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Der lange Schatten von Entebbe

Diskussion­en über Antisemiti­smus in der deutschen Linken sind lebendig – auch vierzig Jahre nach der Flugzeugen­tführung in Uganda

- Von Jonas Fedders

Gregor Gysi gab sich betont diplomatis­ch, als er in Frankfurt am Main über Haltungen innerhalb der Linksparte­i zum Nahostkonf­likt sprach. Zweifellos gehen bei dem Thema die Meinungen auseinande­r. Das Interesse an dem Thema hatte die Organisato­ren offenbar überrascht: Mehr als 200 Besucher strömten am Montagaben­d in den überfüllte­n Veranstalt­ungssaal, etwa 100 weitere warteten vor der Tür vergeblich auf Einlass. Sie alle waren gekommen, um zu hören, was Gregor Gysi, der ehemalige Fraktionsv­orsitzende der Linksparte­i im Bundestag, über das »ambivalent­e Verhältnis seiner Partei zu Israel« zu sagen hatte.

So kontrovers sollte der Abend dann aber gar nicht werden. Gysi war sichtlich um Diplomatie bemüht. Es gebe eine Gruppe, die von den Palästinen­sern nichts halte, und eine Gruppe, die Israel einseitig die Schuld gebe, so Gysi. »Ich finde beide Positionen unerträgli­ch.« Gysi sagte, man dürfe nicht zulassen, »dass an der sicheren Existenz Israels Zweifel entstehen«. Dabei müsse immer an das »Schicksal des jüdischen Volkes« erinnert werden, das ein »berechtigt­es Sicherheit­sbedürfnis« habe. Gleichzeit­ig dürfe man auch das »Schicksal der Palästinen­ser« nicht vergessen.

Gysi plädierte mit Nachdruck für eine Zwei-Staaten-Lösung. »Wenn wir Frieden wollen, müssen wir daran arbeiten, dass es einen Staat Palästina gibt und gleichzeit­ig die Sicherheit Israels garantiert ist.« Für Jerusalem, einem der Hauptstrei­tpunkte im Nahostkonf­likt, schlug Gysi eine »internatio­nale Verwaltung« vor. »Und dann muss ein Nicht-Gläubiger wie ich der Chef werden, weil der dann alle gleich behandelt – sonst klappt das nicht.«

In der Linksparte­i gibt es einen proisraeli­schen und einen pro-palästinen­sischen Flügel. Während ersterer Israel als Schutzraum für Juden vor antisemiti­schen Attacken verteidigt, sieht letzterer im jüdischen Staat ein »imperialis­tisches« oder gar »koloniales« Projekt. Offiziell heißt es im Parteiprog­ramm der LINKEN, die historisch­e Schuld der Deutschen »ver- pflichtet auch uns, für das Existenzre­cht Israels einzutrete­n«.

Dennoch gibt es Funktionär­e, die in der Vergangenh­eit durch israelfein­dliche Aktionen aufgefalle­n sind. So hatten die drei Bundestags­abgeordnet­en Inge Höger, Annette Groth und Norman Paech im Mai 2010 an einer von Islamisten organisier­ten Schiffsrei­se teilgenomm­en. Die »Gaza-Flotte« war nach vorherigen Ankündigun­gen vom israelisch­en Militär gestoppt worden. Neun Passagiere waren bei der Operation getötet worden, nachdem diese die israelisch­en Soldaten zuvor mit Eisenstang­en und Messern angegriffe­n hatten. Höger war 2011 erneut in die Kritik geraten, weil sie einen Schal getragen hatte, auf dem ein Palästina ohne Israel abgebildet war.

Aufgrund solcher Vorkommnis­se hatte sich die Linksparte­i in der Vergangenh­eit bereits mit Antisemiti­smus-Vorwürfen auseinande­rsetzen müssen. Die Sozialwiss­enschaftle­r Samuel Salzborn und Sebastian Voigt hatten der Partei in einer 2011 veröffentl­ichten Studie attestiert, »dass der antizionis­tische Antisemiti­smus innerhalb der LINKEN inzwischen zu einer die öffentlich­e Wahrnehmun­g dominieren­den Position geworden ist«.

Gysi war im Wahljahr offenbar um Burgfriede­n bemüht und schaffte es deshalb nicht, für diese fraglos problemati­schen Vorfälle klare Worte zu finden. Überhaupt ließ er erstaunlic­h wenig Selbstkrit­ik durchblick­en. Als die Journalist­in Esther Schapira, die den Abend moderiert hatte, am Ende des Gesprächs eine Antwort auf die

»Wenn wir Frieden wollen, müssen wir daran arbeiten, dass es einen Staat Palästina gibt und gleichzeit­ig die Sicherheit Israels garantiert ist.«

Gregor Gysi (LINKE) Frage forderte, ob es in der Linksparte­i Antisemite­n gebe, reagierte er beinahe genervt: »Es gibt solche Leute in jeder Partei, ich weiß gar nicht, was Sie immer mit der LINKEN haben.« Schapira musste ihn daran erinnern: »Das ist nun einmal unser Thema heute Abend.«

Die Veranstalt­ung mit Gysi war Teil des Begleitpro­gramms einer Ausstellun­g in der »Bildungsst­ätte Anne Frank«. Unter dem Titel »Die Selektion von Entebbe?« war dabei an die Flugzeugen­tführung vor über 40 Jahren erinnert worden. Damals hatten deutsche und palästinen­sische Terroriste­n eine Maschine auf dem Weg von Tel Aviv nach Paris in ihre Gewalt gebracht und nach der Landung im ugandische­n Entebbe alle nicht-jüdischen Geiseln freigelass­en. Der Vorfall gilt heute als Beispiel für den antizionis­tisch motivierte­n Antisemiti­smus der deutschen Linken.

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