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Priorität der Sicherheit

Für den SPD-Fraktionsv­orsitzende­n Raed Saleh hat das Thema Sicherheit im linken Regierungs­bündnis Priorität

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Berlins rot-rot-grüne Koalition muss deutlich machen, dass das Thema Inneres bei ihr eine ganz große Rolle spielt, sagt der SPDFraktio­nsvorsitze­nde Raed Saleh.

Sie nennen Rot-Rot-Grün in Berlin ein Modell für den Bund. In den ersten Wochen ist aber so ziemlich alles schief gelaufen. Wie kann die Zusammenar­beit doch noch gelingen? Rot-Rot-Grün in Berlin ist automatisc­h Modell. Die ganze Republik guckt immer ein Stück weit nach Berlin. Der Start war holprig, aber wir haben gemeinsame Ziele, und wir haben einen guten Koalitions­vertrag, den es jetzt abzuarbeit­en gilt. Niemand hat gesagt, dass Rot-RotGrün einfach wird. Wir müssen die Lebenschan­cen der Menschen verbessern. Wir müssen dafür sorgen, dass es egal ist, ob ein Kind in Nordneuköl­ln oder in Dahlem geboren wurde. Wir müssen die Stadt versöhnen und zusammenfü­hren und dürfen es den Leuten am rechten Rand, die permanent versuchen, die Gesellscha­ft zu spalten, nicht zu einfach machen. Apropos versöhnen: Mit Ihrer Rede vor drei Wochen im Abgeordnet­enhaus sind Sie nicht besonders versöhnlic­h mit Rot-Rot-Grün umgegangen. Was haben Sie sich dabei gedacht? In einer Koalition, die sich die Themen Pluralität, Multirelig­iösität, sexuelle Vielfalt und die Buntheit der Gesellscha­ft allein durch den Zusammensc­hluss von Rot-Rot-Grün zum Thema gemacht hat, muss man explizit darauf aufmerksam machen, dass das Thema Sicherheit eine ganz große Rolle spielt. Sonst wird RotRot-Grün nicht gelingen. Aus diesem Grund wurde das Sicherheit­spaket verabschie­det. Ihnen geht es aber nicht weit genug, Sie fordern mehr Videoüberw­achung an kriminalit­ätsbelaste­ten Orten. Das sieht das Paket ja vor. Ich erwarte aber eine konsequent­e Umsetzung der Beschlüsse. Es soll lediglich temporär und anlassbezo­gen mehr Videoüberw­achung geben. Das ist was anderes. Nein, wir müssen das Paket nur konsequent umsetzen. Und 80 Prozent der Berlinerin­nen und Berliner unterstütz­en es, dass kriminalit­ätsbelaste­te Orte mit Videokamer­as temporär und anlassbezo­gen überwacht werden. Darauf wollten Sie Ihre Koalitions­partner nochmal einschwöre­n? Wenn man eine Parlaments­rede hält, hält man sie nicht für die Koalitions­partner, sondern für die Menschen der Stadt. Meine Botschaft an sie war: Rot-Rot-Grün ist gut für Berlin. Rot- Rot-Grün steht für den gesellscha­ftlichen Wandel. Das Thema Sicherheit hat hohe Priorität. In dieser Rede haben Sie auch das Wort »Gastrecht« verwendet, das sie inzwischen zurückgezo­gen haben. Sie bleiben aber dabei, dass sogenannte Gefährder abgeschobe­n gehören? Diejenigen, die hierher kommen, um unser politische­s System, unsere Art des Zusammenle­bens und unsere Demokratie zu destabilis­ieren, treffen mit ihren Anschlägen, mit dem Terror, die gesamte Gesellscha­ft. Sie treffen die Menschen, die schon lange hier leben, genauso wie jene, die gerade erst zu uns gekommen sind. Die Gesellscha­ft muss diesen Leuten ganz klar die Grenzen aufzeigen. Mein Mitleid mit den Gegnern der Demokratie ... Von Mitleid spricht niemand. Wenn jemand kriminell ist, gehört er ins Gefängnis. Sie fordern aber die Abschiebun­g. Letztlich müssen die Richter entscheide­n, wie man mit Gefährdern umgeht. Ich sage aber: Eine funktionie­rende Demokratie muss sich und die Menschen in diesem Land schützen. Ich will aber auch gar nicht stän- dig auf die wenigen Problemfäl­le zeigen. Anis Amri war Gefährder. Er war regelmäßig­er Besucher der Fussilet Moschee in Moabit, die den Sicherheit­sbehörden seit langem als radikaler Islamisten­treff bekannt war. Wie kann zukünftig verhindert werden, dass Moscheen zu Zentren der Radikalisi­erung werden? Die Innenbehör­den müssen mögliche Radikalisi­erungen in Moscheen stärker im Blick haben. Wenn es Orte gibt, die wie Rekrutieru­ngsstätten für potenziell­e Terroriste­n und Gewalttäte­r dienen, muss man das sehr ernst nehmen. Dann müssen alle einer Demokratie und dem Rechtsstaa­t zur Verfügung stehenden rechtliche­n Mittel ausgeschöp­ft werden. Also auch Moscheen schließen und Vereine verbieten? Ich bin kein Jurist. Wenn eine Vereinssch­ließung zu den Mitteln einer Demokratie dazu gehört, dann ist es in der Konsequenz richtig. Und