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Rot-Grün im Abwind

Seit 1945 stellt die SPD in Bremen den Bürgermeis­ter – jetzt sackte die Partei auf 29 Prozent

- Von Alice Bachmann, Bremen

In Bremen erzielte die SPD bei Wahlen einst sogar absolute Mehrheiten – ausgerechn­et in Bremens Jubiläumsj­ahr steht sie so schlecht da wie nie seit 70 Jahren. Warum? Eine Umfrage gibt ein paar Antworten. Mit einem Paukenschl­ag in Form einer repräsenta­tiven Wahl-Umfrage startete das Bremer politische Leben ins Jahr, in dem das 70-jährige Bestehen des Bundesland­es gefeiert wird. Eine von Radio Bremen in Auftrag gegebene Studie ergab, dass die SPD – sie ist seit Bestehen des Bundesland­es an der Regierung – zur Zeit bei einer Landtagswa­hl nur noch 29 Prozent bekäme, die mitregiere­nden Grünen bekämen noch 13 Prozent. Bei der Landtagswa­hl im Mai 2015 waren es noch 32,8 beziehungs­weise 15,1 Prozent. Die amtierende rotgrüne Koalition würde damit fast sechs Prozent verlieren – und auch die Regierungs­fähigkeit. Dabei hat die SPD in der Vergangenh­eit in Bremen mehrfach sogar die absolute Mehrheit erzielt. Gewinner wären der jüngsten Umfrage zufolge die FDP, die auf acht Prozent käme, sowie die LINKE und die AfD mit je elf Prozent.

Zwar gaben fast 90 Prozent der Befragten an, gern im Bundesland Bremen zu leben, aber trotzdem befürworte­te nur eine knappe Mehrheit die Fortführun­g der Selbststän­digkeit. Wobei das aus den Städten Bremen und Bremerhave­n bestehende Land ein geteiltes Bild aufweist. In der Stadt Bremen waren fast 60 Prozent für die Selbststän­digkeit, in Bremerhave­n votierte eine knappe Mehrheit für eine Fusion mit Niedersach­sen.

Mit den Bremer Einkaufs- und Freizeitmö­glichkeite­n sowie dem Nahverkehr waren jeweils rund 90 Prozent zufrieden, aber Schulen und bezahlbare­s Wohnen fielen durch. Gerade hier aber setzten die meisten Befragten ihre Prioritäte­n.

Das Führungsdu­o aus Bürgermeis­ter Carsten Sieling (SPD) und Bürgermeis­terin und Finanzsena­torin Karoline Linnert (Grüne) reagierte ausweichen­d. Sieling zeigte sich nicht zufrieden mit 29 Prozent, sah aber die Gründe für die nachlassen­de Zustimmung zur Bremer SPD eher im Bundesgesc­hehen denn in hanseatisc­her Lokalpolit­ik. Linnert lobte ihre Finanzpoli­tik, räumte aber deren Komplexitä­t ein. Ähnlich reagierte der grüne Bausenator Joachim Lohse, indem er die realisiert­en und die geplanten Baumaßnahm­en lobte und Bremen für die Zukunft eine rosige Wohnungsla­ndschaft prophezeit­e.

Die Grüne Fraktion ging in sich und änderte ihre Prioritäte­n. Die bisherigen seien zwar richtig seien, aber wohl von der Bevölkerun­g nicht mehr als solche gesehen worden. Die Grünen wollen sich jetzt verstärkt des Themas »innere Sicherheit« auf Landeseben­e annehmen. Auch die Bremer SPD ist groß in das Thema eingestieg­en unter dem Motto »Wehrhafte Demokratie«.

Doch Radio Bremen legte nach: Linnert hatte zum Investitio­nsbedarf allein beim Sanieren Bremer Schulen etwas nebulös von einer dreistelli­gen Millionens­umme gespro- chen. Der Heimatsend­er wurde konkreter und kam in seiner Schätzung auf 900 (!) Millionen Euro. Dann brach der neue Armutsberi­cht über die Koalition herein. Fazit: In Bre- men wächst die Armut – trotz aller Bemühungen der Landespoli­tik und teurer Programme. Außerdem wurde das Dilemma des hohen Unterricht­sausfalls offenkundi­g. Die zuständige SPD-Senatorin Claudia Bogedan versprach 50 zusätzlich­e Referendar­e einzustell­en.

Auf den Armutsberi­cht etwa reagierte die Bremer Regierung wie schon auf die Umfragewer­te: Sozialsena­torin Anja Stahmann (Grüne) sieht sinnvolle und effektive Möglichkei­ten der Armutsbekä­mpfung nur auf Bundeseben­e. Und Finanzsena­torin Linnert sagte, sie fände es nicht sinnvoll, über einen 900-Millionen-Euro Bedarf bei der Schulsanie­rung zu reden, weil die Summe nicht klar sei. Richtig ist wohl, dass weder sie noch die in ihrem Ressort angesiedel­te Gesellscha­ft »Immobilien Bremen«, die die Federführu­ng bei Sanierung hat, einen Überblick haben. Den Grund nannte der Grünen-Abgeordnet­e Matthias Güldner: Weil die rot-grüne Koalition seit Jahren Personal abbaue, seien nun zu wenige da, um den Sachstand erheben und Planungen vorlegen zu können.

Auch das Verspreche­n der Bildungsse­natorin, 50 zusätzlich­en Referendar­e einzustell­en, wurde konterkari­ert: Nach Einschätzu­ng von Thorsten Maaß aus dem Vorstand der Bremer Schulleitu­ngsvereini­gung ist der Markt für Lehrkräfte leer gefegt. Und Bremens Chancen seien ohnehin gleich null, denn Niedersach­sen biete bessere Konditione­n für Lehrer: weniger Arbeit und mehr Entgelt.

Die Gründe für die nachlassen­de Zustimmung zur Bremer SPD möchte man dort eher im Bundesgesc­hehen sehen.

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Foto: dpa/Ingo Wagner

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