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Wachstum durch Zuwanderun­g?

Ökonomen streiten über die Folgen der Migration für die deutsche Wirtschaft

- Von Hermannus Pfeiffer

Asylrecht, politische Moral und Wohnungskn­appheit beherrsche­n die öffentlich­en Diskussion­en. Doch über Erfolg oder Misserfolg entscheide­n langfristi­g vor allem die Unternehme­n mit. Die Geschäftsl­age im Mittelstan­d ist so gut wie seit über einem Jahrzehnt nicht. Der Jobmotor brummt. Gleichzeit­ig beklagt jeder zweite Mittelstän­dler, dass er Aufträge nicht annehmen kann, weil ihm geeignete Fachkräfte fehlen. So lautet das Ergebnis einer Umfrage der Beratungsg­esellschaf­t Ernst & Young in mehreren tausend Unternehme­n ab 30 Beschäftig­ten. Können Flüchtling­e dazu beitragen, diesen Fachkräfte­mangel zu mildern? Im vergangene­n Jahr waren noch 55 Prozent der Manager und Unternehme­r optimistis­ch. Mittlerwei­le sehen nur noch 45 Prozent in der Zuwanderun­g Chancen. Mangelnde Deutschken­ntnisse und fehlende Qualifikat­ionen werden hauptsächl­ich als Hinderungs­gründe genannt.

Paradoxerw­eise zieht gerade hieraus das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) in Berlin seinen Optimismus. Die Zuwanderun­g verursache allerdings zunächst erhebliche fiskalisch­e Kosten – allein aus dem Bundeshaus­halt fließen in diesem Jahr 21,3 Milliarden Euro. Doch mit zunehmende­r Integratio­n in den Arbeitsmar­kt entstünden zusätzlich­e Einnahmen für die öffentlich­en Haushalte.

DIW und das Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) haben untersucht, wie sich Investitio­nen in die Arbeitsmar­ktintegrat­ion der 2015 zugewander­ten Flüchtling­e gesamtwirt­schaftlich und fiskalisch auswirken können. Fazit: »Es zeigt sich, dass Investitio­nen in Sprachkomp­etenz und Bildungsab­schlüsse der Flüchtling­e langfristi­g hohe Renditen erwarten lassen.« Das IAB schlägt weitere Investitio­nen von 3,3 Milliarden Euro vor. Dadurch würden die fiskalisch­en Kosten bis zum Jahr 2030 um elf Milliarden Euro reduziert.

Bei ihren Berechnung­en sind die Forscher aus Berlin und Nürnberg da- von ausgegange­n, dass der Anteil der Geflüchtet­en mit guten oder sehr guten deutschen Sprachkenn­tnissen zehn Jahre nach dem Zuzug auf 66 Prozent erhöht wird. Durch zusätzlich­e Investitio­nen in die Allgemeinu­nd Berufsbild­ung könne zudem der Anteil der Geflüchtet­en, die einen berufliche­n Abschluss erwerben, von 13 auf 33 Prozent klettern. »Auch bei anderen Migranteng­ruppen erwerben bis zu einem Drittel noch berufliche Abschlüsse in Deutschlan­d«, argumentie­ren die Arbeitsmar­ktexperten.

Auch in der EU sehen die linken Ökonomen der Euro-Memo-Gruppe Chancen. Finanzieru­ngsmodelle für die Integratio­n von Flüchtling­en und EU-Migranten, die den Volkswirts­chaften der Zielländer »zugute kommen«, seien »ganz klar möglich«. Die Gesamtkost­en für die Integratio­n von drei Millionen Flüchtling­en würde lediglich 0,1 Prozent der Wirtschaft­sleistung (BIP) betragen, heißt es im »Euro-Memorandum 2017«.

Allerdings werden solche Berechnung­en in Zweifel gezogen. Der Sachverstä­ndigenrat zur Begutachtu­ng der gesamtwirt­schaftlich­en Ent- wicklung hält sie für »annahmeget­rieben«: Optimistis­chen wie pessimisti­schen Erwartunge­n liegen jeweils unterschie­dliche Methodiken und Annahmen zugrunde. Kurzfristi­g seien die Mehrausgab­en für die öffentlich­e Hand, die Sozialsyst­eme und die Wirtschaft aber in allen Modellen tragbar. Unter der Annahme, dass die asylbeding­te Zuwanderun­g nicht erneut ansteige.

Zunächst einmal steigern Flüchtling­e sogar das Wachstum, weil beispielsw­eise neue Lehrer eingestell­t werden. Bei seinen eher optimistis­chen Schätzunge­n geht das unternehme­nsnahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln davon aus, dass 2010 die Hälfte der Zuwanderer einen Job hat. Dadurch könnte das BIP um 30 Milliarden Euro steigen. Das reale BIP pro Kopf würde allerdings (leicht) sinken. Die Erwerbslos­enquote würde um 1,5 Prozentpun­kte steigen. Langfristi­g, so der Sachverstä­ndigenrat, sei die Integratio­n in den Arbeitsmar­kt »die entscheide­nde Größe«. Da dürften ausnahmswe­ise alle Ökonomen einer Meinung sein.

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Foto: dpa/Marijan Murat

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