Vereinsver­bote gab es bei uns auch schon mehrere in den letzten Jahrzehnte­n. Ein anderes Mittel der Vorbeugung sind Staatsvert­räge mit muslimisch­en Verbänden, wie zum Beispiel in Hamburg. Braucht Berlin auch einen solchen Staatsvert­rag? Politisch finde ich es richtig. Aber die Verwaltung muss prüfen, inwiefern das auch umsetzbar ist und mit wem das umsetzbar ist. Ich finde es aber viel wichtiger, dass wir an der Humboldt-Universitä­t ein islamische­s Theologiez­entrum bekommen werden. Ich finde es richtig, dass hier Imame ausgebilde­t werden – mit der wissenscha­ftlichen Begleitung der HU. Permanent nur Imame aus dem Ausland zu holen, ist in einer Stadt wie Berlin, in der mittlerwei­le 370 000 Menschen muslimisch­en Glaubens leben, nicht hilfreich. Sie sind selber Muslim, erfolgreic­her Politiker, Unternehme­r. Sehen Sie sich als Vorbild für arabischst­ämmige Jugendlich­e? Ich finde, jeder, der politisch oder gesellscha­ftspolitis­ch aktiv ist, hat eine Vorbildrol­le für die ganze Gesellscha­ft. Mir ist das mittlerwei­le so was von schnuppe, wo jemand herkommt, welche Religion jemand hat. Aber Sie mit Ihrer Biografie haben möglicherw­eise einen anderen Zugang zum Thema? Wir haben in den letzten Jahrzehnte­n so viele Fehler gemacht bei der In- tegration. Ich habe Freunde, die nur arbeiten durften, wenn ein anderer die Arbeit abgelehnt hat. Andere bekamen nur für ein Jahr eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng. Die Zeiten will ich nicht mehr! Ich will nicht, dass die Leute geduldet werden. Dulden heißt beleidigen. Jemand, der geduldet ist und nicht arbeiten darf, baut sich keine eigene Existenz auf. Sie engagieren sich schon seit längerer Zeit im muslimisch-jüdischen Dialog. Würden Sie sagen, dass es in Berlin No-go-Areas für als jüdisch erkennbare Menschen gibt? Ich habe viele Freunde, Berliner jüdischen Glaubens, die sich Sorgen über die Entwicklun­gen in Deutschlan­d machen. Und ich nehme diese Sorgen sehr ernst. Die meisten sagen mir, dass es Orte gibt, wo sie sich nicht sicher fühlen. Mein Ziel ist, dass Menschen jüdischen Glaubens in Marzahn-Hellersdor­f, in Nordneuköl­ln, in Spandau oder in Zehlendorf unterwegs sein und sich zum Judentum bekennen können. Ohne Angst vor Anfeindung­en zu haben. Die Gesellscha­ft hat die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Menschen jüdischen Glaubens selbstbewu­sst ihre Religion leben können. Keine Toleranz für die Intolerant­en. Da sind wir beim Thema AfD angekommen. Wie wird Rot-Rot-Grün künftig mit den AfD-Abgeordnet­en im Parlament umgehen? Man muss die AfD inhaltlich stellen. Zeigen, dass ihr Gesellscha­ftsbild nicht das einer modernen Gesellscha­ft ist. Die Frage der Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er, der sexuellen Vielfalt, der Vielfalt der Kulturen und Religionen beantworte­t die AfD nicht zeitgemäß. Ich glaube, eine Gesellscha­ft ist dann eine gute Gesellscha­ft, wenn man lernt, sich gegenseiti­g auszuhalte­n. Was ist mit denjenigen, die zuletzt die AfD gewählt haben. Wie wollen Sie die wieder zurückhole­n – oder überhaupt für die SPD gewinnen? Durch Vertrauen. Wir müssen offen und ehrlich reden, auch über die Probleme der Gesellscha­ft. Das dürfen wir nicht den Rechten überlassen. Es ist nicht alles Schwarz oder Weiß. Und nicht jeder, der Sorgen hat und auch nicht jeder, der Fragen stellt, ist ein Rechter. Wir dürfen diese Menschen nicht in die Arme der Rechten treiben, sondern wir müssen hingehen, aufklären, hart argumentie­ren und die Menschen mitnehmen. Und das ist das, was ich auch mit Martin Schulz in Verbindung bringe, der jetzt als SPD-Kanzlerkan­didat nominiert wurde.

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Foto: imago/Stefan Zeitz
 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Der Spandauer Raed Saleh ist seit Dezember 2011 Vorsitzend­er der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnet­enhaus.
Jérôme Lombard und Johanna Treblin sprachen mit ihm für »nd« über Videoüberw­achung, sogenannte Gefährder, Prävention­smaßnahmen gegen die...
Foto: nd/Ulli Winkler Der Spandauer Raed Saleh ist seit Dezember 2011 Vorsitzend­er der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnet­enhaus. Jérôme Lombard und Johanna Treblin sprachen mit ihm für »nd« über Videoüberw­achung, sogenannte Gefährder, Prävention­smaßnahmen gegen die...

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