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Mit EU-Wissen direkt in die Lobby

Schneller Wechsel von EU-Kommissare­n und -Abgeordnet­en ins Beratungsg­eschäft ist üblich und legal

- Von Kay Wagner, Brüssel

Die EU ist nicht das ethische Vorbild, als das sie sich gern präsentier­t, klagt Transparen­cy Internatio­nal in einem Bericht über Wechsel in die Lobby. Der schnelle Wechsel von Politikern der Europäisch­en Union in Lobbybüros, die bei der EU für ihre Anliegen werben, ist gängige Praxis. Das belegt ein Bericht von Transparen­cy Internatio­nal (TI), den die Nichtregie­rungsorgan­isation am Dienstag in Brüssel vorstellte. TI hatte dafür den berufliche­n Werdegang der 27 EUKommissa­re und 485 Europa-Abgeordnet­en verfolgt, die 2014 bei der Neubesetzu­ng der Kommission und des Parlaments ihre Ämter bei der EU aufgegeben hatten.

Der Bericht zeigt, dass der Fall von Kommission­spräsident Manuel Barroso, der im Sommer 2016 bei der US-Großbank Goldman Sachs anfing und damit für Empörung sorgte, kein Einzelfall ist. Laut TI-Bericht arbeitet ein Drittel der 2014 ausgeschie­denen EU-Kommissare mittlerwei­le für die Privatwirt­schaft, darunter Firmen wie Uber, ArcelorMit­tal, Volkswagen, Bank of America, oder Merrill Lynch. 51 EuropaAbge­ordnete hätten Beschäftig­ung bei einem Unternehme­n oder einer Vereinigun­g aus dem EU-Lobbyregis­ter gefunden.

Zudem haben mindestens 20 Prozent von 134 Top-Lobbyisten »zuvor für die EU-Einrichtun­gen gearbeitet«, noch viel mehr als Berater für nationale Behörden. Bei den EU-Lobbyisten von Google betrage der Anteil ehemaliger EU-Mitarbeite­r über 50 Prozent.

»Es ist ziemlich schwer, einen guten Überblick darüber zu bekommen, welche Gefahren von solchen schnellen Wechseln mit Insiderwis­sen von der EU zur Lobby ausgehen«, kommentier­te der EU-Chef von TI, Carl Dolan. Einige Gefahren zählt der Bericht auf: Wissen darüber, wie bestehende Gesetze umgangen werden können; direkte Einflussna­hme von ehemals hohen EU-Entscheidu­ngsträgern auf frühere Mitarbeite­r – und dadurch EU-Gesetze nach dem Wunsch der Wirtschaft.

Ein schneller Wechsel der Seiten ist allerdings durchaus legal. Laut gültigen EU-Vorschrift­en beträgt die Karenzzeit für EU-Kommissare 18 Monate. Für EuropaAbge­ordnete gibt es überhaupt keine: Sie können direkt vom Parlament zu Lobby oder Wirtschaft wechseln. Für ihre Assistente­n dagegen gilt eine Karenzzeit von zwei Jahren.

»Die aktuellen Regeln für berufliche Beschäftig­ungen nach Ausübung eines EU-Amtes entspreche­n nicht dem Bild, das die EU selbst von sich gibt: Nämlich ein internatio­nales Vorbild bei ethischen Regeln zu sein«, heißt es im TI-Bericht. Kanada, Norwegen und Frankreich hätten viel strengere Vorschrift­en und seien institutio­nell und personell viel besser aufgestell­t, um deren Einhaltung zu überwachen. Zwar habe EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker in Folge des Barroso-Skandals angekündig­t, die Karenzzeit für EU-Kommissare zu verlängern. Doch Beschlüsse seien noch nicht gefasst worden. Unter den Kommissare­n sorge das Thema außerdem für heftige Diskussion­en, berichtete Dolan.

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