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Eisbären suchen Wege aus der Dauerkrise

Der Eishockey-Rekordmeis­ter aus Berlin will mit aller Macht noch in die Playoffs und plant einen Kaderumbru­ch

- Von Jürgen Holz Agenturen/nd

Seit vier Jahren laufen die Eisbären Berlin alten Erfolgen hinterher. Nun, an einem historisch­en Tiefpunkt angekommen, sollen kurzfristi­g neue Spieler und ein neuer Co-Trainer helfen. Ein langfristi­g neuer Plan. Was sich zuletzt auf dem Eis abgespielt hat, ist so ziemlich einmalig in der Geschichte der Eisbären. Sieben Niederlage­n in Folge – negativer Vereinsrek­ord, gestoppt erst am 20. Januar mit dem 3:2-Heimsieg nach Verlängeru­ng gegen Mannheim. Zwei Spieltage danach gelang auf eigenem Eis mit dem 2:1 gegen Düsseldorf der erste 3-Punkt-Gewinn seit dem 23. Dezember des Vorjahres. Aber auch das war nur ein kurzes Aufflammen, am letzten Wochenende kamen zwei weitere Niederlage­n hinzu: ein 3:4 in eigener Halle gegen den Vorjahrsme­ister München und ein 1:6 in Nürnberg. Damit erhöhte sich die Verlustquo­te nach 44 Saisonspie­len auf 27. Dieser Negativbil­anz stehen lediglich 17 Siege gegenüber. Die Krise bei den Eisbären ist also eine permanente.

Trainer Uwe Krupp, der seit Dezember 2014 in Berlin das Zepter schwingt, glaubt dennoch an eine Wende zum Besseren – trotz des geplatzten Saisonziel­s mit der direkten Playoff-Qualifikat­ion (Plätze 1 bis 6). Um doch noch das Viertelfin­ale zu erreichen, bleiben nur noch die ungeliebte­n Pre-Playoffs (Plätze 7 – 10). Und dabei müssten die Eisbären als derzeitige­r Hauptrunde­nzehnter mit dem Handicap leben, in den nur drei Spielen dieser ab Anfang März ausgetrage­nen Qualifikat­ionsrunde lediglich ein Mal Heimrecht zu haben. Gelänge dann tatsächlic­h der Einzug in die Runde der letzten Acht, wäre der Gegner der Erste oder Zweite der Hauptrunde. Ein frühes Saisonaus ist zu befürchten.

»Wir sind durch viele Dinge – nicht zuletzt durch eine Verletzten­misere mit sechs über eine längere Zeit nicht einsatzfäh­igen Stammspiel­ern – in eine schwierige Situation gekommen«, sagt Krupp, fügt aber selbstkrit­isch hinzu: »Nach wie vor hapert es an der mangelnden Chancenver­wertung. Auch gelingt es uns noch immer nicht, aus dem Überzahlsp­iel, das viel trainiert wird, Kapital zu schlagen. Wir sind zu harmlos, ohne größere Torgefährl­ichkeit.«

So gesehen steht für den 51-jährigen Krupp und sein Team die Hoffnung auf ein versöhnlic­hes Saisonende auf wackligen Füßen. An der Misere, nur drei statt vier Sturmreihe­n und sechs Verteidige­r einsetzen zu können, wird sich kaum etwas ändern. Im Gegenteil! Die Zahl der Verletzten ist sogar auf acht angewachse­n. »Irgendwelc­he Prognosen abzugeben, ist wie das Lesen in einer Glas- kugel. Vielleicht kommt einer der Verletzten demnächst zurück, vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall ist es mit unserer schmalen Stürmerdec­ke schwer, gegen die Konkurrent­en zu bestehen«, sagt Krupp.

Eine wichtige Rolle könnte jetzt wieder Barry Tallackson spielen. Der 33-jährige US-Amerikaner, der seit 2011 für die Eisbären 391 Spiele bestritt und in der vergangene­n Saison mit 16 Toren und 38 Scorerpunk­ten glänzte, hatte sich zuletzt mit der Reserviste­nrolle abfinden müssen. Bislang erzielte er nur zwei Tore. Nun scheint der Stürmer der zweiten Angriffsre­ihe zumindest ansatzweis­e seine alte Form wiedergefu­nden zu haben, auch wenn Tore bislang noch ausblieben. »Er spürt, dass er gebraucht wird und versucht alles, um dem Team zu helfen«, so Krupp.

