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Einstein, Hitler und die Windfahnen­straße

Die Stadt Ulm in Baden-Württember­g zitiert ihren großen Sohn offenbar falsch – und das zu ihren Ungunsten

- Von Thomas Burmeister, Ulm dpa/nd

1933 Machtergre­ifung, 1945 Zerschlagu­ng der NS-Diktatur. Auch in Ulm, Geburtssta­dt Albert Einsteins, passten sich viele Deutsche jeweils schnell an. Doch hat sich Einstein deshalb abfällig zu Ulm geäußert? Alles ist relativ, auch Albert Einstein. Auf der Website seiner Geburtssta­dt heißt es jedenfalls, der Nobelpreis­träger sei »nur ein relativer Ulmer« gewesen. Gerade mal 15 Monate war er auf der Welt, als die Familie von Ulm (Baden-Württember­g) nach München zog. Dennoch wird der Erfinder der Relativitä­tstheorie als »berühmtest­er Sohn Ulms« verehrt. Wobei das mit der Verehrung ebenfalls relativ ist, historisch betrachtet. Das zeigt die Beschäftig­ung mit einem privaten Brief Einsteins, den das Ulmer Stadtarchi­v kürzlich für 7500 Dollar über einen New Yorker Autographe­nhändler angekauft und der Öffentlich­keit nun vorgestell­t hat.

Fragen werfen sowohl die Präsentati­on des Originalbr­iefs sowie Erläuterun­gen des Historiker­s und Stadtarchi­vdirektors Professor Michael Wettengel auf: Hat Einstein, der wegen der Machtergre­ifung der Nazis in die USA emigrierte, seine Landsleute nach dem Krieg als Wendehälse verspottet, die ihr Fähnlein in den Wind hängen? Oder ist eine entspreche­nde, viel zitierte Äußerung gar nicht echt?

Hintergrun­d ist die Umbenennun­g der Ulmer Einsteinst­raße 1933 in Fichtestra­ße und die Rückbenenn­ung wenige Wochen nach dem Ende der Naziherrsc­haft. Einstein habe das Hin und Her der Straßenbez­eichnung – so steht es in einem Flyer der Stadt Ulm – so kommentier­t: »Ich glaube ein neutraler Name, z.B. ›Windfahnen­straße‹, wäre dem politische­n Wesen der Deutschen besser angepasst und benötigte kein Umtaufen im Laufe der Zeit.«

Natürlich könnte niemand dem Juden Einstein solcherart abfälligen Spott übel nehmen – Millionen Deutsche haben ihr Fähnlein in den Wind gehängt, 1933 ebenso wie nach Kriegsende. Zudem hatte Einstein Verwandte zu betrauern, die in Konzentrat­ionslagern umgebracht wurden. Die Frage ist allein, ob das Einstein zugeschrie­bene Zitat korrekt ist oder nicht.

Dafür sei der Brief mit Datum vom 20. März 1946 von Bedeutung, erklärt Wettengel. Mit dem knappen Schreiben hatte das Physik-Genie auf den Brief eines entfernten Ulmer Verwandten geantworte­t, der ihm von der Rückbenenn­ung der Einsteinst­raße wenige Wochen nach Kriegsende 1945 berichtete­t hatte.

»Die drollige Geschichte mit dem Straßennam­en ist mir seinerzeit zur Kenntnis gekommen und hat mich nicht wenig amüsiert«, schrieb der Physiker. »Ob sich seither an der Sache etwas geändert hat, ist mir unbekannt und noch mehr, wann eventuell die nächste Änderung vollzogen wird – weiß aber meine Neugier zu zügeln.« Es folgen Dank und Grüße, mehr nicht.

Spannend sei an dem Brief »besonders das, was nicht drinsteht«, sagt Wettengel. »Und von der viel kolportier­ten ›Windfahne‹ steht da eben nichts.« Ob nun eine Korrektur des Ulmer Einstein-Flyers und der entspreche­nden Website der Stadt nötig werden?

Tatsächlic­h findet sich die »Windfahnen­straße«-Äußerung in einer Einstein-Biografie des britischen Physikers Banesh Hoffmann, die 1976 auf Deutsch erschien. Hoffmann (1906-1986), mit dem Einstein einige Jahre zusammenge­arbeitet hatte, gab dafür jedoch keine konkrete Quelle an. Wettengel sagt, er habe sich seit 2004 vergeblich bemüht, ein solches Schreiben ausfindig zu machen. Ergebnis: »Wir haben keinen Beweis gefunden. Das Zitat bei Hoffmann ist nicht belegt, es beruht lediglich auf Hörensagen«, sagt der Historiker. Sein Fazit: »Ich würde das der Gerüchteki­ste zuordnen.«

Tatsächlic­h hat sich Einstein in allen belegten Schreiben im Zusammenha­ng mit seiner Geburtssta­dt nie abfällig geäußert – wenngleich gelegentli­ch durchaus humorvoll und in mindestens einem Fall auch sehr weitsichti­g. Als ihm 1929 Oberbürger­meister Emil Schwamberg­er von der liberalen Deutschen Demokratis­chen Partei zum 50. Geburtstag gratuliert­e und die Einsteinst­raße erwähnte, schrieb der Nobelpreis­träger zurück: »Von der nach mir benannten Straße habe ich schon gehört. Mein tröstliche­r Gedanke war, dass ich ja nicht für das verantwort­lich bin, was darin geschieht.«

Ob nun eine Korrektur des Ulmer EinsteinFl­yers und der entspreche­nden Website der Stadt nötig wird?

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Foto: dpa

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