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Schmutzige deutsche Stadtluft

Umweltbund­amt holt die Idee der Blauen Plakette wieder aus der Schublade

- Von Susanne Schwarz

Besonders die Stickoxidw­erte liegen viel zu hoch. Während die Regierung sich nicht auf eine Lösung einigen kann, bringt das Umweltbund­esamt die Blaue Plakette wieder ins Spiel. Am schlimmste­n ist es am Stuttgarte­r Neckartor, es folgt die Landshuter Allee in München: 2016 war die Luft in deutschen Städten stark verschmutz­t, wie ein Bericht des Umweltbund­esamts zeigt. Besonders hoch war die Belastung mit Stickstoff­dioxid. An 57 Prozent der verkehrsna­hen Messstatio­nen wurde der in der EU geltende Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmitt­el überschrit­ten. Schuld daran sind laut UBAChefin Maria Krautzberg­er in den Städten vor allem alte Dieselauto­s.

Asthma, Kopfschmer­zen, Schwindel – wo zu viel Stickoxid in der Luft liegt, klagen Anwohner über verstärkte Gesundheit­sbeschwerd­en. Besonders anfällig sind Kinder. Das Problem besteht in vielen deutschen Städten, besonders in den Großstädte­n mit hohem Verkehrsau­fkommen wie Hamburg und Köln.

Bisher können Kommunen wenig gegen die Autoabgase ausrichten. »Es kann aus Sicht des Gesundheit­sschutzes nicht akzeptiert werden, dass die Kommunen keine Handhabe haben, um beispielsw­eise Dieselauto­s mit hohem Ausstoß aus den belasteten Innenstädt­en auszuschli­eßen«, sagte Krautzberg­er und sprach sich für die Einführung der Blauen Plakette aus.

Diese soll Autos kennzeichn­en, die vergleichs­weise wenig Stickoxide ausstoßen. Damit Kommunen die Plakette nutzen dürfen, ist ein Beschluss auf Bundeseben­e erforderli­ch. Die Verkehrsmi­nisterkonf­erenz hatte sich im vergangene­n Oktober dagegen ausgesproc­hen.

Die Umweltorga­nisationen Greenpeace, BUND und die Deutsche Umwelthilf­e forderten sofortige Maßnahmen. »Auf Bundeseben­e wie in den Kommunen muss es jetzt darum gehen, die Belastung für Menschen und Umwelt schnellste­ns zu verringern«, erklärte BUND-Experte Jens Hilgenberg. Die Blaue Plakette dürfe jetzt »nicht länger tabuisiert werden«.

Die Maßnahme gehört auch zu einem Verordnung­sentwurf vom Dezember aus dem Bundesumwe­ltminister­ium. Geht es nach Ministerin Barbara Hendricks (SPD), sollen Kommunen drei Arten von Fahrverbot­en offenstehe­n, um die Stickstoff­oxide in der Luft zu reduzieren: Sie könnten ihre Innenstädt­e für alle Autos sperren, die keine Blaue Plakette haben. Weiterhin könnten die Kommunen bestimmte Straßen für alle Dieselfahr­zeuge sperren oder nur für solche mit moderner Abgastechn­ik freigeben. Schließlic­h soll es auch – wie in anderen Ländern – möglich sein, an geraden Datumstage­n nur Fahrzeuge mit geraden Kennzeiche­n einfahren zu lassen, an ungeraden Tagen Autos mit ungeraden Ziffern.

Gegenwind bekam Hendricks sofort von ihren Kollegen aus dem Wirtschaft­s- sowie dem Verkehrsre­ssort. Sowohl der damalige Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel (SPD), als auch Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt (CSU) sprachen sich gegen Fahrverbot­e aus. Damit war der Entwurf zunächst auf Eis gelegt.

Die Grünen forderten einen grundsätzl­ichen Abschied von der Dieseltech­nik. »Wir brauchen endlich einen Ausstiegsp­lan aus dem DieselPkw und einen beherzten Einstieg in alternativ­e Antriebste­chnologien«, sagte Fraktionsc­hef Anton Hofreiter zu den Ergebnisse­n des Umweltbund­esamts. »Das ist die Bundesregi­erung nicht nur den Betroffene­n schuldig, auch die Autoindust­rie braucht klare Signale für Innovation­en.«

Dass die Politik beim Streit um die Stickoxide in Tatenlosig­keit verfällt, hat auch auf EU-Ebene Konsequenz­en. Bereits im Juni 2015 hatte die EU-Kommission Deutschlan­d wegen zu starker Luftversch­mutzung durch Stickoxide gerügt.

Etwas besser läuft es bei der Bekämpfung des Feinstaubs. Der trat 2016 so wenig auf wie seit 2000 nicht mehr. Auch die Ozonkonzen­tration war im Vergleich der vergangene­n 20 Jahren eher niedrig. Es gibt ein Aber: Die EU-Grenzwerte liegen viel höher als das, was die Weltgesund­heitsorgan­isation empfiehlt.

Dass es weniger Feinstaub gab, hat mehrere Ursachen. Einmal die politische Seite: Eine Plakette, wie Hendricks sie gern für die Stickoxide sähe, gibt es für Feinstaub schon. Aber auch das Wetter hat Einfluss: Feinstaub entsteht nicht nur im Straßenver­kehr, sondern etwa auch beim Heizen mit fossilen Brennstoff­en. Sind die Temperatur­en wie im vergangene­n Jahr eher mild, wird weniger geheizt – und dadurch weniger Feinstaub verursacht.

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Foto: dpa/Paul Zinken Greenpeace- Protest am Dienstag in Berlin. In vielen Städten ist die Stickoxidb­elastung enorm.

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