Schmutzige deutsche Stadtluft
Umweltbundamt holt die Idee der Blauen Plakette wieder aus der Schublade
Besonders die Stickoxidwerte liegen viel zu hoch. Während die Regierung sich nicht auf eine Lösung einigen kann, bringt das Umweltbundesamt die Blaue Plakette wieder ins Spiel. Am schlimmsten ist es am Stuttgarter Neckartor, es folgt die Landshuter Allee in München: 2016 war die Luft in deutschen Städten stark verschmutzt, wie ein Bericht des Umweltbundesamts zeigt. Besonders hoch war die Belastung mit Stickstoffdioxid. An 57 Prozent der verkehrsnahen Messstationen wurde der in der EU geltende Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel überschritten. Schuld daran sind laut UBAChefin Maria Krautzberger in den Städten vor allem alte Dieselautos.
Asthma, Kopfschmerzen, Schwindel – wo zu viel Stickoxid in der Luft liegt, klagen Anwohner über verstärkte Gesundheitsbeschwerden. Besonders anfällig sind Kinder. Das Problem besteht in vielen deutschen Städten, besonders in den Großstädten mit hohem Verkehrsaufkommen wie Hamburg und Köln.
Bisher können Kommunen wenig gegen die Autoabgase ausrichten. »Es kann aus Sicht des Gesundheitsschutzes nicht akzeptiert werden, dass die Kommunen keine Handhabe haben, um beispielsweise Dieselautos mit hohem Ausstoß aus den belasteten Innenstädten auszuschließen«, sagte Krautzberger und sprach sich für die Einführung der Blauen Plakette aus.
Diese soll Autos kennzeichnen, die vergleichsweise wenig Stickoxide ausstoßen. Damit Kommunen die Plakette nutzen dürfen, ist ein Beschluss auf Bundesebene erforderlich. Die Verkehrsministerkonferenz hatte sich im vergangenen Oktober dagegen ausgesprochen.
Die Umweltorganisationen Greenpeace, BUND und die Deutsche Umwelthilfe forderten sofortige Maßnahmen. »Auf Bundesebene wie in den Kommunen muss es jetzt darum gehen, die Belastung für Menschen und Umwelt schnellstens zu verringern«, erklärte BUND-Experte Jens Hilgenberg. Die Blaue Plakette dürfe jetzt »nicht länger tabuisiert werden«.
Die Maßnahme gehört auch zu einem Verordnungsentwurf vom Dezember aus dem Bundesumweltministerium. Geht es nach Ministerin Barbara Hendricks (SPD), sollen Kommunen drei Arten von Fahrverboten offenstehen, um die Stickstoffoxide in der Luft zu reduzieren: Sie könnten ihre Innenstädte für alle Autos sperren, die keine Blaue Plakette haben. Weiterhin könnten die Kommunen bestimmte Straßen für alle Dieselfahrzeuge sperren oder nur für solche mit moderner Abgastechnik freigeben. Schließlich soll es auch – wie in anderen Ländern – möglich sein, an geraden Datumstagen nur Fahrzeuge mit geraden Kennzeichen einfahren zu lassen, an ungeraden Tagen Autos mit ungeraden Ziffern.
Gegenwind bekam Hendricks sofort von ihren Kollegen aus dem Wirtschafts- sowie dem Verkehrsressort. Sowohl der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), als auch Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sprachen sich gegen Fahrverbote aus. Damit war der Entwurf zunächst auf Eis gelegt.
Die Grünen forderten einen grundsätzlichen Abschied von der Dieseltechnik. »Wir brauchen endlich einen Ausstiegsplan aus dem DieselPkw und einen beherzten Einstieg in alternative Antriebstechnologien«, sagte Fraktionschef Anton Hofreiter zu den Ergebnissen des Umweltbundesamts. »Das ist die Bundesregierung nicht nur den Betroffenen schuldig, auch die Autoindustrie braucht klare Signale für Innovationen.«
Dass die Politik beim Streit um die Stickoxide in Tatenlosigkeit verfällt, hat auch auf EU-Ebene Konsequenzen. Bereits im Juni 2015 hatte die EU-Kommission Deutschland wegen zu starker Luftverschmutzung durch Stickoxide gerügt.
Etwas besser läuft es bei der Bekämpfung des Feinstaubs. Der trat 2016 so wenig auf wie seit 2000 nicht mehr. Auch die Ozonkonzentration war im Vergleich der vergangenen 20 Jahren eher niedrig. Es gibt ein Aber: Die EU-Grenzwerte liegen viel höher als das, was die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt.
Dass es weniger Feinstaub gab, hat mehrere Ursachen. Einmal die politische Seite: Eine Plakette, wie Hendricks sie gern für die Stickoxide sähe, gibt es für Feinstaub schon. Aber auch das Wetter hat Einfluss: Feinstaub entsteht nicht nur im Straßenverkehr, sondern etwa auch beim Heizen mit fossilen Brennstoffen. Sind die Temperaturen wie im vergangenen Jahr eher mild, wird weniger geheizt – und dadurch weniger Feinstaub verursacht.