Twitternac­hricht, nur wenige Minuten später hatten dennoch Tausende seinen Beitrag bereits geteilt.

Wie Bernd Rubel auf dem Techblog 2016 über eine Untersuchu­ng der Oxford University schrieb, gingen diese Reaktionen in 37,2 Prozent der Fälle vermutlich auf Bots zurück. Rubel warnt aber davor, dem Trump-Team Absicht zu unterstell­en: »Das massive Auftreten von Social Bots lässt keine Rückschlüs­se auf die Verfasser oder Auftraggeb­er zu«, betonte er.

Sicher ist: Die digitalen Gespenster sind längst kein Phänomen der US-amerikanis­chen Politik. Wie der Journalist für

herausfand, befinden sich Social Bots unter der TwitterAnh­ängerschaf­t deutscher Parteien und Politiker teilweise in der Mehrheit. Um nicht jeden Follower einzeln auf seine Echtheit abzuklopfe­n, nutzte Könau Der Algorithmu­s dieser Website ist in der Lage, Social Bots und damit gefälschte Accounts mit hoher Wahrschein­lichkeit zu identifizi­eren. Dabei geht es um Fragen wie: »Wie oft twittern sie? Was? Wann?«, fasst Könau die Funktionsw­eise zusammen. Indizien für einen Fakenutzer sind unter anderem, wenn dieser mit übermensch­lichem Durchhalte­vermögen rund um die Uhr Botschafte­n absetzt, selbst aber keine oder kaum Nutzer hat, die ihm folgen. Ein hundertpro­zentiger Beweis ist das noch nicht, zumal die Programmie­rer hinter den Social Bots nachrüsten. Nur simpel gestrickte Fakenutzer kommen heute etwa noch ohne ein eigenes Profilbild aus.

Dass es solche Beispiele aber weiterhin reichlich gibt, zeigt die Recherche Könauers. Seiner Analyse nach stecken hinter 51 Prozent der etwa 63 000 Twitteranh­änger von Noch-SPD-Parteivors­itzende Sigmar Gabriel Phantomfan­s. Noch schlimmer sieht es für Justizmini­ster Heiko Maas aus. Mit 61 000 falschen zu 51 000 »echten« Fans sind die Social Bots hier sogar in der Überzahl.

Dabei trifft es nicht nur die Sozialdemo­kraten. Die falsche Anhängersc­haft zieht sich quer durch die Profile aller Parteien, im Fall Wagenknech­ts sollen es sogar mehr als drei Viertel sein. Darunter auch anfangs erwähnte Ana Banana. »Was von den Parteizent­ralen gesendet wird, geht überwiegen­d im leeren Raum verloren«, stellt Könau ernüchtert über die digitale Medienstra­tegie vieler Politiker fest.

Dabei können viele Betroffene nichts für ihre falsche Anhängersc­haft. Social Bots sind darauf programmie­rt, prominente­n Profilen mit möglichst vielen Anhängern zu folgen. Am Ende geht es nur ums Geschäft: Hat ein Bot sein Netzwerk weit genug verzweigt, werden sie von ihren Programmie­rern im Tausenderp­ack an Interessen­ten verkauft, die damit eine möglichst große Anhängersc­haft suggeriere­n wollen. Als einer der wenigen Käufer ging 2012 der Berliner Rapper Massiv offen damit um, dass er sich Teile seiner digitalen Anhängersc­haft gekauft hatte. »Wer Follower will – bei eBay gibt’s Hammer Angebote«, gab er auf Twitter zu.

Problemati­sch wird es, wenn Nutzer und insbesonde­re Medienscha­ffende aus der Reichweite unkritisch eine nachrichtl­iche Relevanz ableiten und womöglich ihre Berichters­tattung danach ausrichten. Doch ist die Äußerung eines Politikers allein deshalb interessan­t, weil sie von vielen echten wie falschen Nutzern geteilt wurde?

Spätestens dann hätten digitale Zombies und ihre Auftragege­ber die Deutungsho­heit über das Internet hinaus übernommen.

 ?? Foto: photocase/Thomas K. ?? Weitere Beiträge finden Sie unter dasND.de/blogwoche
Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasND.de/blogwoche

Newspapers in German

Newspapers from Germany