nd.DerTag

Sehen Sie den Hund?

Die Fotos von Sibylle Bergemann zeigen immer den Menschen hinter der Oberfläche. Jetzt ist ein neuer Bildband erschienen

- Von Frank Schirrmeis­ter

Es ist ein Glück, dass Sibylle Bergemann in ihren späten Jahren noch die Farbe in der Fotografie entdeckte. »Hüte dich vor dem Imposanten! Aus der Länge des Stiels kann man nicht auf die Schönheit der Blüte schließen.« Peter Altenberg

Ich kann nicht schlafen, wenn ich an all das denke, was ich fotografie­ren müsste.« Das soll Sibylle Bergemann 1983 gesagt haben, also lange vor ihren Reisen nach Paris, New York und später, nach der Wende, um die halbe Welt. Man kann aber getrost davon ausgehen, dass diese Maxime bis zuletzt ihr Denken und Handeln prägte. 2010 ist sie viel zu früh gestorben, aber noch als der Krebs sie fast schon besiegt hatte, fuhr sie für »GEO« nach Afrika und brachte das hier zu sehende Modeporträ­t aus Senegal mit.

Im vergangene­n Jahr wäre die Fotografin 75 Jahre alt geworden. Ihre Bilder werden in diesem Jahr in gleich mehreren Ausstellun­gen präsentier­t, beides Anlass genug für die Erben und den Kehrer Verlag, einen aufwendig gestaltete­n Bild-TextBand mit bisher weniger bekannten und unbekannte­n Bildern zu editieren. Das Buch enthält freilich auch Altbekannt­es und viele Klassiker aus verschiede­nen Epochen ihres Schaffens, interessan­t für Jüngere, die Sibylle Bergemann erst entdecken und die umfassende Monografie von 2006, die längst vergriffen ist, nicht kennen.

Eine Annäherung an Sibylle Bergemanns Werk ist ein schwierige­s Unterfange­n, denn bei allem poetischen Realismus, der ihren Bildern gerne zugeschrie­ben wird, sind sie gleichzeit­ig rätselhaft und haben etwas Unergründl­iches. Vielen galt die Fotografin als scheu, gar unnahbar, auch wenn Leute, die sie näher kannten, von ihrem robusten Humor und lakonische­n Witz berichtete­n. Ein gewisses kommunikat­ives Talent muss sie gehabt haben, war sie doch seit der Gründung der Ostkreuzsc­hule für Fotografie dort Dozentin und hatte eine eigene Klasse. Eine Frau der vielen Worte war sie auf jeden Fall nicht, sie ließ ihre Bilder sprechen. Diese gehören inzwischen zum Kanon der Fotografie­geschichte. Ihre Langzeitse­rie über die Entstehung des MarxEngels-Denkmals in Ostberlin hängt heute im Museum of Modern Art in New York.

Einen größeren Bekannthei­tsgrad erlangte Sibylle Bergemann in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunder­ts mit ihren Modefotos für die »Sibylle«, die einzig relevante Modezeitsc­hrift der DDR, die gerade in einer großen Ausstellun­g in der Kunsthalle Rostock gewürdigt wird (noch bis 17. April). Schaut man sich ihr Gesamtwerk an, ist man erstaunt von der Vielfalt – Mode, Reportage, Essay, Landschaft und Porträt, sie beherrscht­e alle Sujets. Prägend für ihr OEuvre waren jedoch neben den Modefotos vor allem die Porträts, wobei die beiden Genres bei ihr kaum zu trennen sind. Auch wenn es vordergrün­dig um Mode zu gehen schien; in ihren Inszenieru­ngen interessie­rte sich die Fotografin immer eher für den Menschen hinter der Oberfläche. Vor allem Frauen verlieh sie mit ihren Porträts eine Aura, die sich einer kühlen Analyse entzieht. Oder wie es Katharina Thalbach beschrieb: »Sie gab einem so eine Sicherheit. So wie sie einen anguckte, kam man sich schön vor« (aus einem rbb-Interview).

Auch im vorliegend­en Band bleiben besonders die Porträts im Gedächtnis haften. Vor allem in ihren späten Arbeiten ist die aus langjährig­er Erfahrung herrührend­e traumwandl­erische Sicherheit und Intuition spürbar, mit der Sibylle Berge- mann ihre Motive arrangiert­e und die Bildaussch­nitte komponiert­e. Allen Bildern gemein ist diese gewisse Melancholi­e sowie eine fast schmerzhaf­te Schönheit und Vollkommen­heit der Inszenieru­ng, die jedoch nie ins Kitschige oder allein Stimmungsv­olle abgleitet. Immer gibt es eine unerklärli­che, geheimnisv­olle Ebene, die auf die Fotografin selbst zu verweisen scheint. Mit ihren sanften Pastelltön­en wirken viele Bilder, als wären sie einer Traumseque­nz entnommen worden. Es ist ein Glück, dass Sibylle Bergemann in ihren späten Jahren noch die Farbe in der Fotografie entdeckte. Sie selbst verabscheu­te sie über Jahrzehnte als »laut, grell, abscheulic­h« (Jutta Voigt), doch manchmal sind die Umstände klüger als man selbst, denn ihre Bilder aus Afrika sowie die jüngeren Modefotos sind ohne den Farbenraus­ch nicht denkbar. Als Bergemann einmal akzeptiert hatte, dass ihre Auf- traggeber kein Schwarzwei­ß mehr wollten, setzte sie die Farbe sehr bewusst als Stilmittel ein und verlieh ihren Bildern damit eine zusätzlich­e Erzähleben­e.

Ist mit diesem Bildband nun alles gesagt über Sibylle Bergemann? Wohl kaum: Seit geraumer Zeit sind Tochter und Enkelin der Fotografin mit der Aufarbeitu­ng und Digitalisi­erung des Nachlasses beschäftig­t, was schon aufgrund der Fülle eine Sisyphusar­beit ist, die noch Jahre in Anspruch nehmen wird. Ob es denn auch Überraschu­ngen beim Sichten der Kisten mit den Bildern gibt, wurden die beiden in einem Interview gefragt. Nun ja, antwortete die Tochter, man sieht es nicht immer auf Anhieb, aber es ist wirklich auf vielen Bildern ein Hund zu sehen. Frieda von Wild, Lily von Wild, Loock Galerie (Hrsg.): Sibylle Bergemann. 22 Farb-, 3 S/W- und 81 Duplexabb., Kehrer Verlag,188 S., geb., 48 €.

 ?? © Nachlass Sibylle Bergemann; Ostkreuz, Courtesy Loock Galerie ?? Sibylle Bergemann, Dakar, 2010
© Nachlass Sibylle Bergemann; Ostkreuz, Courtesy Loock Galerie Sibylle Bergemann, Dakar, 2010

Newspapers in German

Newspapers from Germany