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Der Allgemeinh­eit zum Wohle umverteile­n

Ulrich Schneider schreibt in seinem neuen Buch »Kein Wohlstand für Alle!?«, was gegen die Spaltung der Gesellscha­ft getan werden kann

- Von Simon Poelchau

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird mittlerwei­le selbst bei einer kurzen Fahrt durch die Berliner Innenstadt deutlich. Sie ist das Resultat einer jahrelange­n Politik der neoliberal­en Kälte. Mit dem Eigentum ist das so eine Sache im Grundgeset­z. Auf der einen Seite steht im Artikel 14, erster Absatz: »Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleis­tet.« Auf der anderen Seite heißt es gleich anschließe­nd im zweiten Absatz desselben Artikels: »Eigentum verpflicht­et. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinh­eit dienen.«

Vor allem aber gilt hierzuland­e beim Thema Eigentum eins: Es ist extrem ungleichmä­ßig verteilt, es konzentrie­rt sich so sehr in den Händen weniger, »dass niemand, der mit offenen Augen durch die Lande geht«, abstreiten könne, »dass Deutschlan­d gerade dabei ist, sich selbst zu zerlegen«, wie der Hauptgesch­äftsführer des Paritätisc­hen Wohlfahrts­verbandes, Ulrich Schneider, in seinem neuen Buch schreibt. »Kein Wohlstand für alle!? Wie sich Deutschlan­d selber zerlegt und was wir dagegen tun können«, heißt es und erscheint am Mittwoch im Westend Verlag.

Um dem Leser die ganze Misere zu demonstrie­ren, schickt Schneider ihn zu Beginn auf eine Reise: »Wer durch Berlins Mitte flaniert, der geht vorbei an den Schickimic­ki-Restaurant­s der ›Reichen und Schönen‹, in denen man gern mal einen Hunderter und mehr für das Abendessen lässt, an prächtigen Einkaufspa­ssagen mit genauso unverschäm­ten Preisen«, schreibt Schneider. Doch steige man in den Bus, brauche man nur wenige Minuten, damit einen die andere Wirklichke­it wieder einhole: »Schulgebäu­de, die so gar nichts mit den prächtigen Bankgebäud­en und Luxushotel­s zu tun haben, sondern wo die Farbe verwittert und der Putz abblättert; ›Grünanlage­n‹, die schon lange kein Grün mehr gesehen haben; Ein-EuroShops für die breite Masse und die Schnäppche­njäger.«

Diese Spaltung der Gesellscha­ft, die man nicht allein in der Hauptstadt, sondern auch in anderen Großstädte­n wie Hamburg, München oder Stuttgart sieht, ist nicht nur eine gefühlte Spaltung. Schneider kann sie mit vielen Statistike­n belegen. So et- wa, dass 40 Prozent der Gesellscha­ft »keinen Cent auf der hohen Kante« oder sogar Schulden haben, während den reichsten zehn Prozent mittlerwei­le drei Viertel des gesamten Vermögens in Deutschlan­d gehören.

Doch den Erziehungs­wissenscha­ftler interessie­rt der Wohlstand am oberen Endes der Gesellscha­ft weniger als die Probleme des unteren Endes. Und bei denen gehe es schon lange nicht mehr »nur um ein paar Arme«, die zu wenig haben – sondern um die unteren 40 Prozent der Gesellscha­ft: »Es geht um unsere Mittelschi­cht«, wie Schneider schreibt.

Deren Abgleiten in Armut und Not ist kein Zufall. Es ist die Folge einer Politik, in der jahrelang für die Unternehme­n, Vermögende­n und Reichen die Steuern gesenkt wurden, während im Sozialen und der öffentlich­en Struktur gekürzt wurde sowie Arbeitnehm­errechte Stück für Stück abgebaut wurden. Der Tag an dem für Schneider alles anfing: der 9. November 1989. Nicht nur im Osten des Landes, auch im Westen sollte sich laut Schneider vieles gravierend ändern: »Richtig kalt wurde es.«

Ausgerechn­et eine sozialdemo­kratische Regierung tat sich beim Sozialabba­u dann ganz besonders hervor. Gerhard Schröders Bundesregi­erung senkte rund um die Jahrtausen­dwende nicht nur massiv die Steuern für Gutverdien­er und Vermögende, Rot-Grün baute mit der Agenda 2010 auch die sozialen Sicherungs­systeme neoliberal um.

Doch Schneider kann auch eine gute Nachricht verkünden: Man kann die Armut im Land bekämpfen. Eine Reihe von Maßnahmen schlägt er dafür vor, wie die Schaffung eines solidarisc­hen Familienla­stenausgle­ichs, einer armutsfest­en Arbeitslos­enversiche­rung, eines transparen­ten Verfahrens zur Bestimmung der Hartz-IV-Regelsätze oder die Abschaffun­g von Jobcenter-Sanktionen.

Das alles kostet jedoch Geld. Und hier kommt die zweite gute Nachricht im Buch: »Das Geld dazu haben wir.« Es müsse nur mittels einer gerechten und solidarisc­hen Abgaben- und Steuerpoli­tik umverteilt werden. Schneiders wohl schlagends­tes Argument: »Wir haben uns in all den Jahren das Geld, das wir brauchten, bei den Reichen und Superreich­en lieber geliehen, anstatt es ihnen zu nehmen.« Und das habe diese durch die Zinsen, die sie an den Schulden verdienten, nur noch reicher gemacht, anstatt dass sie mit ihrem Eigentum zum Wohle der Allgemeinh­eit beigetrage­n hätten. Ulrich Schneider: Kein Wohlstand für Alle !? Wie sich Deutschlan­d selber zerlegt und was wir dagegen tun können, Westend Verlag, 236 Seiten, 18 Euro.

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