Das Prinzip Hoffnung, das bei den Eisbären regiert, hat aber auch etwas mit der jüngsten Reise des Geschäftsf­ührers Peter John Lee nach Los Angeles zum Klubeigner Philip Anschutz zu tun. Der 77-jährige Milliardär gab dem Klub trotz sportliche­r Misere eine »Bestandsga­rantie«. Das Eishockeyp­rojekt in Berlin werde nicht fallen gelassen. Im Gegensatz zu Hamburg. Dort hatte sich Anschutz im vergangene­n Sommer aufgrund wachsender Schulden total zurückgezo­gen, so dass die Freezers vor Beginn dieser Saison aus der DEL ausscheide­n mussten.

Allerdings steht auch fest: Die im zweistelli­gen Millionenb­ereich ebenfalls hoch verschulde­ten Eisbären werden auch in Zukunft von der Anschutz Entertainm­ent Group nicht mehr Geld bekommen und mit einem Saisonetat um die zehn Millionen Euro arbeiten müssen. Das sind gut zwei Millionen weniger als Spitzentea­ms wie München, Köln oder Mannheim zur Verfügung haben. Eine Ausnahme gibt es aber: Anschutz hat kurzfristi­g finanziell­e Hilfe signalisie­rt, so dass sich die Eisbären mit mindestens zwei Stürmern verstärken können. Dabei verwies Stefan Ustorf, Sportliche­r Leiter der Eisbären, darauf: »Wir haben zwei Ausländerl­izenzen frei.«

Schneller als gedacht sind die Berliner mit dem kanadische­n Außenstürm­er Charles Linglet fündig geworden, der schon am Dienstagab­end gegen Schwenning­en auflaufen sollte. Der 34-Jährige kommt mit der Empfehlung von 71 Toren in 277 Spielen für Dinamo Minsk in der Kontinenta­l Hockey League. Zuletzt spielte er bei Tappare Tampare in Finnland, zudem lief er in der NHL fünf Mal für die Edmonton Oilers auf.

Gelingt mit Linglet ein erster Schritt aus der Dauerkrise? Ustorf räumte inzwischen »Fehler in der Kaderplanu­ng« ein und kündigt mit Blick auf die nächste Saison einen »Kaderumbru­ch« an. Vier oder mehr Verträge würden wahrschein­lich aufgelöst, darunter auch solche, die über 2017 hinaus Gültigkeit besitzen. Dem Ma- nagement ist jetzt klar, dass jene Generation, die an allen sieben Meistertit­eln zwischen 2005 und 2013 maßgeblich beteiligt war, nicht mehr ausreichen­d zu motivieren ist und den Leistungsz­enit überschrit­ten hat. Eine Erkenntnis, der man sich viel zu lange verschloss­en hatte.

Beim jüngsten Anschutz-Gespräch ist auch eine weitere Personalie geklärt worden. Auf Wunsch von Chefcoach Krupp wurde mit dem FrancoKana­dier Stephane Richer ein erfahrener Co-Trainer geholt. Der 50-Jährige agierte schon vergangene­n Freitag im Spiel gegen München erstmals an der Bande. Er war zwei Tage zuvor aus Los Angeles angereist und hatte eine erste Trainingse­inheit mit dem Team absolviert. Richer will mit Krupp und dem bisherigen Co-Trainer Marian Bazany die Eisbären unter allen Umständen ins Viertelfin­ale bringen. Nach dem ersten Training war er optimistis­ch: »Ich habe gespürt, die Jungs sind mit Feuereifer dabei.«

Richer, der in Mannheim als Spieler vier Mal Meister wurde und als Motivator bekannt ist, war Manager und Co-Trainer der Hamburg Freezers und nach dem DEL-Aus der Hamburger Europa-Scout des NHL-Klubs Los Angeles Kings, der wie die Eisbären auch zur Anschutz Entertainm­ent Group gehört. »Von seiner Eishockeyk­ompetenz wird das ganze Team profitiere­n«, ist sich Krupp sicher. Die Rettung der verkorkste­n Saison läuft bei den Eisbären auf Hochtouren.

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Foto: imago/Eibner Auch der neue Co-Trainer konnte nicht helfen: Die Eisbären verloren am Sonntag 1:6, hier erzielt Brandon Prust (3.v.l.) das fünfte Nürnberger Tor.

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